Rezension; Christian Ude: "Mein Pinselohrschwein"

Für Tierfreunde und Radfahrer

Stefan Grönebaum05. Mai 2011

Lassen wir beiseite, woher der begeisterte politische Kümmerer Ude die Zeit für seine vergnüglich-bissigen Büchlein nimmt. Wer sie liest, nimmt jedenfalls teil an dessen kabarettistischem
Talenten für jenes Brettltheater, das man landläufig (Kommunal-)Politik nennt. Und Ude ist nach 18 Jahren als OB so sehr Marke für sich, dass er in seinen neuesten satirischen
Politikbetrachtungen angenehmerweise ohne Vor-, Grußwort oder sonstige Präliminarien auskommt.

Schweine und Nilpferde

Was lernen wir? Dass es München unter Ude wirklich gut geht: Wo sonst auf unserem unruhigen Erdball kann es sich eine Stadt leisten, zum 850. Geburtstag die Schweine zurück zu züchten, die vor
850 Jahren ihre Gassen durchwühlt haben? Oder was ist von einer Opposition zu halten, die wie Münchens CSU öffentlich behauptet, "der rote OB" vertreibe das Nilpferdpärchen nur deshalb aus dem
Zoo, um "sein" Pinselohrschwein besser zu stellen?

Das Schwein hat übrigens den OB böse in den Bauch gezwackt. Schließlich bietet der durchaus von sich eingenommene OB ein persönlich eingefädeltes Happy End auf: Das nach Caracas ausgelagerte
Nilpferdpaar zeugte dort endlich Nachwuchs. So sorgte er höchstselbst für das Nilpferdglück im tropischen Süden.

Eigene Eitelkeit und personalisierte Politik

Die eigene Eitelkeit nimmt Ude im zweiten Teil auf die Schippe: So wenn er den "abscheulichen" Capo Circeo-Pokal in Rom erhält und erleben muss, dass er ihn mit den 27 deutschen Schäferhunden
aus der TV-Serie "Kommissar Rex" teilen muss. Scharfe Kritik fehlt auch nicht, wenn Ude an Münteferings Rücktritt als SPD-Chef 2005 beschreibt, wie hanebüchen personalisiert die "hohe Politik"
der letzten Jahre verlief: "Fragen Sie jetzt bitte nicht, wer eigentlich Kajo Wasserhövel war!".

Ein Lieblingsthema ist seine scharfe Sprachkritik - zum Beispiel am Reformdeutsch der Agenda 21: Von ALB über Prekariat bis SGB II alles glatt am Volksverständnis vorbei. Schließlich kriegen
auch die bayerischen Eliten ihr Fett weg: Die katholische Kirche für ihre Haltung zur Frau von der Hexenverfolgung bis zur verteufelten Privatbankerin Adele Spitzeder. Leicht ungerecht seine
Kritik an der Süddeutschen Zeitung, der er viele, viele schöne Kolumnen verdankt´.

Humor und Selbstironie erden

Sein Gang durch die Münchner Jahreszeiten verrät Ude regelmäßige Zutaten: Genaues Hinschauen und Aussprechen was ist, in klarer Sprache, gewürzt mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer
Bedeutung, viele anschauliche Beispiele - die liefert das Millionendorf München frei Haus - und eine starke Erdung durch Humor und Selbstironie. Hinzu kommen eine nahezu archaische Barmherzigkeit
mit dem Gegner (in der Lieblingsrolle die Münchner CSU) sowie eine enorme Standfestigkeit (so lässt sich der 1860-Fan Ude alljährlich geduldig bei den Meisterfeiern von FC Bayern-Fans
auspfeifen). Das zusammen genommen ist mehr, als man vielen zeitgenössischen Büchern nachsagen kann.

Blau-weiße Idylle

Zu alledem gehört ein großer Stolz auf München: Niemand kann wie Ude ironiefrei die Einmaligkeit des Oktoberfestes beschwören. Er lobt Münchens Aufgeschlossenheit, streitet meinungsstark für
Radfahrer und gegen Jogger, Autostenze und Fitnessfanatiker. Wenn man Ude kritisieren darf, dann hier: Seine Urteile sind alles andere als fair, er nimmt die Bürgerbeteiligung aufs Korn
(natürlich nicht nur, weil er so den Hochhausentscheid verloren hatte) und geht auch an anderen großen Themen vorbei: Die heftigen sozialen Gegensätze im reichen München, die im Tatort am 10.
April wunderbar aufgezeigt wurden, kommen bei ihm kaum vor. Auch Fragen der Demografie, Integration oder der Umwelt verschwinden hinter diesem Bild weiß-blauer Idyllik, das Ude zeichnet.

Mag sein, dass die Jahre an der Spitze den einstigen Mietrechtsanwalt etwas milder gestimmt haben. Als linker Gesellschaftskritiker wäre Ude stets eine Fehlbesetzung gewesen. So ist er der
ideale OB für das älteste rot-grüne Großstadtbündnis Deutschlands. Kurz: Ein Buch auch für Nicht-Münchner, wahre Tierfreunde und begeisterte Radfahrer (außer in der Politik). Man muss das nicht
gelesen haben, aber man wird auf eine kluge Weise zum lachen gebracht und fühlt sich nachher besser.

Christian Ude: "Mein Pinselohrschwein und andere große Tiere", Piper Verlag München 2011, 204 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 9783492054492

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