Doppel-Interview

Transformation: Warum die Schuldenbremse reformiert werden sollte

Kai Doering19. Juli 2022
Mehr Entlastungen wie die im September kommende Energiepreispauschale halten die Ökonom*innen Philippa Sigl-Klöckner und Gustav Horn für sinnvoll.
Mehr Entlastungen wie die im September kommende Energiepreispauschale halten die Ökonom*innen Philippa Sigl-Klöckner und Gustav Horn für sinnvoll.
Philippa Sigl-Klöckner und Gustav Horn leiten den wirtschaftspolitischen Beirat der SPD. Die beiden Ökonom*innen loben die Wirtschaftspolitik der Partei und fordern eine Reform der Schuldenbremse, auch um die Transformation finanzieren zu können.

Als der wirtschaftspolitische Beirat Anfang 2020 eingesetzt wurde, rollte gerade die erste Corona-Welle. Der damalige SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sagte, es dürfte nach Corona wirtschaftspolitisch nicht so weitergehen wie vorher. Welche Lehren hat die SPD aus den vergangenen zweieinhalb Jahren gezogen?

Gustav Horn: Die Corona-Krise hat vieles bestätigt, was an wirtschaftspolitischen Vorstellungen in der SPD schon vorher da war. Als klar war, dass Deutschland in einen Lockdown gehen muss, stand fast zeitgleich fest, was es an staatlicher Unterstützung für die Gastronomie bis hin zur Kurzarbeit gibt. Dass es keine langen Grundsatzdiskussionen gegeben hat wie etwa während der Finanzmarktkrise, ist ein wesentliches Verdienst der SPD, die ja damals nur als kleiner Partner mitregiert hat. Insofern kann man sagen, dass die Corona-Pandemie ein Katalysator war für die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der SPD. Die Bazooka von Olaf Scholz steht sinnbildlich dafür.

Philippa Sigl-Glöckner: Das Konzept mit „Wumms“ aus der Krise zu kommen ist aufgegangen. Die Corona-Zeit hat bisher keine großen Narben an der Wirtschaft hinterlassen, weil sofort entschieden gehandelt und so Vertrauen gewahrt wurde. Eine zentrale Erkenntnis ist aus meiner Sicht dass ein handelnder Staat vieles besser machen kann. Angesichts der uns vermutlich noch bevorstehenden Verwerfungen in Folge Putins Angriff auf die Ukraine ist das entscheidend. Und es prägt auch die Politik der Ampel-Regierung.

Die Bundesregierung ist unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“ gestartet. Wo sehen Sie Fortschritte in der Wirtschaftspolitik?

Horn: Es hat sich ja schon vor der Corona-Krise angedeutet, dass wir in eine wirtschaftspolitische Phase laufen, in der wir Entwicklungen der Globalisierung kritisch hinterfragen müssen. Immer nur dort zu produzieren, wo es scheinbar am günstigsten ist, hinterlässt verheerende Spuren auf der ganzen Welt. Für Deutschland waren die letzten zwei Jahre ein Schock, der auch im Denken Spuren hinterlassen hat. Resilienz, also eine widerstandsfähigere Ökonomie, steht jetzt viel mehr als Ziel im Mittelpunkt als früher. Das hat die Ampel erkannt und unternimmt bereits Schritte in diese Richtung. So sollen etwa Produktionen nach Europa zurückverlagert werden. Auch der Gesundheitsschutz steht mehr im Vordergrund. Für all das brauchen wir einen handlungsfähigen Staat, und zwar anders, als wir das aus der Vergangenheit kennen. Der Staat muss Dinge ermöglichen. Die SPD hat hier am schnellsten gelernt.

Sigl-Glöckner: Der Staat hat in der Corona-Krise nicht nur das Schlimmste verhindert, sondern hat die Wirtschaft aktiv gestaltet. Mit den Innovationspaketen hat der Staat die Richtung vorgegeben. Es gab z.B. eben keine Abwrackprämie für alte Autos wie noch während der Finanzkrise 2009. Stattdessen wurde gezielte Transformationspolitik gemacht. Aber der Staat kann nicht nur die Transformation aktiv gestalten. Gleiches gilt für Verteilung. Das zeigt die Ampel mit der Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro.

Horn: Genau! Der Staat geht nicht bürokratisch vor, sondern wird selbst zum unternehmerischen Akteur. Das ist ein völlig neuer Ansatz. Es geht jetzt um die Digitalisierung und den Übergang in eine ökologische Wirtschaft. Um das zu gestalten, brauchen wir Innovationen, die nicht allein aus der Privatwirtschaft kommen können. Der Staat muss deshalb ein unternehmerisch denkender Impulsgeber sein, auch, indem er Geld zur Verfügung stellt. Die Ampel sehe ich da auf einem guten Weg.

Corona ist noch nicht vorbei, da sorgt der Krieg in der Ukraine für neue wirtschaftliche Verwerfungen. Droht er die von Ihnen beschriebene Entwicklung auszubremsen oder kann er auch zu einem Katalysator werden?

Horn: Vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse ist es immer schlimm, so etwas zu sagen, aber ich denke, der Krieg in der Ukraine wird ein weiterer Katalysator für die Veränderung des Wirtschaftssystems sein. Jetzt sieht auch der Letzte ein, dass der Übergang in eine ökologische Wirtschaft nicht nur aus ökologischen Gründen sinnvoll ist. Die beschlossenen Gesetzespakete zum Ausbau der Erneuerbaren Energien sind letztlich auch eine Antwort auf die Frage der Energiesicherheit Deutschlands. Darüber hinaus ist es aus meiner Sicht eine wichtige Erkenntnis, dass wir Handel betreiben müssen, der uns nicht von Autokraten abhängig macht. Den Fehler, den wir mit Russland gemacht haben, dürfen wir nicht wiederholen ­– das sage ich ganz bewusst mit Blick auf China.

Sigl-Glöckner: Gerade erleben wir nicht die geplanten graduellen Anstiege der Preise für fossile Energieträger, sondern eine abrupte Kostenexplosion. Je schneller die Veränderung, desto herausfordernder ist aber die Rolle des Staats, desto schwerer wird es, soziale Verwerfungen zu verhindern. Es ist jetzt wichtiger denn je, den Wandel mit Bedacht zu gestalten und dafür zu sorgen, dass es für alle gut geht. Wir reden hier ja über Menschen aus Fleisch und Blut, nicht über Schachfiguren.

Horn: Der ungewollte rapide Anstieg der Energiepreise zeigt eindrücklich, wie wichtig es ist, hinzuschauen, was Marktprozesse leisten und was nicht. Wenn wir die Preisentwicklung einfach dem Markt überlassen, würden wir viele Menschen in Not und Elend stürzen. Gleichzeitig würden wir die Inflation weiter anheizen. Wir können deshalb jetzt nicht mit maximaler Geschwindigkeit transformieren. Hier das richtige Maß und Timing zu finden ist eine Herausforderung für die derzeitige Regierung. Sie muss in Jahrzehnten hoher Investitionen denken. Alles sofort machen zu wollen fährt uns gegen die Wand.

Sigl-Glöckner: Was wir bei der Gestaltung der Transformation auch nicht vergessen dürfen, ist die Arbeitsmarkpolitik. Uns fehlen immer mehr Fachkräfte. Sozialdemokratische Arbeitsmarktpolitik muss deshalb deutlich machen, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte essenziell für die Transformation und den Wohlstandserhalt sind. Ihre Verfügbarkeit wird die Geschwindigkeit der Transformation in den kommenden Jahren mitbestimmen. Ganz entscheidend werden die Themen Aus- und Weiterbildung sowie Frauenerwerbstätigkeit sein.

Gerade die junge Generation hat Sorge, weil der Staat zurzeit im großen Umfang Schulden macht, um etwa die Entlastungspakete zu bezahlen. Zurecht?

Sigl-Glöckner: Ich denke, da muss man unterscheiden. Vieles von dem, wofür jetzt Geld ausgegeben wird, sind ja Investitionen in die Zukunft des Landes. Wenn wir z.B. nicht in Weiterbildung investieren und uns in der Folge die Industrie und damit die Grundlage unseres Wohlstands wegbricht, weil Fachkräfte fehlen, ist niemandem geholfen. Dann zahlt wirklich die zukünftige Generation. Wenn wir aufgrund der Schuldenbremse abwägen müssen, ob wir in die Zukunft investieren oder den Menschen helfen, die akut von steigenden Preisen betroffen sind, wird es schwierig. Wir sollten uns sehr sicher sein, dass diese Abwägung wirklich notwendig, beziehungsweise die Richtige ist.

Horn: Die Politik muss klar sagen, was ihr am wichtigsten ist: Keine neuen Schulden zu machen oder in die Zukunft zu investieren. In der SPD sind sich, glaube ich, alle einig, dass uns die Investitionen am wichtigsten sind. Deshalb gibt es zwei Möglichkeiten: Steuererhöhungen oder höhere Schulden. Diese Debatte müssen wir führen, nicht die, ob wir Investitionen unterlassen sollten.

Ist die Schuldenbremse noch zeitgemäß?

Horn: Ich habe sie von Anfang an bekämpft, weil ich das mechanistische und juristische Verständnis von Schulden für unpassend halte. Wenn es nach mir ginge, würde die Schuldenbremse aus dem Grundgesetz gestrichen, natürlich nach ökonomischer Abwägung. Zumindest Investitionen sollen nicht auf sie angerechnet werden.

Sigl-Glöckner: Bei Fiskalpolitik geht es immer auch um Vertrauen. Vor diesem Hintergrund hat die Schuldenbremse institutionell einen gewissen Sinn, weil sie das Vertrauen vermittelt, dass es mit der Finanzierung des Staates gut geht. Sie von einem auf den anderen Tag aus dem Grundgesetz zu streichen halte ich daher für falsch. Trotzdem sollten wir überlegen, wie wir sie sinnvoll schrittweise reformieren können, zum Beispiel durch die überfällige Überarbeitung der Konjunkturkomponente.

Zwei Entlastungspakete hat es bereits gegeben. Was kann darüber hinaus getan werden, um die Folgen der Inflation abzufedern?

Sigl-Glöckner: Ziel sollte sein, dass alle genug in der Tasche haben, um ihre Rechnungen zu begleichen. Möglichst effizient erreicht man das mit direkten staatlichen Zahlungen. Die passgenau hinzubekommen ist jedoch schwierig. Daher sollte der Staat Pauschalen auszahlen und sie denen wegbesteuern, die sie nicht benötigen. Die im September kommende Energiepreispauschale funktioniert so ähnlich. Erwerbstätige bekommen über ihren Arbeitgeber 300 Euro ausgezahlt, Vielverdiener müssen über die Einkommenssteuer aber zumindest einen großen Teil wieder abgeben. Angesichts der aktuellen Lage brauchen wir dringend einen Mechanismus, über den der Staat direkt auszahlen kann, ohne den Umweg über Arbeitgeber zu gehen und wirklich alle Erwerbstätigen -insbesondere Leute mit kleinem Einkommen- zuverlässig und zeitnah erreicht.

Horn: Richtig, wir brauchen einen Transfermechanismus, mit dem wir jeden Haushalt erreichen können. Das klingt einfach, muss aber von der Politik erst umgesetzt werden. Anders als noch vor einem halben Jahr sind wir jetzt in einer Phase eines sehr spezifischen Angebotsmangels. Deshalb braucht es jetzt eine Angebotspolitik der Zukunftssicherung. Und die wiederum braucht eine Investitionspolitik in eine ökologisch-nachhaltige Produktion, in die Digitalisierung, in den Arbeitsmarkt und in Mobilitätskonzepte. Das ist eine Anti-Inflationspolitik, die nachhaltig ist.

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Moderne Wirtschaftspolitik

Ja das brauchen wir, aber das o.a Interview vergisst das Wesentliche. Das Einzige was soziale Härten ausgleichen soll sind Transferleistungen aus dem "Steuersäckel", aber an der martbeherrschenden Stellung vieler Akteure soll nicht gerüttelt werden.
Der Gas-, Elektritzitäts- und Sonstwas-"Versorgern" geht es doch nicht um die Versorgung der Menschen hier mit erschwinglichen Gütern, sondern einzig und allein um Marktbeherrschung und Profit. Diese Erkenntnis hatte die deutsche und internationale SOZIALDEMOKRATIE, samt geeigneter Gegenmaßnahmen, aber durch die neoliberale Globalisierungspolitik ist da wohl das letzte Fünktchen Erkenntnis verloren gegangen.

Güter können, und das ist der entscheidende Punkt,

nicht erschwinglich sein, wenn sie so knapp sind, dass sie die Nachfrage nicht befriedigen können. Da hilft es auch nicht, noch mehr Geld ins Spiel zu bringen, als so schon vorhanden, und dies mit fataler Wirkung, denn das viele Geld muss sich ja ein Werthaltiges Produkt suchen, also vorrangig Wohnungen. So wird der Preis durch die Nachfrage nach Wohnungen in die Höhe getrieben, auf eine Art und Weise, die auf die Mieten nicht ohne Einfluss bleiben kann. Zudem wird mehr Wohnung nachgefragt allein durch die gut 200000 Neubürger jährlich, als durch Wohnungsbau nachgefertigt werden kann. Dann sind auch noch die Baustoffe knapp, ebenso wie die Fachkräfte, so dass auch hier der Mangel die Preise treibt- für noch mehr Geld muss es dann zwangsläufig noch weniger Wohnungsneubau geben.So steigen auch die Preise zwischen Planung , Baubeginn und Fertigstellung derart, dass entweder der Ba gar nicht begonnen wird, oder dass er zwar Fertiggestellt wird, aber das Bauunternehmen in die Insolvenz führt, weil es zum vereinbarten Preis nicht mehr hat bauen können