Rezension; Peschel-Gutzeit: „Selbstverständlich gleichberechtigt“

Die Unfehlbare

Anina Kühner05. Dezember 2012

Sie ist 80 Jahre alt und war Justizsenatiorin in Hamburg und Berlin. Lore-Maria Peschel-Gutzeits Leben ist für eine Frau ihrer Generation außergewöhnlich. Ihre Leistungen sind herausragend, ihr Engagement für Gleichberechtigung eindrucksvoll. Weil sie in ihrer jüngst erschienenen Autobiographie zu sehr an ihrer Selbstdarstellung arbeitet, verschenkt sie ein Plädoyer für Frauenrechte.

Peschel-Gutzeit kann auf ein beachtliches  Leben zurückblicken. Nach Abitur und Jurastudium folgte nahtlos eine erfolgreiche Karriere als Rechtsanwältin und Richterin, die schließlich ihren Höhepunkt im Amt der Ersten Senatspräsidentin am Hanseatischen Oberlandesgericht fand. Doch damit nicht genug  –  als Justizsenatorin in Hamburg und Berlin machte sich die Vorkämpferin für Frauenrechte auch in der Politik einen Namen. Ganz nebenbei erzog Peschel-Gutzeit ihre drei Kinder alleine. Sie ist damit in allen Lebensbereichen eine Avantgardistin ihrer Zeit.

Die grundsätzliche Botschaft des Buches der altgedienten Sozialdemokratin ergibt sich bereits aus dem Titel: Noch immer ist die berufliche Gleichberechtigung von Frauen gerade in Deutschland eine Utopie – ein unhaltbarer Zustand! Aus diesem Grund hat Peschel-Gutzeit große Teile ihrer Arbeit dem Anliegen gewidmet, jungen Frauen bei ihrem Werdegang zur Seite zu stehen. Durch viele Gesetzesinitiativen hat sie einen entscheidenden Beitrag zur Gleichberechtigung in Deutschland geleistet. Eine Tatsache, die man voller Anerkennung hervorheben muss.

Keine Fehltritte?
Schade nur, dass die Autobiographie der Lore-Maria Peschel-Gutzeit ihrer Kernbotschaft, von politischem Engagement und Emanzipation nicht gerecht wird. Warum nicht? Die Antwort ist so einfach wie deprimierend: Weil man über die gesamte Länge von dreihundertunddrei Seiten nicht ein einziges Mal das Gefühl gewinnt, der Autorin nahe zu kommen oder sie bei einer Fehlleistung zu ertappen.

„Selbstverständlich gleichberechtigt“ zeichnet das Bild einer unablässig erfolgreichen Person, die eine Hürde nach der anderen nimmt und der in emotionaler wie in rationaler Hinsicht nichts schwer fällt. Das ist ermüdend – kein einziger Fehltritt in all den Jahren? Kaum vorstellbar.

An einigen Stellen dieser buchgewordenen Selbstbeweihräucherung wird die Lektüre schier unerträglich. Etwa wenn die Autorin auf ihre zahlreichen Talente verweist und im Zusammenhang damit die Berufsberaterin zitiert, die kurz vor dem Abitur mögliche Perspektiven für Peschel-Gutzeit aufzeigte: „ Am Ende jener drei Tage sagte die Berufsberaterin zu mir: ,Sie haben drei herausragende Begabungen, und eine davon sollten Sie zu ihrem Beruf machen.‘“

Dass Jura der jungen Frau am meisten zusagte ist offenbar. Fragt sich, wer sonst auf „drei herausragende Begabungen“ verweisen kann. Auch die Tatsache, dass es schon von der Herkunft her nicht jeder Frau dieser Generation gegeben sein konnte Abitur zu machen, erwähnt die Autorin mit keinem Wort. Ein Versäumnis, das man kaum verzeihen kann.

Kraft, Gesundheit und Ausdauer
Der ausschließliche Bezug auf die eigene Person zieht sich leider wie ein roter Faden durch Peschel-Gutzeits Autobiographie. Selten kann man sich des Eindrucks erwehren, sie selbst installiere sich als Maßstab eines allumfassenden Wertekatalogs. So beschreibt sie nicht ohne Stolz, dass sie in ihrer gesamten Arbeitszeit nicht einmal krank gewesen sei.

Als eine ihrer Sekretärinnen aufgrund von Fieber passen muss, fällt Frau Peschel-Gutzeit folgender subtil-kritischer Kommentar ein: „Die Menschen sind nun einmal unterschiedlich. Manche haben mehr, manche haben weniger Kraft, Gesundheit und Ausdauer. Das ist doch in Ordnung.“ Wer an der dieser Stelle der Schwächere zu sein scheint, bedarf kaum der Ausführung.

„Selbstverständlich gleichberechtigt“ hätte ein Plädoyer für die Emanzipation im 20. Jahrhundert werden können. Verdient genug ist die Autorin, renommiert genug der Verlag. Leider bleibt das Buch dennoch unstrukturiert; es verliert sich in Zeitsprüngen und selbstverliebten Ausführungen der Autorin.

Kaiserschmarrn...
Was am Ende bleibt? Lore-Maria Peschel-Gutzeit schreibt: „Einmal hatten wir ein Au-Pair-Mädchen aus Österreich, über sie sprechen die Kinder bis heute, weil sie so wunderbar kochte. Marillenknödel, Kaiserschmarrn...“ Was daran schlimm ist? Nichts. Auf den ersten Blick.

Auf den zweiten jedoch scheint es selbst in der Welt dieser Autorin zwei Arten von Frauen zu geben: Jene wie sie selbst – und dann die anderen. Die weniger Wohlsituierten, die namenlos bleiben und Marillenknödel machen. Das ist schade, weil es den sicherlich falschen Eindruck altbürgerlicher Herablassung vermittelt.

Lore-Maria Peschel-Gutzeit: „Selbstverständlich gleichberechtigt“. Hoffmann und Campe 2012, 303 Seiten, 22,99 Euro. ISBN 978-3-455-50248-0

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