Aydan Özoguz will keine Schlagzeilen – sie will Fortschritte. Diese Einstellung könnte die 44-jährige Hamburgerin bis in den SPD-Parteivorstand führen.
Den Spruch „Wenn doch alle so wären wie Sie“ nimmt Aydan Özoguz lächelnd hin. Die Tochter türkischer Einwanderer gilt als ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Das mag zum einen an ihrem erfolgreichen Werdegang liegen: Sie hat Sprachwissenschaften studiert, war Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und ist seit 2009 Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Sicher liegt es auch an der offenen Art, mit der sie auf Menschen zugeht. Mit ihrem Status als „Vorzeigemensch“ hat sie sich abgefunden. „Wenn ich das Gefühl habe, dass es was nützt und ich damit eine Tür aufstoßen kann, kann ich damit gut leben,“ sagt sie.
Dinge tun, die nutzen, Türen aufstoßen, diesen nüchternen Ansatz verfolgt Aydan Özoguz auch in der Politik. „Wir müssen die Emotionen aus der Integrationsdebatte herausnehmen,“ sagt sie. Özoguz steht auf dem Podium einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der gut gefüllte Saal zeigt, dass das Thema auch ein Jahr nach der Sarrazin-Debatte die Menschen bewegt. Als Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion spricht Özoguz oft auf solchen Veranstaltungen. Und immer tritt sie vor allem für eine Versachlichung der Debatte ein. Sie spricht dabei mit ruhiger, angenehmer Stimme. Ihre Sprache hat einen deutlichen Einschlag, der auf ihre hanseatische Herkunft verweist.
Integrationspolitik als Gesellschaftspolitik
Integrationspolitik bedeutet für Aydan Özoguz nicht, Politik für Menschen mit Migrationshintergrund zu machen. Am Ende ist es für sie immer Gesellschaftspolitik. „Wie bekomme ich eine Gesellschaft, in der jedes Mitglied eine echte Chance hat mitzumachen?“ Wenn es in Deutschland jedes Jahr tausende Schulabbrecher gebe, sei das ein Problem für die ganze Gesellschaft. Für Özoguz ist klar: Ob Migrationshintergrund oder nicht, den Jugendlichen muss ein entsprechendes Angebot zur Aus- und Weiterbildung gemacht werden. Überhaupt kann die Hamburgerin mit Begrifflichkeiten nicht viel anfangen. „Migrationshintergrund“ sei ja keine Diagnose, erklärt sie, der Begriff sage einem in Wirklichkeit nichts. „Er wird in der Debatte aber gleichgesetzt mit ‚sozial schwach’ und ‚bildungsfern’.“ Die Politik muss weg vom Schubladendenken, fordert Özoguz, hin zu den konkreten Problemen. „Ich brauche keine Deutschförderung für Migrantenkinder, sondern ich brauche eine Deutschförderung für Kinder, die nicht richtig deutsch können.“
Dass es besonders bei Einwandererkindern Probleme mit Sprache und Bildung gibt, bestreitet sie nicht. Sie weist aber darauf hin, dass die meisten Gastarbeiter in den 1960er Jahren mit einer eher geringen Bildung in ein Land gekommen sind, das auf deren dauerhafte Aufnahme in keiner Weise vorbereitet war. „Dass sich daraus unter diesen Bedingungen nicht innerhalb von zwei Generationen nur Akademiker entwickeln, ist doch kein Wunder.“
"Es gab damals nicht viele von uns"
Sie selbst ist Akademikerin, auch weil ihre Eltern einen anderen Hintergrund hatten. Die türkischen Kaufleute sind 1961 nach Hamburg übergesiedelt. Zusammen mit zwei älteren Brüdern wächst Aydan Özoguz im Hamburger Stadtteil Lokstedt auf. Ihre Brüder gehen politisch einen anderen Weg als sie. Die Ingenieure betreiben ein Internetportal, das im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht früher als „Integrationshemmnis” bezeichnet wurde. Als Kind türkischer Eltern ist Aydan Özoguz die Ausnahme. „Es gab damals nicht viele von uns“, sagt sie. Die Standardfrage war: „Woher kommst Du und wann gehst Du zurück?“ Die Absurdität der Frage fällt einem Kind nicht auf. Erst später fragt sie sich: „Wieso muss ich zurückgehen, ich bin doch gar nicht gekommen?“ Özoguz kann aus ihrer Jugend viele solcher Geschichten erzählen: Von der Visa-Problematik, die bei jeder Klassenfahrt ins Ausland auftritt; von der Arbeitserlaubnis für den Schülerjob, die sie im Gegensatz zu ihren Mitschülern beantragen muss; oder vom Stipendium für den USA-Aufenthalt, den sie nur deswegen nicht antreten kann, weil ihr der deutsche Pass fehlt.
Es sind diese eigenen Erfahrungen, weshalb Özoguz heute vehement für die doppelte Staatsbürgerschaft eintritt. Die Situation von Einwandererkindern, die sich mit 18 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen, vergleicht sie mit einem Seiltanz ohne Netz. Ohne Absicherung sollen sie ihre Herkunft ablegen und eine andere Staatsbürgerschaft übernehmen. „Das ist einfach absurd“, sagt sie. Man brauche die Möglichkeit, sich auf etwas einlassen zu können, ohne alles andere sofort aufgeben zu müssen.
Per Zufall in die Politik
Mit dem Thema Integration beschäftigt sich Aydan Özoguz zunächst nur ehrenamtlich. In ihrem Studium spezialisiert sie sich auf den Bereich Computerlinguistik. Erst als Bekannte sie auf ein neues deutsch-türkisches Projekt bei der um internationale Verständigung bemühten Körber-Stiftung aufmerksam machen, bewirbt sie sich und wird genommen. Es sind diese vermeintlichen Zufälle, die auch ihren Weg in die Politik pflastern. Als Projektleiterin bei der Körber-Stiftung organisiert sie im Jahr 2000 eine Veranstaltung zum Thema „Islamische Theologie an deutschen Universitäten“. Anschließend fragt Olaf Scholz sie, ob sie nicht für die SPD in Hamburg kandidieren will. Özoguz lächelt, als sie diese Geschichte erzählt. Sie zeigt auch, wie langsam die Mühlen in der Politik mahlen. Elf Jahre später befasst sie sich immer noch mit dem Thema islamische Theologie an Universitäten, jetzt im Bundestag.
Über die Qoute in den Parteivorstand
Eine politische Karriere hat Aydan Özoguz nie angestrebt. Sie wolle keine bissige Politikerin sein, sagt sie. Auswirkungen auf ihr Privatleben hat die Politik trotzdem: In der Hamburgischen Bürgerschaft lernt sie ihren Ehemann kennen, den heutigen Hamburger Innensenator Michael Neumann. Inzwischen hat sie es bis in den Bundestag geschafft. Auf dem Bundesparteitag im Dezember wird sie als stellvertretende Parteivorsitzende kandidieren. Möglich macht es die Migrantenquote, die sich der Parteivorstand freiwillig auferlegt hat. Dabei hält Özoguz Quoten nicht für Allheilmittel. Aber in diesem Fall geht es für sie auch darum, die SPD wieder attraktiver für Migranten zu machen. „Wer hat denn irgendwelche Namen parat, wenn man SPD und Migranten sagt?“ fragt sie. Und wenn es das Ziel einer Migrantenquote sei, dass es irgendwann egal ist, ob man in der SPD Schmidt oder Özoguz heiße, dann sei das ein gutes Ziel. Wenn also Musterbeispiel für Integration, dann auch gerne für eine ganze Partei.