Kommentar

Türkei unter Erdoğan: Stoppt den Angriff auf die Demokratie!

Paul Starzmann04. November 2016
Aus Sorge um ihren Flüchtlingsdeal hält sich Angela Merkel zurück mit Kritik an der Türkei. Damit muss Schluss sein. Was darf sich Erdoğan noch alles erlauben, bevor Deutschland endlich reagiert?

Angela Merkel ist nicht als eine Frau bekannt, die viel von politischen Visionen hält. Statt des großen Wurfs setzt die Regierungschefin lieber auf die kleinen Schritte. Auf Sicht zu fahren scheint ihr wichtiger als stets das große Ziel vor Augen zu haben.

Abgesehen von ihrer Entscheidung im Sommer 2015, als sie tausenden gestrandeten Syrern die Einreise nach Deutschland gewährte, scheint sich die Kanzlerin nicht gerade von einem inneren moralischen Kompass leiten zu lassen. So hat sie sich von ihrem einmaligen Satz „Wir schaffen das“ längst verabschiedet. Anstatt humanitärer Hilfe steht für Merkel in der Flüchtlingsfrage fast nur noch eins im Vordergrund: Wie können Menschen in Not zukünftig von der Flucht nach Deutschland abgehalten werden?

Menschenrechte zählen immer weniger

Die Antwort auf diese Frage sucht Merkel ausgerechnet in der Türkei, einem Land, das sich rasant zu einer echten Diktatur entwickelt, in der die Menschenrechte immer weniger zählen. Genau der richtige Ort, um Flüchtlinge festzuhalten, scheinen Merkel und ihre Strategen im Kanzleramt zu denken.

So verkneift sich die Kanzlerin nun auch jede hörbare Kritik an dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan und seiner islamistischen AKP-Regierung. Als die türkische Polizei diese Woche die Redaktion der oppositionellen Zeitung „Cumhuriyet“ stürmte, äußerte Merkel lediglich Besorgnis über den Vorfall. Würde die deutsche Regierung morgen Kurt Kister, den Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ in Handschellen abführen lassen, die Bürger in Deutschland wären wohl mehr als nur ein bisschen besorgt.

In der Nacht zu Freitag folgte der nächste Schlag der AKP-Regierung: Die Verhaftung der beiden HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ. Der Vorwurf ist immer derselbe: Unterstützung einer Terror-Organisation. Dass sich Demirtaş immer wieder von der kurdischen Guerilla PKK distanziert, ja sogar deren Anhänger aufgefordert hat, seine Partei nicht zu wählen, spielt für Erdoğan keine Rolle.

Demirtaş: Hoffnung für eine liberale Türkei

Demirtaş ist im Visier der AKP, weil er eine Hoffnung für die liberale Türkei ist. Er ist charismatisch, weltoffen und schafft es, kurdische Wähler aus ostanatolischen Dörfern genauso für sich zu begeistern wie junge Linke in den Städten der Westtürkei. Ihm und seiner Partei, der pro-kurdischen HDP, ist es zu verdanken, dass Präsident Erdoğan sein Ziel noch nicht ganz erreicht hat: das Ende türkischen Demokratie.

Doch mit Erdoğans Kampf gegen die Pressefreiheit und den Verhaftungswellen der vergangenen Monate bewegt sich die Türkei immer weiter weg von der Rechtsstaatlichkeit. Es ist deshalb höchste Zeit, dass die deutsche Regierung endlich mit aller Schärfe auf die Abschaffung der Demokratie in der Türkei reagiert. Man stelle sich vor, die Bundesregierung ließe morgen Anton Hofreiter, den Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, verhaften. Da würden die Bundesbürger von den Regierungen in Paris oder Washington doch auch etwas mehr erwarten als nur ein paar Worte der Besorgnis. Im Übrigen geht von Selahattin Demirtaş, den seine Anhänger liebevoll „Selo“ nennen, ungefähr das gleiche Gefahrenpotential für den Frieden in der Türkei aus wie das für Toni Hofreiter in Deutschland gilt.

Wenn die Verteidigung der europäischen Werte bedeutet, den Flüchtlingsdeal mit der Türkei aufzukündigen, sollten Merkel und die EU dies umgehend tun. Welchen Wert hat eine europäische Union, wenn die Menschenrechte nur noch innerhalb der EU-Grenzen gelten? Die Bundesregierung darf nicht ständig auf die Reduzierung der Flüchtlingszahlen schielen, nur aus Angst vor dem Mob, der in Freital, Bautzen und anderswo Asylunterkünfte in Brand setzt und der AfD Wahlerfolge beschert. Es wird Zeit, dass Angela Merkel eine klare Botschaft an Erdoğan aussendet: „Die Einschränkung der Pressefreiheit und die Verhaftung von Oppositionellen – das geht gar nicht“, sollte sie sagen. Und ihren Worten zur Abwechslung dann auch mal Taten folgen lassen.

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Kommentare

Türken müssen selbst für die Demokratie eintreten.

Kein Land auf der Welt ist der Zuchtmeister eines anderen Landes. Wer sich dazu moralisch aufschwingen will, muss wissen, dass er sich damit in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einmischt. Das genau wird weder die Bundeskanzlerin noch das Bundeskabinett tun.

Bezüglich der Völkerwanderung haben einzelne EU-Länder als auch Nicht-EU-Länder bereits gehandelt und sich zudem auf noch auf grössere Probleme vorbereitet. Die EU hat ihrerseits als EU schon ein klein wenig gehandelt.

Bevor man sich seitens der Türkei erpressen lässt, werden einfach die griechischen See- und Landgrenzen mit Hilfe von Kriegsschiffen der EU-Länder und mit Soldaten so geschützt, dass da niemand mehr unkontrolliert durchkommt. Dann bricht der türkischen Erpressungsversuch wie ein Kartenhaus in sich zusammen, zumal die Türkei wirtschaftlich auf die EU-Länder angewiesen ist.

Damit das alles funktioniert, muss vor allem die Regierung Italiens zur Vernunft gebracht werden, die endlich ihren unmittelbar vor der nordafrikanischen Küste eingerichteten Abhol- und Verbringungsdienst in die EU einstellen muss. Dann sind alle Grenzen gegenüber der Türkei und Nordafrika im Handumdrehen geschlossen.

Sehe ich nur bedingt so @Beteigeuze

Denn, darf man wegschauen, wenn eine Regierung die Menschenrechte (auch wenn es das eigene Land ist) mit Füßen tritt? Wenn es bei uns der Fall wäre, würden wir nicht auch auf Hilfe von "außerhalb" hoffen? Was sollen einzelne denn machen? Wie man sieht kommt man doch in den Knast - wie ein Schwerverbrecher - wenn man anderer Meinung ist als "Chef Erdogan" und man weiß, dann droht sogar Folter und vielleicht demnächst noch die Todesstrafe!!! Erdogan denk er könne sich alles erlauben, weil es "sein" Volk ist??? Weil da Menschen irgendwann mal eine Grenze gezogen haben, sind Menschenrechte nur auf der einen Seite gültig und haben uns auf der anderen Seite nicht mehr zu interessieren? Irgendwann werden wohl den letzten Anhängern von Erdogan die Augen aufgehen (hoffe ich!!!) und merken, welchem Despoten sie da jahrelang zugejubelt haben und wie viele Menschenleben er durch sein Macht gehabe zerstört hat. Menschen die keiner Fliege etwas zu Leibe taten, die einfach nur Erdogan "im Weg standen"...

Erdogan

Und um diesem widerlichen Despoten weiter in den Hintern zu kriechen, nimmt die Bundesregierung schamhaft die Armenienresolution des Parlaments zurück, womit sie sich dessen Druck beugt und selbst einen Beschluss des vom Volk gewählten Bundestages zunächst verschieben lässt und dann nicht mehr wahrhaben will. Damit (und in vielen anderen Fragen) regiert Erdogan bereits in Deutschland hinein. Warum setzt die SPD nicht endlich, im Zweifel auch mit den Grünen und Linken (sowie sicherlich selbst mit anderen CDU-Abgeordneten) die Abschaffung des § 103 StGB durch und nicht erst, wie von Merkel - als weiterer Kniefall vor Erdogan - gewollt, 2018 durch?
Wie groß wäre das Geschrei, vor allem von de Maizière, wenn diese Maßnahmen von anderen Ländern, z.B. Griechenland oder Portugal, durchgeführt worden wären? Aber alle rechten Regierungen genießen das Wohlwollen der sogenannten Christlich-Demokraten oder Christlich-Sozialen, wie etwa auch Ungarn, Polen u.a.