
Im östlichen Mittelmeer werden große Gas- und Ölvorkommen vermutet, deren Ausbeutung lukrative Geschäfte verspricht. Der türkische Präsident Erdogan hat daher das Erkundungsschiff „Oruc Reis“ mit Probebohrungen beauftragt. Das Problem: Zwar liegt das Seegebiet direkt vor der türkischen Küste, aber es handelt sich mitnichten um türkische Gewässer. Griechenland beansprucht das Meer um die Insel Megisti/Kastelorizo als sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) für sich. Denn Megisti und die Nachbarinseln gehören zu Griechenland.
Die Proteste der EU stören Erdogan nicht
Erdogan ficht das nicht an. Er treibt die Probebohrungen südlich von Megisti voran und lässt sie von Kriegsschiffen schützen. Viertelstündliche Aufrufe der griechischen Marine, unverzüglich die griechischen Hoheitsgewässer zu verlassen haben die schlicht ignoriert, so sicher waren sich die türkischen Kapitäne ihrer Sache. Man darf davon ausgehen, mit Rückendeckung von Erdogan.
Die EU hat gegen das türkische Vorgehen protestiert, Bundeskanzlerin Merkel bei Erdogan telefonisch interveniert. Allein, die Probebohrungen gehen weiter. Mehr noch: Ankara kündigte an, ab Ende August Bohrlizenzen für „neue Standorte im westlichen Teil unseres Kontinentalschelfs“ zu vergeben.
Daraufhin erklärte Emmanuel Macron, die französische Militärpräsenz in der Region zu erhöhen. Eine weiter Fregatte wird in das Seegebiet verlegt, um die Lage besser einschätzen zu können, vor allem aber, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Das sei zwischen Paris und Berlin abgestimmt, ließ der Élysée verlauten und dankte Merkel ausdrücklich für ihre Bemühungen. Ganz klar wird so aber auch, dass Macron der Auffassung ist, der nötige Nachdruck habe Merkel wohl gefehlt.
Wie weit geht Macron?
Dem kann niemand widersprechen. Dass die französische Marine Erdogan zum Einlenken zwingt, ist aber nicht sicher. Anfang Juni hat die türkische Marine in anderem Zusammenhang die französische Fregatte „Courbet“ mit ihrem Feuerleitstrahl erfasst und so gezwungen, beizudrehen. Mag ja sein, dass Macron nun gerne die Verhältnisse „geraderücken“ möchte. Aber wie weit ist er bereit, den Konflikt zu eskalieren, um Bohrungen im Osten des Mittelmeeres zu verhindern?
Sicher ist: Weder gibt es in Frankreich eine nennenswerte türkische Gemeinde, noch zieht es einen größeren Teil der Flüchtlinge, die zu zigtausenden in türkischen Auffanglagern darben, nach Frankreich. Insofern müssen wenig andere Konfliktfelder abgewogen werden.
Sicher ist aber auch: Europa ist militärisch weder einig noch stark genug, um einem Autokraten wie Recep Tayyip Erdogan so nachhaltig zu drohen, dass der freiwillig kleinbeigibt. Das müsste schon die NATO übernehmen. Erdogan scheint darauf zu vertrauen, dass die Militärorganisation bei einem Konflikt zwischen den Mitgliedern Türkei, Griechenland und Zypern nicht Partei ergreift.
Erdogan sucht die Provokation
Wie also Erdogan stoppen? Vor einem Monat gab es einen sehr ähnlichen Konflikt vor der Küste Zyperns. Damals hat Erdogan das türkisches Erkundungsschiff abgezogen. Das dortige Vorkommen lag so tief, dass es preislich kaum mit russischem oder amerikanischen Gas hätte konkurrieren können.
Wichtiger: Erdogan geht es gar nicht um Gas oder Öl. Er sucht vor allem die Provokation. Wegen seiner desolaten Wirtschaftspolitik steht er innenpolitisch derart unter Druck, dass er ein Ventil braucht. Er will demonstrieren, er allein kämpfe heroisch für die türkischen Interessen. Er will Wähler gewinnen. Deshalb befeuert er großosmanische Fantasien, ob im Irak, im Libanon oder in Libyen.
Daraus ergibt sich der Umgang mit dem Konflikt. EU und NATO müssen Erdogan deutlich erklären: Es reicht! Das macht man nicht öffentlich, schon wegen des Gesichtsverlustes, hinter verschlossenen Türen aber um so deutlicher. Präsenz vor Ort kann nicht schaden.
Der Konflikt muss in Hamburg verhandelt werden
Zweitens gilt es, auf Griechenland einzuwirken, den Konflikt nicht anzuheizen, sondern Gespräche anzubieten. Denn auch der griechische Präsident Kyriakos Mitsotakis folgt einer innenpolitisch motivierten Agenda. Das „Griechentum“ auf Megisti – einem winzigen kleinen Eiland, knapp 600 Kilometer und zwei Flugstunden von Athen entfernt – ist ein teures nationales Prestigeprojekt. Weshalb sich Griechenland, wie die Türkei auch, Aufschluss und Ausbeutung der Bodenschätze alleine gar nicht leisten könnte! Und drittens ist der griechische Anspruch auf alleinige wirtschaftliche Nutzung des Meeres juristisch ebenso unsicher, wie der türkische.
Objektiv liegt ein Konflikt zwischen beidseits berechtigten Interessen vor, eben weil sich die griechischen Inseln so dicht vor dem türkischen Festland befinden. Der Konflikt muss – so bestimmt es das internationale Seerecht – vor dem Hamburger Seegerichtshof verhandelt werden, mit dem Ergebnis eines ratifizierten Vertrags.
Die EU ist also gut beraten, beide Seiten von nationalistisch geprägtem Säbelrasseln abzubringen, hin zu Verhandlungen. Wahrscheinlich wird dazu „Zuckerbrot und Peitsche“ nötig sein. Und irgendwann auch eine militärisch handlungsfähige EU.