vorwärts-Gespräch

Streit der Generationen: Wie retten wir das Klima?

Kai Doering13. Dezember 2019
Erfahrung ist etwas, das schrecklich überbewertet wird. Mattias und Dietmar Nietan streiten über den richtigen Weg zu gutem Klimaschutz.
Erfahrung ist etwas, das schrecklich überbewertet wird. Mattias und Dietmar Nietan streiten über den richtigen Weg zu gutem Klimaschutz.
Der eine ist Bundestagsabgeordneter und hat für das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung gestimmt. Der andere ist bei Fridays for Future und findet das Klimaschutzgesetz viel zu wenig. Dietmar und Mattias Nietan sind Vater und Sohn. Wir haben sie zum Gespräch getroffen.

Mitte November hat der Bundestag das Klimaschutzgesetz beschlossen. Sie, Dietmar Nietan, haben als Abgeordneter selbst mit abgestimmt. Wie bewerten Sie das Gesetz?

Dietmar Nietan: Das Klimaschutzgesetz ist ein erster Schritt, den es ohne die SPD ja gar nicht gegeben hätte. Dass dieses Klimaschutzgesetz noch nicht in allen Punkten den Dingen entspricht, die ich mir oder auch die SPD sich gewünscht hätte, ist klar. Entscheidend ist, dass wir nun überhaupt ein Klimaschutzgesetz haben und dass uns die Sektorenziele, die wir als Parlament vorgeben und jährliche überprüfen, eine Chance sind, das Gesetz kontinuierliche anzupassen und zu verbessern.

Mattias Nietan: Der Aussagen, dass das Klimaschutzgesetz wirklich nur ein erster Schritt ist, kann ich zustimmen. Allerdings sind wir ein paar Jahrzehnte zu spät für erste kleine Schritte. Das Gesetz ist zum jetzigen Zeitpunkt viel zu wenig.

Können Sie die Kritik verstehen – als Politiker, aber auch als Vater eines jungen Menschen?

Dietmar Nietan

Dietmar Nietan: Natürlich kann ich das verstehen. Weil die Politik viele Jahre gebraucht hat, um überhaupt in einen Arbeitsmodus zu kommen, stehen wir jetzt unter einem enormen zeitlichen Druck beim Klimaschutz. Deshalb finde ich es auch richtig, dass es so eine Bewegung wie „Fridays for Future“ gibt, die den Finger in die Wunde legt. Wenn die jungen Menschen meinen, das Klimaschutzgesetz gehe nicht weit genug, ist es nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht, diese Kritik zu formulieren. Sie müssen aber auch anerkennen, dass Politik meistens ein langsamer Prozess ist und Kompromissen bedarf – zumindest solange sie auf demokratischen Regeln beruht, solange nicht eine Partei die absolute Mehrheit hat.

Mattias Nietan: Das ist mir sehr bewusst. Ich glaube auch, dass gerade die Punkte, die am Klimaschutzgesetz besonders zu bemängeln sind, nicht dadurch entstanden sind, weil die SPD weniger Klimaschutz machen möchte als der Koalitionspartner. Eigentlich sollte es einen überparteilichen Konsens geben, dass der Klimaschutz das entscheidende Thema für unser aller Zukunft ist. Im Bundestag herrschen in weiten Teilen eine Lethargie und ein Augenverschließen, dass Fakten einfach ignoriert werden und der Klimawandel als etwas Verhandelbares dargestellt wird.

Im September sind in Deutschland mehr als eine Million Menschen für den Klimaschutz auf die Straße gegangen. Trotzdem wurde nun ein – aus Sicht von „Fridays for Future“ – unzureichendes Klimaschutzgesetz verabschiedet. Frustriert das?

Mattias Nietan: Auf jeden Fall. Allerdings muss man auch sagen: So groß die Gruppe war, die da auf die Straße gegangen ist – gemessen an 82 Millionen Einwohnern war es noch immer eine Minderheit. Gerade bei Männern über 50 ist die Ablehnung des Klimaschutzes groß. Hier müssen wir die  „Unverhandelbarheit“ des Klimawandels noch deutlicher machen.

Dietmar Nietan: Es gibt für euch keinen Grund, jetzt den Kopf hängen zu lassen. Im politischen Geschäft muss man auch mit Rückschlägen leben. Wichtig ist, am Ball und im Gespräch zu bleiben – auch mit denen, deren Politik man kritisiert. Ich befürchte, dass sich in der Klimaschutzdebatte die Fronten gerade verhärten und dass das am Ende dazu führt, dass man nicht mehr miteinander spricht und sich nur konfrontativ gegenübersteht. Wir schaffen es aber nur, die Klimaschutzziele einzuhalten, wenn es auch einen gesellschaftlichen Konsens gibt, und nicht, wenn sich die Seiten radikalisieren.

Mattias Nietan: Aber wir brauchen eine Radikalisierung im Klimaschutz! Das bedeutet nicht, dass man zu undemokratischen oder kriminellen Mitteln greift, sondern dass man eben jetzt radikal handelt, weil es jahrelang verschlafen wurde. Natürlich müssen wir im Gespräch bleiben, aber dafür braucht man auch eine gemeinsame Basis. Wenn Politiker jegliche Fakten und Berichte von Wissenschaftlern ignorieren, ist es schwierig, mit ihnen zu reden. Dann fehlt schlicht die Gesprächsgrundlage.

Dietmar Nietan: Gerade deshalb ist es wichtig, dass ihr dranbleibt! Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht: Wir protestieren. Und wenn die Politik das, was wir fordern, nicht umsetzt, dann hat das keinen Zweck mehr oder dann ist allein die Politik schuld. Bei vielen der Fridays-for-Future-Leuten habe ich auch die Sorge, dass ihr Engagement monothematisch bleibt. Dabei geht es ja doch um grundsätzliche Fragen: Wie wirtschaften wir? Wie organisieren wir die Gesellschaft?

Mattias Nietan: Natürlich müssen wir auch über andere Themen sprechen, aber die Priorität muss ganz klar beim Klimaschutz liegen. Der fortschreitende Klimawandel wird die soziale weltweit Frage noch deutlich verschärfen. Je schlimmer der Klimawandel wird, desto schlimmer wird es erstmal für die unteren Bevölkerungsschichten.

Also keine Chance für einen Kompromiss, für den Ihr Vater wirbt?

Mattias Nietan

Mattias Nietan: Wir leben zum Glück in einer Demokratie und zu der gehört der Kompromiss. Das ist auch sehr, sehr gut so. Autoritäre Lösungen waren nie eine Option für Fridays for-future, auch wenn uns das gerne unterstellt wird. Allerdings müssen wir den Leuten bewusster machen, dass der Klimawandel kein Thema wie andere ist, bei denen man einen größeren Diskussionsspielraum hat. Wir müssen ganz klar sagen: Wenn man sich da nicht einigt und einige radikale Forderungen durchsetzt, gibt es keine Grundlage mehr für alles andere.

Dietmar Nietan: Ich merke am eigenen Leib, wie schwer es in einer Zeit, in der der Kompromiss nicht immer hochgeschätzt wird, ist, für einen Konsens noch Unterstützung zu bekommen. Nachdem die sogenannte Kohlekommission ihren Kompromiss gefunden hatte, dass der Kohleausstieg zwischen 2035 und 2038 stattfinden wird, habe ich darüber auch mit vielen Bergleuten gesprochen. Denen ging dieser Vorschlag schon zu weit. Bei den Aktivisten von Fridays for Future ist es genau anders herum. Die sagen: Was ist das für ein blöder Kompromiss? Das geht ja gar nicht schnell genug.

Mattias Nietan: Die Sorgen der Bergleute sind mir bewusst. Wir leben ja in einer Bergbau-Region. Aber es ist ja nicht so, dass man sie mit dem Kohleausstieg auf die Straße setzen würde. Es wird Programme geben und Umschulungen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien schafft neue Arbeitsplätze. Aus meiner Sicht hat die Debatte ohnehin einen viel zu starken Kohlefokus. Die Massentierhaltung in der Landwirtschaft und der Straßenverkehr kommen da häufig zu kurz.

Die kürzlich erschienene Shell-Jugendstudie hat ermittelt, dass die jungen Menschen in Deutschland sich wieder stärker politisieren und führt das auch auf die Klimaproteste zurück. Wie wollen Sie sie bei der Stange halten, Dietmar Nietan?

Dietmar Nietan: Indem wir uns etwa überlegen, wie wir sie an der jährlichen Evaluierung des Klimaschutzgesetzes beteiligen können. Gleichzeitig müssen wir diskutieren, was wir auch als Gesellschaft tun können, damit wir mit dem Klimaschutz vorankommen. Davon ausgehend sollten wir auch den Bogen spannen und darüber sprechen, wie ein neuer Internationalismus im 21. Jahrhundert aussehen könnte, damit die Welt insgesamt gerechter wird.

Mattias Nietan: Da sind wir eigentlich schon längst einen Schritt weiter. Fridays for future ist eine internationale Bewegung. Wir wissen natürlich auch, dass die Klimakrise nicht abgewendet ist, wenn Deutschland ein gutes Klimaschutzgesetz hat. Wirksamer Klimaschutz erfordert eine internationale Lösung.

Dietmar Nietan: Ich fände es gut, wenn wir – also Politik und Jugend – im guten Sinne des Wortes miteinander streiten. Dafür ist es wichtig, sich nicht frustrieren zu lassen. Es muss auch in einer sozialen Bewegung immer einen Hoffnungsüberschuss geben. Sonst kannst du das nicht durchhalten. Das sage ich jetzt mal mit meiner Lebenserfahrung.

Mattias Nietan:  Erfahrung ist etwas, das schrecklich überbewertet wird. Mit den Erfahrungen der aktuellen Entscheider sind wir ja gerade ziemlich an die Wand gefahren. Die Politik muss sich endlich an den wissenschaftlichen Fakten orientieren und ein anderes Bewusstsein dafür entwickelt, was notwendig ist. Und auch wenn gerade viele von diesem Klimaschutzgesetz frustriert sind, ist klar: Die Politik hat uns jetzt erstmal am Hals.

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Kommentare

Und wann werden wir Politiker

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Vielleicht kann aber jemand

Vielleicht kann aber jemand diese simplen Klimafragen beantworten, die in der derzeitigen Diskussion meines Erachtens so leider nicht vorkommen: https://www.klimafragen.org/16-Klimafragen.pdf

Vielleicht kann aber jemand

Herr Bunse, merken Sie nicht, welchen "Wissenschaftsfachleuten" Sie hier auf den umwelt- und klimapolitischen
Leim gegangen sind? In die gleiche Kerbe wie klimafragen.org schlägt z.B. EIKE e.V. Das ist alles Pseudowissenschaft, die interessengelenkt ist von den Kapitalfraktionen, die um ihre Profitmaximierung und Kapitalakkumulation fürchten, wenn die unverzichtbaren Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen Platz greifen würden.
Auch wird gern argumentiert, dass die Ökologische Frage die Soziale Frage ausblende. Das ist natürlich Komplettunsinn!
Die ökologische und die Soziale Frage sind zwei Seiten einer Medaille. Diese Fragen sind untrennbar verschränkt.
Diese Fragen müssen zusammen gedacht und zusammen gelöst werden - im Sinne der Umwelt, im Sinne der Verbraucher, im Sinne der Arbeitnehmer! Dazu ist eine Wirtschaftsdemokratie und eine Sozial-Ökologische Transformation unerlässlich. Z.B. Hans-Jürgen Urban, IG-Metall (!), hat dazu Profundes geschrieben!
Ich darf Ihnen den Hinweis geben z.B. auf die
NachDenkSeiten vom 16.12.2019
' Interview mit dem Physiker und Filmemacher Volker Arzt, der vor 41 (!) Jahren zusammen mit Hoimar von Ditfurth den
Klimawandel beschrieb '

Generationskonflikt ?

Die "Klimafrage" ist keine Generationenfrage, sondern eine Frage von rationaler Analyse und daraus resultierendem Handeln und auf der anderen Seite von Pragmatismus, was nichts anderes bedeutet als die Unterordnung der Lebensinteressen der Menschen und der ganzen Biosphäre unter die Interessen der "Wirtschaft".
Die Ausbeutung des Menschen und der natürlichen Resourcen ist die Grundlage des herrschenden Wirtschaftssystems (K. Marx, Kritik des Gothaer Programms) und dieses zum Wohl der Menschen und der Natur zu überwinden ist das Gebot der Stunde.
Das Festhalten an der ungerechten Weltordnung muss überwunden werden. Die Verursacher der Katastrophe können nicht die Retter sein !

Notbremse für das Klima in der Fassadendemokratie?

Am 12.9.1975 setzte sich Wolfgang Roth in der ZEIT mit Wolfgang Harichs Buch "Kommunismus ohne Wachstum?" auseinander. Weil die parlamentarische Demokratie bei unveränderter Machtstruktur im wirtschaftlichen Bereich viel abhängiger vom Wachstum ist als kommunistische Staaten, müsse sie Harichs Kommunismus der asketischen Gleichheit als reale Alternative eine Gesellschaft der demokratischen Selbstbeschränkung entgegensetzen. "Gerade, wenn man entschieden gegen Harich argumentieren will, wird einem klar, wie unsinnig die Hoffnung ist, dass sich ökologische Bedürfnisse und eine primär gewinngesteuerte Großwirtschaft miteinander vereinbaren lassen" schließt er.
Mattias hat Recht, heute sind wir ein paar Jahrzehnte zu spät für kleine Schritte. Die Politik hat die ökonomischen Machtstrukturen gegen die Demokratie befestigt und mittels ins Absurde ausgeweiteter Werbung der Gesellschaft die Verantwortung für das Ganze weitgehend ausgetrieben. Ein neuer Internationalismus hieße die "Abmagerung der westlichen Industriegesellschaften um den Faktor zehn" im Stoff- und Naturverbrauch (Friedrich Schmidt Bleek). Zur Notbremse für das Klima ist unsere Fassadendemokratie nicht in der Lage!

Spalt geht durch die Wohlstandsgesellschaft

Auch in der sonntäglichen Phoenix-Runde "Internationaler Frühschoppen" vom 15.12.wurde an den nicht gestellten Fragen deutllich, worin der Spaltkeil der scheiternden "Wohlstandsgesellschaft" besteht.
Da wird nahezu unwidersprochen vor einem Verlust an Wohlstand (durch eine Energiewende hin zu Erneuerbaren) und sich den damit einhergehenden erforderlichen Konsumverzicht gewarnt, ohne einen längst völlig überkommenen Wohlstandsbegriff überhaupt mal in Frage zu stellen.
Der alte Wohlstandsbegriff mit dem Ziel eines möglichst großen Bruttoinlandsproduktes ohne Rücksicht auf Verluste hat sich längst durch sein Versagen in der Realität überlebt. Der (alte) Wohlstand laut gemessenen BIP und anderen altbackenen Indikatoren hat sich inzwischen längst entkoppelt vom gefühlten Wohlstand und ist deutlich durch seine katastrophalen Folgen wie die der Klimakatatsrophe, auch ohne Tabellen und Kurven zu erkennen- Weil die SPD-Alt das "gefühlte"Wohlstandsversprechen nicht wahrmacht, und das linke Politikspektrum sich nicht mit voller Kraft einem aktuelleren, nachhaltigen Wohlstandsbegriff deutlich zuwendet, nutzen das Protestpotential geg. die versagende Mitte ausgerechnet rechte Ausgrenzer !