SPD positioniert sich deutlich

Streit um EU-Gutachten: Warum Atomstrom nicht „grün“ ist

Benedikt Dittrich31. März 2021
Das Atomkraftwerk Leibstadt in der Schweiz, an der Grenze zu Deutschland. Landesgrenze ist der Rhein.
Das Atomkraftwerk Leibstadt in der Schweiz, an der Grenze zu Deutschland. Landesgrenze ist der Rhein.
Können Atomkraftwerke einen Beitrag zum Klimaschutz und zum „Green Deal“ leisten? Ein Blick über den deutschen Tellerrand zeigt: Darüber wird immer noch gestritten. Ein neues Gutachten für die EU-Kommission birgt neues Konfliktpotential.

Die erste Antwort aus der SPD ließ nicht lange auf sich warten: „Das hat mit der Realität wenig zu tun“, kritisiert die Bundestagsfraktion ein Gutachten für die EU-Kommission. In dem Entwurf wird Strom aus Atomkraft als nachhaltig beschrieben – also als Methode der Energieerzeugung, die auch mit den Klimaschutzzielen vereinbar wäre.

Grundlage dieser Bewertung ist Medienberichten zufolge ein Gutachten des Joint Research Center (JRC), des wissenschaftlichen Dienstes der EU-Kommission. Das JRC stuft Atomkraft darin als „grüne“ Geldanlage ein. Sollte die Kommission dieser Bewertung folgen, wären Investitionen mit Verweis auf den Green Deal und auch europäische Fördermittel für Atomenergie-Projekte unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit denkbar.

Befürworter*innen fordern Atomkraft-Subventionen

Ein Atommeiler als grüner Stromproduzent? Was in Deutschland nach Tschernobyl und Fukushima, nach jahrzehntelangen Protesten und Diskussionen um die Energiewende, heute als nahezu undenkbar gilt, ist in anderen EU-Ländern längst nicht entschieden. Die Bewertung des JRC könnte in anderen EU-Ländern, die wie etwa Frankeich nach wie vor einen Großteil ihres Energiebedarfs mit Atomkraftwerken decken, sogar im positiven Sinne für Aufsehen sorgen. Denn während in Deutschland der Atomausstieg Ende kommenden Jahres abgeschlossen wird, forschen andere Länder und energieerzeugende Unternehmen an neuen Reaktoren und planen neue Anlagen.

Die Pro-Atom-Staaten in der EU sehen den Erhalt oder gar den Ausbau der atomaren Energieerzeugung als wichtigen Baustein des Green Deals, der europäischen Nachhaltigkeits-Strategie. Als Beitrag, um aus der Kohle- und letztendlich auch der Gas-Verstromung auszusteigen, dabei die CO2-Emissionen zu senken und gleichzeitig eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist eine*r der lautstarken Verfechter*innen der Atomkraft, wie er jüngst erneut unter Beweis stellte: In einem Brief an die EU-Kommission forderte er zusammen mit den Regierungschefs aus Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechien, der Slowakei sowie Slowenien eine aktive Förderung der Atomkraft. Atomstrom leiste einen unabdingbaren Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel, soll es laut „Deutsche Welle“ darin unter anderem heißen. Frankreich deckt seinen Energiebedarf zu zwei Dritteln aus Atomkraft, weitere Investitionen in den Sektor sind nicht ausgeschlossen.

Auf deutscher, sozialdemokratischer Seite ist der Punkt indes klar: Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt eine Renaissance der Atomkraft im Schatten der Nachhaltigkeit ab. „Die Bundesrepublik Deutschland muss auf allen politischen Ebenen jeglichen Versuchen energisch entgegentreten, Atomkraft eine Zukunft in Europa zu geben“, fordern Matthias Miersch und Sören Bartol, beide stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Für beide Sozialdemokraten ist der Fall klar: Atomkraft sei nicht nachhaltig, produziere gefährlichen Müll, dessen Entsorgung weltweit nach wie vor ungelöst sei. „Was eindeutig nicht nachhaltig ist, darf deshalb auch im Rahmen der EU-Taxonomie nicht grün gelabelt werden“, kritisieren sie die JRC-Bewertung.

SPD kritisiert Euratom-Unterstützung des JRC

Dabei könnte sich die Bewertung auch direkt auf EU-Bürger*innen auswirken: Privatpersonen, die ihr Geld investieren, aber gerne nachhaltig anlegen möchten, könnten so zu Investor*innen in Atomenergie werden – wenn sie sich allein auf die Nachhaltigkeitskriterien der EU verlassen würden. In dem Zusammenhang kritisieren Miersch und Bartol auch die Gutachter des JRC selbst: Medienberichten zufolge wurden sie von der Euratom, der europäischen Atomgemeinschaft, mit mehr als 500 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre bedacht. „Die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission ist hier auch der falsche Ratgeber“, schlussfolgern die beiden Sozialdemokraten deswegen.

Und einen weiteren Punkt kritisieren Miersch und Bartol: Atomkraft sei nach wie vor unwirtschaftlich. Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist aus Sicht der SPD günstiger, selbst mit Blick auf mögliche technologische Fortschritte oder den Bau von effizienteren Reaktoren. „Die Atomindustrie sucht verzweifelt nach zusätzlichen Subventionen, die neue Anlagen wettbewerbsfähig machen sollen“, heißt es aus der SPD-Fraktion. Subventionen, EU-Fördermittel lehnen die Sozialdemokrat*innen im Bundestag deswegen rundweg ab. „Mit den Erneuerbaren Energien stehen wesentlich günstigere, sicherere und nachhaltige Energietechnologien zur Verfügung.“

Kommentare

Interessenlage

Schon im Kommunistischen Manifest steht, daß in einem Bourgeoisiestaat auch Bourgeoisiegesetze gemacht werden.
Da muss man sich in Sachen Atomkraftwerke wirklich nicht wundern, auch hier in diesem Lande war das so mit Unterstützung der SPD. Aber sie hat gelernt.
Immer noch weiß keiner wohin mit dem radioaktiven Abfall, aber das soll doch die Quartalsbilanzen der Atomkonzerne nicht mindern.
Die SPD muss endlich wieder sozialdemokratische Politik lernen, und da sollte die Frage im Vordergrund stehen: Wem nutzt das ???!!!

Atomstrom ist weder grün, rot noch sonstwas,

sondern einfach Strom. Gut wäre es, man würde die Bürger nicht verdummen. Denn Energie mit kindischen Eigenschaftswörtern (grün, rot ...) zu charakterisieren, verstellt den Blick auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Sachverhalte.

Wenn Physiker, Chemiker und Ingenieure des JRC den aus Kernkraftwerken stammenden Strom einfach als Strom ansehen, muss man ihnen schon mit sachlichen Argumenten und naturwissenschaftlichen Sachverhalten begegnen, was man nicht kann. Es sei denn, man erfindet eine ganz neue Physik.

Und was die Zukunft an technischen Fortschritten bringt, weiss heute noch niemand, denn Naturwissenschaften sind keine religiösen Dogmen.

Atomstrom

ist gar nicht so übel, hat auch mehr Power als der Ökostrom

extrem grüner Steim

Es spricht sich rum: D wird "grün", die "Verbrenner" sind weg, die eAutos fahren im Winter eher wenig und angeheizt, die kalte Wohnung sowieso, die "smarten digitalen Stromzähler" schalten uns smart den Strom ab, ... , ja, da wird die "Kernkraft" als "Brückentechnologie" den Klima bewussten Bürger*Innen schon akzeptabel sein

Weil Brennstäbe nicht am Uranbaum wachsen

Erzabbau, Verhüttung, Konzentration (wenn durch Gasultrazentrifugen dann davor noch Verdampfung), nach Nutzung dann der Jahrzehntausende strahlende Restmüll und Giftmüll.
In dieser Verarbeitungskette macht die Wärmeenergie die dann letzten Endes den erwünschten elektrischen Strom per Dampfturbine erzeugt nicht gerade den größten Teil aus und es ist stark anzunehmen, das die ganzen Umweltschweinereien vor und nach der eigentlich gewollten Nutzung die "Umweltbilanz" von Atomstrom ziemlich negativ ausfallen lassen.

Aber so ein Gegenargument gegen profitable weil durch Kostenübernahme der Allgemeinheit "billige" Energie hat weder bei den sogenannten "Energiesparlampen", also den unrecyclebaren Quecksilberbomben noch bei der in den Himmel gejubelten "E-Mobilität" in irgendeiner Weise rechtzeitig Beachtung gefunden.