Junge Außenpolitik

Warum das Thema Migration Chance für feministische Außenpolitik ist

Sonja Molina17. April 2023
Eine Studentin arbeitet an Solaranlagen in einer Ausbildungseinrichtung für Solartechniker*innen in Nairobi: Außenpolitik muss auch die Rechte, Ressourcen und Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen fördern.
Eine Studentin arbeitet an Solaranlagen in einer Ausbildungseinrichtung für Solartechniker*innen in Nairobi: Außenpolitik muss auch die Rechte, Ressourcen und Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen fördern.
In ihrem Positionspapier zur „Zeitenwende“ begreift die Kommission Internationale Politik der SPD das Thema Migration als außenpolitische Frage. Das ist gut, wird Migration im politischen Diskurs doch häufig auf innenpolitische Aspekte begrenzt.

Die Organisation von Flucht und Asyl, die Bewältigung des Fachkräftemangels und die Weiterentwicklung der Entwicklungszusammenarbeit sind essenzielle Zukunftsfragen. Es lohnt sich deshalb, die Schwerpunkte der Kommission Internationale Politik (KIP) zu diesem Thema zu diskutieren. Denn: Migrationspolitik bietet eine Gelegenheit, feministische Außen- und Entwicklungspolitik anzuwenden, ungleiche Machtverhältnisse zu durchbrechen und faire Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden.

Kein klares Bekenntnis zur Seenotrettung

Die Kommission fordert zuerst das „Ende des „Sterben[s] und Leiden[s] an den europäischen Außengrenzen“ und eine „wertebasierte Flüchtlings- und eine kooperative Migrationspolitik“ in Europa. Dieser Abschnitt ist wichtig, aber abstrakt. Es fehlt sowohl ein klares Bekenntnis zu Seenotrettung als auch jegliche Konkretisierung zur Wahrung des Menschenrechts auf Asyl innerhalb der eigenen Grenzen. Die deutsche Gesellschaft muss Bedarfe antizipieren, nicht zuletzt, da unsere Lebensweise und Geschichte dazu beitragen, dass große Gebiete der Erde in absehbarer Zeit unbewohnbar werden.

Als Strategie schlägt die KIP den „Ausbau von Migrationspartnerschaften und die Förderung regelbasierter Migration nach Europa“ vor. Außerdem soll „gemeinsam mit Partnerländern die zirkuläre Migration“ erweitert und attraktiver gestaltet werden, „um Entwicklungspotentiale von Migration stärker zu nutzen.“ Über Entwicklungseffekte von Migration wird aktuell intensiv geforscht. Die angenommenen Impulse ergeben sich aus Geldsendungen der Migrant*innen in ihre Herkunftsländer, Wissenstransfers und Kapazitätsaufbau im Rahmen des Programmes, etwa durch die Einrichtung von Bildungsstätten im Herkunftsland.

Prinzipien feministischer Außenpolitik nutzen

Ein Beispiel ist das Projekt Triple Win, bei dem Migrant*innen aus Partnerländern in Deutschland eine Ausbildung zur Pflegefachperson absolvieren und im Anschluss im hiesigen Gesundheitssystem arbeiten. Das Projekt bietet den Teilnehmenden eine langfristige Bleibeperspektive. Andere Programme setzen auf Zirkularität, bei der Migrant*innen mehrfach Aufenthalte im Zielland absolvieren und dazwischen in ihr Herkunftsland zurückkehren.

Arbeitgeber*innen erlaubt dies die flexible Einstellung von Arbeitskräften in Zeiten der Hochkonjunktur. Für Migrant*innen bedeutet Zirkularität jedoch oft rechtliche Unsicherheit, geringe Vergütung, provisorische Unterbringung und lange Arbeitszeiten. Weil dauerhafte Einwanderung mit Familiennachzug mit hohen Barrieren verbunden ist, schafft zirkuläre Migration außerdem transnationale Familien und Betreuungslücken.

Die KIP schreibt, Zirkularität fördern zu wollen. Wenn der Anspruch deutscher Außen- und Entwicklungspolitik ist, marginalisierte Menschen besonders zu schützen, kann dies jedoch nicht die Lösung sein. Stattdessen sollten die Prinzipien feministischer Außenpolitik angewandt werden, nämlich, die Rechte, Ressourcen und Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen zu fördern.

Rechte, Ressourcen, Repräsentation

Konkret hieße das: Migrant*innen brauchen eine Bleibeperspektive und die Möglichkeit des Familiennachzugs. Sie müssen ihren Kolleg*innen mit deutscher Staatsbürgerschaft rechtlich gleichgestellt sein. Sie benötigen ausreichende finanzielle Ressourcen sowie umfassende Unterstützung bei der Integration. Bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Migrationspartnerschaften müssen sie auf Augenhöhe beteiligt sein.

Ein Begriff muss jedes Nachdenken über Migration prägen: Dekolonialität. Das Beispiel der Pflege demonstriert, warum dies nötig ist. Beschäftigte verlassen in Deutschland aktuell in großem Stil wegen inakzeptabler Arbeitsbedingungen die Branche. Diese Arbeit gezielt an marginalisierte Menschen auszulagern, statt das Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren und Care-Arbeit wertzuschätzen, ist zynisch. Hier verfestigen sich koloniale und patriarchale Machtverhältnisse.

Die Weiterentwicklung von Migrationspartnerschaften ist jedoch eine Chance, diese Muster zu durchbrechen. In Programmen, die die Rechte, Ressourcen und Repräsentation der Migrant*innen in den Mittelpunkt stellen – darin läge eine genuin sozialdemokratische Antwort auf eine Welt im Umbruch.

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Kommentare

merkwürdig, mittels Boot kommen

doch kaum Frauen- daher muss es verwundern, dass gerade hier die Feminismuskomponente zum Tragen kommen soll. Geht es darum , den ankommenden Männern zu vermitteln, welche Stellung der Frau in ihrer neuen Heimat zukommt? Das würde ich ja unter dem Gesichtspunkt der Integration sehr begrüßen und verstehen, das kommt aber nicht so heraus aus dem Artikel

Vielleicht werden ja von den

Vielleicht werden ja von den jungen Männern im heiratsfähigen Alter noch einige in die Ukraine weitergeleitet. Dort werden junge Männer Mangelware sein.

KIP

Der Beitrag der Autorin Sonja Molina wirft zu KIP berechtigterweise kritische Fragen auf. Diese Fragen müssen weiter positiv erörtert werden.

Unabhängig davon: Als 1953 Geborener kann ich mit Attributen wie
Feministischer Außenpolitik eher weniger anfangen. Außenpolitik muss immer hochqualifiziert sein. Das ist das allein Entscheidende. Wenn Außenpolitik dann 'feministisch' ist, ist dagegen nichts einzuwenden.