
Welche Erinnerungen haben Sie an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986?
Ich kann mich erinnern, dass wir in den Wochen nach dem Unfall keine Milch mehr getrunken haben – auch das Gemüse auf dem Speiseplan wurde stark zurückgefahren. Mit sieben Jahren waren mir die Hintergründe natürlich unverständlich. Im Laufe der Zeit ist aus dem Nichtverstehen eine Verständnislosigkeit geworden für das, was da passiert ist. Noch heute ist mir schleierhaft, wie man eine Technologie nutzen kann, die nur mit Subventionen überlebensfähig ist, viele Menschenleben kostet und deren Müll noch Millionen von Jahren Krebs verursachen wird.
Der Schrecken nach dem Unfall war weltweit groß. Wurden international die richtigen Konsequenzen gezogen?
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 oder auch die aktuellen Risse in den Reaktorbehältern im Belgischen Doel und Tihange zeigen, dass das politische Gedächtnis sehr kurz ist. Japan setzt bereits wieder auf die Atomkraft, Deutsche Konzerne klagen gegen den Ausstieg und England will mit europäischem Geld neue Reaktoren bauen. Sobald die Katastrophen aus dem Alltag der Menschen verschwunden sind, wird die Verführung des Atoms wieder groß.
Tschernobyl hat die Menschen in den 80er und 90er Jahren politisiert, Fukushima in den vergangenen Jahren. Welchen Stellenwert haben Umwelt- und Naturschutz zurzeit in Deutschland?
Im Moment werden die beiden Themen scheinbar sehr stark von anderem überlagert. Doch sollte man zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage die Ursachen genauer in den Blick nehmen: Der arabische Raum erlebt die stärkste Dürre sein 900 Jahren. Dürren führen zu Hunger, und zu gesellschaftlichen Spannungen. Treffen sie schwierige politische Verhältnisse, wird es explosiv. Ich bin ziemlich sicher, dass Umweltpolitik in den kommenden Jahren stark an Bedeutung gewinnen wird – und war in Form von Sicherheitspolitik, als Arbeitsmarktpolitik und als Friedenspolitik. Allein das in Paris beschlossene und von Berlin unterzeichnete Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu reduzieren, wird die deutsche Politik und Wirtschaft grundlegend verändern.
Für viele Menschen bleiben globale Beschlüsse abstrakt. Wie kann man ihnen vermitteln, welchen tiefgreifenden Einfluss diese Veränderungen auf ihr persönliches Leben haben?
Im Moment feiern alle den Weltklimavertrag, der gerade in New York offiziell unterzeichnet wurde. Allerdings scheint kaum jemandem wirklich klar zu sein, was es bedeutet, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. 1,5 Grad heißt, dass wir noch neun Jahre so weiter machen können wir heute – und dann muss der CO2-Hahn zugedreht werden, und zwar vollständig. Ich finde es wichtig, ehrlich zu sagen, dass diese Beschlüsse Veränderungen bedeuten – gesellschaftlich und für jeden persönlich. Für die SPD wäre das eine sehr gute Chance, nicht mehr nur zu reagieren, sondern Zukunft aktiv zu gestalten. Sie muss nur den Mut entwickeln, dem nahen Ende von Öl und Kohle in die Augen zu blicken.
Der Deutsche Naturschutzring engagiert sich nicht nur im Natur- und Umweltschutz, sondern setzt sich auch gegen Rechtspopulisten wie die AfD ein. Warum?
Wir erleben gerade, dass Dinge plötzlich denkbar, dann sagbar und schließlich machbar werden, die seit der Nazizeit zu recht tabu waren. Die Populisten verschieben die Grenzen des Akzeptablen nach Außen. Und das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Was wir wollen, ist ein offenes, tolerantes und nachhaltiges Deutschland! Deshalb haben wir uns mit Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden, mit den Sportlern, mit den Kulturverbänden zusammengeschlossen und eine „Allianz für Weltoffenheit und Toleranz“ gegründet. Die AfD ist nicht nur intolerant und rechtspopulistisch, sondern steht auch für eine Politik, die einen Riesenrückschritt für Mensch und Umwelt in Deutschland bedeuten. Sie leugnet den Klimawandel, verkennt die ökologische Landwirtschaft und setzt auf umweltschädliche Subventionen. Die AfD vergiftet nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern würde das am liebsten auch mit der Atmosphäre machen. Das dürfen wir nicht zulassen.