
Irgendwann fällt dieser Satz, der besonders nachdenklich macht. Rücksichtslose Konzerne mögen ihre Macht ausspielen, um Dinge zu vertuschen. Doch das eigentliche Problem beim Umgang mit den gesundheitlichen Risiken von Handy und Smartphone sind die Verbraucher. Weil sie nicht wahrhaben wollen, was nicht wahr sein kann: Dass ihr liebstes Spielzeug, dass zunehmend ihren Alltag steuert, sie krank machen könnte. Was wäre die Macht der Industrie ohne diese Haltung?
Gesundheitsgefahren der mobilen Telefonie
Gerade darin liegt die Stärke von „Thank you for calling“: Immer wieder kehrt Klaus Scheidstegers Film zu der Frage zurück: Was hat das Ganze mit uns zu tun? Gleichwohl breitet der Regisseur ein breites Panorama aus Schauplätzen, Zahlen und Argumenten aus, die sich um eines der Schlüsselthema der Wirtschaft im 21. Jahrhundert ranken: Wie Elektronikriesen Gesundheitsgefahren der mobilen Telefonie vom Tisch wischen und jegliche unabhängige Forschung dazu diskreditieren, wenn nicht gar die Wissenschaftler selbst beruflich wie persönlich fertigmachen
Löst der Handykonsum Krebs aus? Etliche Mediziner halten das zumindest für möglich. Auch eine Untersuchung im Auftrag der US-Regierung kam in diesem Jahr zu diesem Ergebnis. Die Mobilfunkbranche, einer der am stärksten wachsenden Industriezweige streitet das ab und verweist auf entsprechende Grenzwerte bei der Strahlung. Für sie steht viel auf dem Spiel. Pro Jahr setzen die Unternehmen weltweit rund 17 Billionen Dollar um. In der westlichen Welt gibt es mittlerweile mehr Handyverträge als Bewohner. Allein die Zahlen zeigen: Wer Apple, Samsung und Co. am Zeug flicken will, lässt sich auf einen Kampf zwischen David und Goliath ein.
Von diesem Kampf erzählt „Thank you for calling“. Und auch davon, dass er keinesfalls vergeblich sein muss. Der Aufhänger für den Film sind laufende Schadenersatzklagen in den USA, die vom Superior Court in Washington zu einer „Sammelklage“ zusammengefasst wurden. Die Kläger sind Tumorpatienten oder deren Hinterbliebene, die die Mobilfunkkonzerne für die Erkrankungen zumindest mitverantwortlich machen. Einige der Betroffenen lässt Scheidsteger in Archivaufnahmen zu Wort kommen. In ihren Schicksalen äußert sich die ganze Dramatik dieses Stoffes. Dass die Klagen überhaupt zugelassen worden sind, ist angesichts der Lobbyarbeit des Branchenverbandes CTIA das sensationelle Etappenziel eines Langstreckenlaufs, den der Film bis in die frühen 90er-Jahre zurückverfolgt.
Krieg der Lobbyisten gegen Wissenschaft
Wobei hier eher von einem Krieg der Lobbyisten gegen wissenschaftliche Objektivität die Rede sein müsste: Dreh- und Angelpunkt der Erzählung ist das „War Game Memo“ – das Strategiedokument einer US-Lobbying-Agentur erklärt, wie man unabhängige Forschungsergebnisse zu Handystrahlen unglaubwürdig erscheinen lässt und stattdessen die Öffentlichkeit mit eigenen Studien füttert. Und damit beruhigt. Was das bedeutet, wird an der zentralen Figur der Dokumentation deutlich: In den Neunzigern beteiligte sich der prominente Biologe John Carlo im Auftrag der Industrie an Labortests. Als die Erkenntnisse über Genschäden verheimlicht werden sollen, wechselt er die Seiten und zahlt dafür einen hohen Preis. Heute begleitet er als einer von vielen Gutachtern die Washingtoner Klagen.
Einige von ihnen kommen aus Europa. Sie erzählen davon, wie ihre Forschung auch hierzulande immer wieder auf Hürden stößt und Verleumdungskampagnen ausgesetzt ist. Reicht der Arm des „War Game Memo“ bis nach Wien oder Athen? Vieles spricht dafür. Unumstößliche Urteile sind Scheidstegers Sache allerdings nicht. Übrigens auch nicht der Wissenschaftler, deren Analysen ebenso knapp wie anschaulich präsentiert werden. Es geht ihnen nicht darum, die Mobilfunkindustrie zu vernichten, sondern auf mögliche Gefahren hinzuweisen und mit den Anbietern nach Lösungen zu suchen. Dass sich kein einziger Konzernvertreter vor der Kamera äußert, spricht für sich.
„Thank you for calling“ (Österreich/Deutschland 2015), ein Film von Klaus Scheidsteger, 85 Minuten. Jetzt im Kino