Eigentlich ist es eine Errungenschaft, denn beim BAföG handelt sich um einen Rechtsanspruch, mit dem Chancengleichheit in der Bildung ermöglicht werden soll. Nichtsdestotrotz hat auch das 1971
in Kraft getretene BAföG bis heute seine Unwägbarkeiten. Andreas Keller, Leiter der
Abteilung Hochschule und Forschung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), stellte die wechselhafte Geschichte des BAföG beim Fachtag
der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und des
Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin vor.
Wer hat und wer hat nicht?
1972 ermöglichte es nahezu jedem 2. Studierenden und einer großen Anzahl von Schüler/innen eine Studienfinanzierung. Doch schon bald war die Tendenz rückläufig. Der Grund: Die Einführung und
Ausweitung des Darlehens und die Abschaffung der Förderung von Schüler/innen an allgemeinbildenden Schulen.
Einiges wurde zwar in den 90er Jahren korrigiert, doch bleibt gerade das Teildarlehen das größte Problem. Wenn das BAföG als Steuerungselement für Chancengleichheit in der Bildung Menschen
aus so genannten sozial schwachen Familien ermutigen soll, ein Studium aufzunehmen, schreckt die damit verbundene Verschuldung gerade diese Gruppe ab, ist Keller überzeugt. Die Zahl der
Geförderten stagniere derzeit bei ca. 20 Prozent, wobei ein noch geringerer Prozentsatz den BAföG-Höchstsatz erhält. Wie die
Sozialerhebungen des Studentenwerks dokumentieren, liegen die durchschnittlichen Lebenshaltungs- sowie Studienkosten von Studierenden weit höher. An
dieser Stelle, und nicht nur da, sei nachzusteuern, forderte er.
Best Practice: Skandinavische Studienfinanzierung
Einen Einblick in andere europäische Studienfinanzierungsmodelle bot
Jochen Dahm, ehemaliger Geschäftsführer des
Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren. So gehe man beispielsweise in den skandinavischen Ländern von Studierenden als "eigenverantwortlichen Bürger/innen"
aus. Fast alle Studierenden werden hier, so Dahm, elternunabhängig durch staatliche Zuschüsse und Darlehen bei der Realisierung ihres Studiums unterstützt, Studiengebühren gibt es nicht. In
Deutschland erhalten Studierende Unterstützung, wenn das Einkommen oder Vermögen ihrer Eltern zur Studienfinanzierung nicht ausreicht.
Dahm plädiert für eine Vereinfachung des BAföG, die Umwandlung des Darlehensanteils und eine höhere Einzelfallgerechtigkeit. Selbstverständlich sei die Elternunabhängigkeit sowie das
Studierendenhonorar eine ideale Variante, dennoch sieht Dahm darin eine sinnvolle Strategie der "kleinen Schritte". Vor dem Hintergrund anderer sozialstaatlicher Verteilungsbaustellen,
beispielsweise der Rente, könne "eine große Vision" eher ablenken. "Der Gesamtblick bleibt wesentlich.", sagte Dahm. Das BAföG sei mit der Prämisse der Chancengleichheit angetreten und so müsse
es auch weitergehen.
BAföG 2.0: Reform oder Alternativmodelle?
Keine Alternative zum BAföG sei die Ausweitung des Nationalen Stipendienprogramms, erklärte Christin Eisenbrandt vom "
freier zusammenschluss von studentInnenschaften" (fzs). Die Vergabe sei völlig intransparent, die Höhe der Förderung liege bei lediglich 300 Euro und könne daher
nur als "zusätzliches Taschengeld" bezeichnet werden, kritisierte EEisenbrandt. Dieses "Deutschlandstipendium", welches Bildungsministerin Annette Schavan neben BAföG und Darlehen als dritte
Säule der Studienfinanzierung ankündigte, stelle kein adäquates Mittel dar, Bildungsgerechtigkeit an deutschen Hochschulen herzustellen.
Zudem würde das Nationale Stipendienprogramm die Einflussnahme der Unternehmen auf die Hochschulen erhöhen, stimmte der Bildungsaktivist Georg Franke zu. Diese steuerten nämlich im Rahmen
einer Ko-Finanzierung die Hälfte des Stipendiums bei und können Einfluss auf die Vergabe der Stipendien ausüben. Fraglich sei, welche Studiengänge von Unternehmen bevorzugt seien, fragte
Eisenbrandt. Die Entwicklung hin zum "Leitbild der unternehmerischen Hochschule", welche auch für andere Länder dramatisch Pate steht, sieht auch Klaus Meschkat, Soziologe und wissenschaftlicher
Beirat bei
attac als eine kritische Entwicklung. Bildung nur noch unter wirtschaftlicher Verwertbarkeitslogik zu betrachten hat auch die Bildungsstreiks der
letzten Jahre befeuert. Wesentlich sei, wie man praktische Reformkonzepte, beispielsweise des BAföG zur Mobilisierung der Studierendenbewegung übersetze, betonte Franke.
Die GEW setze sich für die Weiterentwicklung des BAföG ein, es könne zu einem elternunabhängigen Studienhonorar entwickelt werden, erläuterte Sonja Staack, stellvertretende Vorsitzende von
ver.di Berlin. Sie will das BAföG ausgebaut sehen und machte deutlich, dass weder eine umfassende Reform des BAföG noch ein Modell des Studienhonorars "mal
schnell im Bundestag beschlossen werden können." Doch sollte "mutig diskutiert werden", denn es "erfordert ein neues Sozialstaatsverständnis".
Hochschulpolitik im Widerspruch
Torsten Bultmann, Geschäftsführer des BdWi, machte deutlich, dass die Diskussion um die Studienfinanzierung mit einem gesellschaftspolitischen Strukturwandel zusammenfällt, auf den die
Politik noch keine Antwort hat. Probleme existierten reichlich: Prekäre Arbeitsverhältnisse des wissenschaftlichen Personals, schlecht bzw. nicht bezahlte Lehrbeauftragte, fehlende Studienplätze,
Zulassungschaos, unfinanzierte Leerlaufzeiten zwischen Bachelor- und Masterstudium. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Das BAföG als ein Bildungsentgelt zu konzipieren sei entscheidend für
eine soziale Öffnung der Hochschulen und nicht zuletzt muss "alternative Wissenschaft auch möglich sein, um alternative Gesellschaftskonzepte entwickeln zu können", so Bultmann.
Zur Nachlese:
Forum Wissenschaft (2011): 40 Jahre BAföG - Reformmodell am Scheideweg. Nr. 3, September 2011.
GEW (2009):
Wir können auch anders! Das wissenschaftspolitische Programm der GEW.
Zur Nachlese:
Forum Wissenschaft (2011): 40 Jahre BAföG - Reformmodell am Scheideweg. Nr. 3, September 2011. GEW (2009):
Wir können auch anders! Das wissenschaftspolitische Programm der GEW.