Bundesumweltministerin

Svenja Schulze: „Eine Wirtschaftskrise ist kein Klimaschutzkonzept.“

Kai Doering28. April 2020
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Anders als beim Kampf gegen das Coronavirus kennen wir die Impfstoffe gegen die Klimakrise bereits.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze: Anders als beim Kampf gegen das Coronavirus kennen wir die Impfstoffe gegen die Klimakrise bereits.
Beim Petersberger Klimadialog stand neben der Klima- die Corona-Krise im Mittelpunkt. „Jetzt haben wir die Gelegenheit, den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Corona-Krise an unseren Umwelt- und Klimazielen auszurichten“, ist Bundesumweltministerin Svenja Schulze überzeugt.

Seit dem weltweiten Ausbruch des Corona-Virus sinkt der CO2-Ausstoß deutlich, die Umwelt erholt sich an vielen Stellen sichtbar. Können Sie sich in Anbetracht der aktuellen Situation darüber freuen?

Nein, es  freut mich nicht, wenn wir eine gravierende globale Krise  durchleben, in der Menschen sterben. Mir geht es darum, dass möglichst viele Menschen ein gutes Leben führen können. Heute und in der Zukunft. Da helfen mir abstrakte Zahlen wenig. Zudem hilft uns der temporäre Emissionsrückgang perspektivisch nicht. Um unsere Klimaschutzziele zu erfüllen, brauchen wir keinen kurzfristigen, sondern einen strukturellen Rückgang der Emissionen, also eine nachhaltige Klimapolitik. Eine Wirtschaftskrise ist kein Klimaschutzkonzept.

Nach dem Ende der Beschränkungen wird die Wirtschaft wieder anlaufen, die Menschen werden wieder deutlich mehr unterwegs sein. Werden CO2-Ausstoß und Umweltausbeutung dann umso stärker zunehmen?

Das kann man heute noch nicht genau abschätzen. Denn das hängt davon ab, was wir politisch entscheiden. Ob die Emissionen nach der Pandemie zunehmen und jene vor der Corona-Krise sogar übertreffen, wird damit zusammenhängen, wie wir mögliche Konjunkturprogramme ausgestalten und welche Lehren wir aus der Corona-Krise ziehen. Ich möchte, dass wir aus der Krise gestärkt herauskommen. Mit Entscheidungen und Investitionen, die zu mehr Klimaschutz und mehr Gerechtigkeit beitragen. Die dauerhaft klimafreundliche und soziale Alternativen zum alten, fossilen Wirtschaftsmodell voranbringen. Die Bundesregierung hat mit ihrem Klimaschutzprogramm letztes Jahr die Weichen richtig gestellt.

Gemeinsam mit rund 200 anderen Politiker*innen, Unternehmenschef*innen, Gewerkschaftsvertreter*innen und Nichtregierungsorganisationen haben Sie kürzlich in einer Zeitungsanzeige einen „grünen Aufschwung“ nach der Corona-Krise gefordert. Wie soll der aussehen?

Wir brauchen neue Wege, um unseren Wohlstand zu sichern und auch anderen die Möglichkeit zu geben, daran teilzuhaben. Der gerechte Übergang dahin, die just transition, muss sich an unseren Klimazielen orientieren, den nötigen Rückenwind für eine klimaneutrale Wirtschaft in ganz Europa und möglichst weltweit geben und uns helfen, künftige Herausforderungen gemeinsam zu meistern.

Anders als beim Kampf gegen das Coronavirus kennen wir die Impfstoffe gegen die Klimakrise bereits. Sie sind verfügbar, sie sind bezahlbar und sie machen unser Leben besser: Das sind: Energie aus Wind und Sonne, Elektromobilität, grüner Wasserstoff für die Industrie, eine geschlossene Kreislaufwirtschaft, Ressourceneffizienz und Recycling, energieautarke Gebäude, eine resiliente Landwirtschaft und vieles mehr.

Wir kommen aus der Krise nur mit Investitionen heraus. Das bringt einen doppelten Nutzen: für Wirtschaft und Beschäftigung und für den Klimaschutz. Daher spreche ich mich dafür aus, die kommenden Konjunkturprogramme im Sinne des Klima- und Umweltschutzes und der sozialen Gerechtigkeit zu gestalten.

Haben die durch die Krise geschwächten Unternehmen überhaupt genug Geld, um in Zukunftstechnologien zu investieren?

Zurzeit kämpfen viele Unternehmen infolge der Corona-Krise um das eigene Überleben – dies aktuell zu sichern, dafür tut die Bundesregierung derzeit sehr, sehr viel und hat Rettungsschirme für Beschäftigte und Unternehmen aufgespannt. Der Klimawandel verschwindet aber nicht einfach. Und deswegen muss auch weiter an der Bewältigung dieser Krise gearbeitet werden. Eine nachhaltige Unternehmenspolitik und eine gute Mitarbeiter*innenbeteiligung tragen auch zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Kluge Investitionen, z.B. in Zukunftstechnologien, gehören selbstverständlich dazu. Wo es sinnvoll und notwendig ist, wird die öffentliche Hand das unterstützen. Ich bin mir mit dem Finanzminister einig, dass wir als Umweltministerium uns hierbei aktiv einbringen und entsprechende Ideen entwickeln.

Auf der anderen Seite gibt es Forderungen, den Klima- und Umweltschutz zu lockern, um der Wirtschaft nach der Corona-Krise wieder auf die Beine zu helfen. VW-Chef Diess fordert ein Konjunktur-Programm für die Autoindustrie, unabhängig vom Antrieb. Wie groß ist die Gefahr eines Roll-back?

Mich stimmt optimistisch, dass so viele Unternehmen sich gerade aktuell für den Klimaschutz als Weg aus der Krise ausgesprochen haben. Fast 70 große deutsche Unternehmen appellieren an die Politik, Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise mit ambitionierter Klimapolitik zu vereinen. Und der Weg Richtung Treibhausgasneutralität in 2050 ist im Klimaschutzgesetz fest verankert. Diese Unternehmen haben erkannt, dass es keinen Weg zurück in ein fossiles Zeitalter gibt. Und bis auf einige wenige ewig gestrige, erlebe ich auch in der politischen Debatte sehr viel Rückhalt für diese Position. Diesen Rückenwind sollten wir nutzen und nun kluge politische Entscheidungen treffen. Sie müssen für ökonomische Stabilisierung sorgen und auf den sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft einzahlen. Deshalb habe ich unter anderem den Vorschlag für eine Innovationsprämie gemacht. Es steht außer Frage, dass wir unserer Automobilindustrie helfen müssen. Sie ist ein zentraler Anker für industrielle Wertschöpfung und gute Arbeit. Da wir gleichzeitig etwas für den Klimaschutz machen wollen, fordere ich, dass mit der Innovationsprämie ausschließlich der Kauf von Elektro- und Hybridfahrtzeugen gefördert wird.  

Die große Koalition will den Ausstoß von CO2 zum Beginn des kommenden Jahres besteuern. Beschlossen ist das aber noch nicht. Könnte es da wegen der Corona-Belastungen einen Aufschub geben?

Das stimmt so nicht. Die CO2-Bepreisung in Form eines nationalen Brennstoffemissionshandels in Deutschland einzuführen, wurde bereits im November 2019 vom Bundestag beschlossen und wird  planmäßig Anfang 2021 beginnen. Was noch nicht beschlossen ist, ist die Erhöhung des Preises als Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Das bringen wir nun aber gemeinsam mit den dort auch beschlossenen Entlastungen bei der EEG Umlage auf den Weg in das Kabinett. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass ein CO2 Preis als ein Element einer modernen Klimapolitik notwendig ist. Genauso bin ich weiterhin davon überzeugt, dass diejenigen, die glauben, mit einem solchen Preis alles steuern zu wollen, auf dem Holzweg sind.   

Lässt sich aus der Corona-Krise etwas für die Klima-Krise lernen?

Mir ist wichtig, dass wir die beiden Krisen nicht gegeneinander ausspielen. Die Covid-19-Pandemie ist Ergebnis einer Ausbeutung der Natur und der Zerstörung tierischer Habitate. Sie führt uns vor Augen, wie verletzlich wir sind, und macht die Bedrohung durch den unsichtbaren Virus spürbar. Auch der Klimawandel wird zunehmend sichtbar – weltweit, aber auch in Deutschland. Ich mache mir nach den Dürren in den letzten beiden Jahren Sorgen, dass sich der Klimawandel auch in Deutschland beschleunigt.

Jetzt haben wir die Gelegenheit, den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Corona-Krise an unseren Umwelt- und Klimazielen auszurichten. Dafür setze ich mich vehement ein.

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Kommentare

Nachdenken

Elektroautos mit hunderten von PS brauchen wir genausowenig wie VerbrennerSUVS, aber Menschen brauchen Mobilität. Die Förderung von Herrn Tesla durch die brandenbugische Regierung ist auch nur dem Hang nach Großprojekten geschuldet, das Geld wäre im ÖPNV sinnvoller angelegt. Werte Frau Schulze: noch sind Solar- und Windgenerierte Elektrizität gedeckelt. Und der "grüne" Wasserstoff ? Dann die Landwirtschaft: Biogas aus Mais. wo jedes Bauerkind weis, daß Mais den Boden auszehrt und auf Dauer zu Humusverlust führt? Futtermittelimporte (soziale und ökologische Lieferkette ???) um damit Hühnchen- Schweinefleisch für den Export zu produzieren ? Die Gülle, also das Nitrat fürs Grundwasser bleibt hier, ebenso wie der Profit für Tönnies + Co. samt den Baronen denen die Mästereien gehören, bei Niedrigstlohn für die Beschäftigten ? Lokal, regional: Zeigen sie mir hier in Brandenburg mal Getreidemühlen, die über das Tütchenweise Biosegment hinaus produzieren, im Spreewals gibt es noch eine. Lokale Bäckereien oder Schlachtereien, es wurden die letzten Jahre hier in Nordbrandenburg immer weniger. Dem kapitalgetriebenen Strukturwandel kommt man mit günen Sprüchlein nicht bei.

Jetzt wo die Wirtschaft gegen

Jetzt wo die Wirtschaft gegen die Wand zu fahren droht, kommt die Stunde der Klimaschützer. Aber was wollt ihr denn da noch schützen? Das Ökoparadies steht doch schon unmittelbar vor der Tür!

Eine Helmut Schmidt-SPD hätte mit dem Moralismus und dem Rigorismus, den die Klimaschützer an der Tag legen, nicht viel anfangen können.

Willy Brandt oder Helmut Schmidt-SPD?

" Ist es wirklich so, dass wir unseren Nachkommen einen zerstörten Planeten hinterlassen wollen – mit sich ausdehnenden Wüsten, ausgeplünderten Böden, verschandelten Landschaften, einer kranken Umwelt?" hat Willy Brandt die Helmut-Schmidt-SPD gefragt (Einleitung zum Nord-Süd-Bericht, 1980).
Die Schmidt-SPD hat sich durchgesetzt, die Freude darüber sei Ihnen gegönnt. Die Wüstenbildung in Europa schreitet voran, die Trinkwasserkrise ist schon da, den Klügeren unter unseren Nachkommen bleibt nur noch die Forderung nach der Notbremse. Armin Christ zeigt, dass er die Herausforderung begreift, Svenja Schulzes Beitrag, dass sie nicht begreifen will. Ohne eine Begrenzung von Wirtschaft und Konsum ist das Ende der menschlichen Zivilisation unvermeidbar. Ohne eine Rettung der Böden, eine Umkehr zum Humusaufbau wird es für sie keine Nahrung mehr geben.
Den ganzen Budenzauber vom "nachhaltigen" Wachstum und "grünen" Deals entlarvt Svenja Schulze eher ungewollt mit einem Satz: "Mir geht es darum, dass möglichst viele Menschen ein gutes Leben führen sollen".
Sonntags singen: "Alle Menschen werden Brüder". Alltags handeln: "Für alle reicht es nicht" (Heiner Müller zur Industriegesellschaft).

Wirtschaft

Wahrlich ! Auf einem ruinierten Planeten wird es schwer sein eine solidarische Gesellschaft aufzubauen in der die freie Entfaltung eines jeden Einzelnen die Voraussetzung für die freie Entfaltung Aller ist.
Solange "die Wirtschaft" bestimmt (altsozialdemokratisch: Diktatur der Bourgeoisie) solange sind wir von einer solchen Gesellschaft weit entfernt. Aber nun da wir ALLE wieder zur Kasse gebeten werden um "die Wirtschaft" zu retten, können wir auch mal deutlich machen: Was WIR bezahlen gehört UNS auch !!!!
Das ist nicht radikal, das ist LOGISCH.