Im Streit um das abgebrannte Flüchtlingslager Moria erhöht die SPD den Druck auf ihren Koalitionspartner. Am Montag sprach Parteichefin Saskia Esken von menschenunwürdigen Zuständen und dem Tiefpunkt einer Entwicklung, die beschämend sei für Europa. „Die SPD will dafür sorgen, dass Deutschland einen maßgeblichen Beitrag leistet, dass die Menschen dort möglichst schnell Hilfe und Rettung erhalten“, sagte sie auf einer Pressekonferenz in Berlin. Im Anschluss daran beschloss der Parteivorstand einstimmig die Resolution „Hilfe für Moria. Aufnahme von notleidenden Schutzsuchenden. Haltung zeigen und Hilfe leisten - mit Herz und Verstand.“
Humanitäre Hilfen vor Ort
In Kooperation mit der griechischen Regierung wolle man schnelle humanitäre Hilfe vor Ort leisten, „um diese menschliche Tragödie vor Ort zu entschärfen“, heißt es in dem Papier.
Neben den konkreten Hilfen vor Ort wolle man jedoch auch die Aufnahmebereitschaft vieler Bundesländer und Kommunen in Deutschland nutzen. „Allein 400 unbegleitete Kinder auf mehrere EU-Staaten zu verteilen und davon 150 nach Deutschland zu bringen, ist völlig ungenügend. Das kann nur ein erster, kleiner Schritt sein.“
Der dritte Schritt liege danach in einer solidarischen europäischen Asylpolitik. Deutschland müsse die EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um eine gerechte Flüchtlingspolitik zu entwickeln. So solle die EU künftig Städte und Kommunen direkt finanziell unterstützen, die sich bereit erklären, Geflüchtete aufzunehmen.
Scholz: 48 Stunden ist guter Maßstab
Die SPD drängt auf eine schnelle Lösung. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz erklärte, dass nach dem ersten Schritt, der Aufnahme von insgesamt 400 minderjährigen Geflüchteten durch acht europäische Staaten, nun ein zweiter Schritt folgen müsse. „Wir wollen unbedingt erreichen, dass jetzt schnell eine Klärung herbeigeführt wird“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Als Zeitplan nannte er 48 Stunden, was „ein ganz guter Maßstab“ angesichts der drängenden Herausforderungen sei. Dabei gehe es nicht nur um die aktuelle Hilfe für die Frauen, Männer und Kinder vor Ort in Moria, sondern um eine generelle Lösung der Flüchtlingskrise. „Es kann nicht bleiben, wie es jetzt ist und wir jedes Mal von Fall zu Fall gucken, was jetzt getan werden kann.“
Länder und Kommunen als Teil der Lösung
Die Situation auf den griechischen Inseln sei nicht neu, doch sei sie durch die humanitäre Katastrophe noch mal um eine vielfaches gewachsen, betonte SPD-Vizechefin Serpil Midyatli. Die Landesvorsitzende Schleswigs-Holsteins erklärte, dass die Bundesländer und mehr als 175 Kommunen, die sich der Initiative „Seebrücke - schafft sichere Häfen“ angeschlossen haben, ein Teil der Lösung seien. „Die SPD will den Weg für diese Bundesländer und die Kommunen freimachen und eine Lösung in den kommenden 48 Stunden herbeiführen“, so Midyatli.
Parallel erhöht die SPD auf Landesebene den Druck auf Innenminister Seehofer: Der Berliner SPD-Innensenator Andreas Geisel forderte am Wochenende die Einberufung eines Krisengipfels von Bund, Länder und Kommunen. „Viele Länder, Städte und Kommunen in Deutschland sind bereit Menschen aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen“, so Geisel am Wochenende in den Sozialen Medien. Die Stadt Berlin gehört zu den Ländern, die schon vor Monaten mit einem eigenen Aufnahmeprogramm zusätzliche Geflüchtete aufnehmen wollten, was bisher aber am Widerstand des CSU-Bundesinnenministers Horst Seehofer gescheitert war.
Auf dem geforderten Gipfel soll nach Informationen des Innensenats geklärt werden, welche Länder und Kommunen wie viele Geflüchtete aufnehmen könnten und wie die Aufnahme möglichst schnell organisiert werden kann. „Man braucht jetzt ein abgestimmtes und schnelles Vorgehen, um das Leiden der Menschen in den griechischen Lagern zu beenden“, so Geisel weiter.
Krisengipfel und Gesetzesänderung gegen Blockade
Doch dabei will es der Sozialdemokrat nicht belassen. Am Freitag will das Land Berlin im Bundesrat eine Gesetzesänderung vorschlagen, das eine Zustimmung des Bundesinnenministeriums für Landesaufnahmeprogramme überflüssig machen würde. Grundlage dafür ist eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes, auf das sich Seehofer bisher berufen konnte. Dort ist in Paragraf 23 die notwendige Zustimmung des Bundesinnenministers festgeschrieben. Die Idee aus Berlin ist nun, dass das Bundesinnenministerium darüber lediglich informiert werden muss, die Entscheidungshoheit ansonsten aber bei den jeweiligen Ländern liegt. Wenn die Landesregierungen also beschließen würden, Geflüchtete in ihren Bundesländern aufzunehmen, könnte Seehofer nicht mehr blockieren. Ob die Initiative eine Mehrheit im Bundesrat findet, ist allerdings noch unklar.
Andreas Geisel reist derweil am Montagabend nach Griechenland, um sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen. Eine Reise, die allerdings schon lange vor dem Feuer in Moria geplant war, heißt es aus dem Landesministerium. Vorgesehen sind Gespräche mit Hilfsorganisationen sowie ein Besuch in einem Flüchtlingslager im Umland von Athen.