Buchpremiere

„Übergroße Persönlichkeiten“

05. April 2011

Klaus Wowereit sitzt vor einer Deutschlandfahne und ganz viel Blümchentapete. Hätte die SPD im Herbst 2009 nicht die Bundestagswahl verloren, säße er vielleicht nicht hier. Doch die
Sozialdemokraten landeten nur bei 23 Prozent, ein Weckruf. "Wir haben die Lehren aus der verlorenen Wahl gezogen und Zukunftswerkstätten gegründet", sagt Wowereit. Er ist seitdem nicht nur
Regierender Bürgermeister von Berlin und stellvertretender SPD-Vorsitzender, sondern auch Leiter der Zukunftswerkstatt "Integration".

In dieser Funktion ist er Mitherausgeber eines Buchs, das an diesem Abend der Öffentlichkeit vorgestellt der wird. Deshalb sitzt Klaus Wowereit vor der Blümchentapete. Es ist die Kulisse
von Feridun Zaimoglus Stück "Discount Diaspora". Es wurde vor wenigen Wochen in der Neuköllner Oper uraufgeführt. Und nun also die nächste Premiere.

14 Geschichten aus unterschiedlichen Welten

"Es ist ein kleines Buch mit kleinen Geschichten, geschrieben von großen Autoren über übergroße Persönlichkeiten", fasst Wowereit den knapp 180 Seiten starken Band selbst zusammen. "Ich wär
gerne einer von uns" lautet der hintergründige Titel, erzählt werden "Geschichten übers Ein- und Aufsteigen". Es sind die Geschichten von 14 Menschen, die zwar in Deutschland zuhause sind, aber
in höchst unterschiedlichen Welten leben.

Eine dieser Personen ist Tina. Nach dem Abitur hat sie in Dresden Germanistik, Psychologie und Deutsch als Fremdsprache studiert, später noch ein Gartenbau-Studium in Berlin abgeschlossen.
Mittlerweile lebt die Diplom-Ingenieurin und Mutter von Zwillingen in Berlin-Friedrichshain - von Hartz IV.

"Mich hat ihre Haltung beeindruck", erzählt die Schriftstellerin Tanja Dückers. Sie hat Tinas Lebensgeschichte für das Buch aufgeschrieben. "Tina hat mir gezeigt, dass man auch jenseits der
Karriere glücklich sein kann", sagt sie. Ihr sei es wichtig gewesen, die Menschen selbst zu Wort kommen zu lassen. Deshalb habe sie sich an dem Buch beteiligt. "Es wird leider viel zu viel über
die Menschen geschrieben, ohne dass man ihre Lebenswirklichkeit kennt."

Gesellschaftliche Integration von unten

Akademikerarbeitslosigkeit ist nur eins der Themen der 14 Geschichten. Es geht auch um Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss,
mit einer Behinderung oder dem berühmt-berüchtigten "Migrationshintergrund." "Wir haben uns gefragt, wo die Hindernisse
eines jeden Einzelnen liegen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden", erklärt Franziska Richter die Grundidee des Buchs. Richter leitet das Projekt "Gesellschaftliche Integration" der
Friedrich-Ebert-Stiftung und ist zweite Herausgeberin des Buchs.

Von ihr bekamen die elf Autoren die Telefonnummer ihres Porträtpartners. Vorgaben gab es keine. "Jeder sollte seinen eigenen Zugang finden", so Richter. Das hat gut funktioniert. Jedes der
14 Porträts ist sehr persönlich, manche Autoren haben sich sogar mit ihrem Porträtierten angefreundet. In nur acht Monaten ist so ein Buch entstanden, dass das Thema gesellschaftliche Integration
"von unten" angeht und nicht von einer abgehobenen Politikwarte aus betrachtet. "Wir erzählen Geschichten, die alle angehen", sagt Franziska Richter.

"Gesellschaftliche Teilhabe muss für alle Menschen möglich sein", ist auch Klaus Wowereit sicher: "für die alleinerziehende Mutter in Marzahn genauso wie den Migranten in Kreuzberg". Nicht
zuletzt die Geschichten des Buchs zeigten: "Der Aufstiegswille ist da." Allerdings könne er auch verloren gehen, wenn er nicht gefördert werde. Genau hier komme die Politik ins Spiel. "Wir müssen
rechtzeitig Starthemmnisse beseitigen." Klaus Wowereit will dazu auch über sein Buch hinaus einen Beitrag leisten.


Klaus Wowereit, Franziska Richter (Hg.): Ich wär gern einer von uns. Geschichten
übers Ein- und Aufsteigen, Dietz-Verlag 2011, 14,80 Euro, ISBN 978-3-8012-0409-9

Buchauszüge:

"Manchmal möchte ich brüllen: Glotzt doch nicht so blöd!" - Porträt über Nadine Zepp

"Soziale Diskriminierung habe ich am eigenen Leib erfahren." - Interview mit Klaus Wowereit

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