Rezension, Claudia Wangerin: "Die DDR und ihre Töchter"

Die Stimme der Selbstbewussten

Dagmar Günther09. Juli 2010

Kann eine junge Frau, die nie einen Fuß in die DDR setzte und zur Wende gerade mal 13 Jahre alt war, ein Buch über die Frauen dieses untergegangenen Staates schreiben? Sie kann. Kann es
vielleicht gerade deshalb, weil sie unvoreingenommen daran geht. Konstruktiv und kritisch setzt sie sich mit dem Leben der Frauen in der DDR auseinander und vergleicht mit der Bundesrepublik.

Selbstverständliches

Eins zumindest wird schnell klar: Was die Rechte der Frauen betrifft hatte die DDR die Erfolge zu vermelden. Als die Frauen im Westen noch die Genehmigung des Gatten
brauchten, um arbeiten zu dürfen, gingen die Frauen im Osten schon ganz selbstverständlich ihrer Arbeit nach. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wurde 1946 im Befehl Nr. 253 der Sowjetischen
Militäradministration festgeschrieben.

In der Verfassung der DDR hieß es: "Mann und Frau sind gleichberechtigt. Und haben gleiche Rechtstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen staatlichen und
persönlichen Lebens." Und: "Die Förderung der Frau
besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe." Und die wurde auch durchgesetzt. Dass es dennoch in Spitzenpositionen wenig Frauen
gab, schreibt Claudia Wangerin der Tatsache zu, dass Frauen oft bescheidener und selbstkritischer sind, wenn es um Machtpositionen geht - übrigens in Ost wie West.

Weil sie ökonomisch unabhängig waren, war es für die Ostfrauen viel unkomplizierter sich scheiden zu lassen. "Die Ehe ohne Liebe war nicht mehr heilig, weil sie als
Versorgungsinstrument nicht mehr benötigt wurde", so die Autorin. Die DDR-Führung hatte allerdings schon ihre eigene Vorstellung von der Ehe, als einer "für das Leben geschlossenen Gemeinschaft".
Im Familiengesetzbuch der DDR von 1965 ist zugleich nachzulesen: "Die Gleichberechtigung von Mann und Frau bestimmt entscheidend den Charakter der Familie in der sozialistischen Gesellschaft."
Und : "Die eheliche Gemeinschaft erfährt ihre volle Entfaltung und findet ihre Erfüllung durch die Geburt und die Erziehung der Kinder," Dies mag konservativ klingen, es wurde aber auch vieles
getan, um Familien mit Kindern zu unterstützen (von der Kinderbetreuung, über das bezahlte Babyjahr, Sonderstudienpläne, Frauenauschüsse, bis zur Subventionierung von Kinderbekleidung
u.v.m.).

Kinder waren ausdrücklich erwünscht. Doch keine wurde unter Druck gesetzt, wenn sie sich dagegen entschied. Während die Frauen in der Bundesrepublik noch gegen den Paragrafen
218 demonstrierten, war das Recht auf Abtreibung in der DDR seit 1972 selbstverständlich.

Historisches

Claudia Wangerin ordnet die Ereignisse in die Zeitgeschichte ein. Sie geht bis in die Anfänge der Frauengeschichte zu Clara Zetkin zurück. Die propagierte damals schon, wie
sehr die Frauenfrage Teil der sozialen Frage sei. Die Autorin analysiert die Schwächen beider Systeme. Sie verurteilt das Lohndumping in der Bundesrepublik, das Frauen besonders hart trifft,
ihren hohen Anteil im Niedriglohnsektor und wie sie vom Arbeitsmarkt an den Herd verdrängt werden. Sie kritisiert aber ebenso, dass sich die so genannten Frauenförderpläne in der DDR auch nicht
gerade im Selbstlauf durchsetzten und wie schwierig es war, bei einem Achtstundentag Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Ganz selbstverständlich sei von den Frauen, deren
Wertvorstellungen mitunter zwar mit der sozialistischen Idee vereinbar waren, nicht aber mit deren Umsetzung in der DDR, eine gewisse Dankbarkeit erwartet worden - "in Form einer höherer
Frustrationstoleranz gegenüber anderen Mängeln und dogmatischer Erstarrung".

Eine Zeittafel mitten im Buch hilft zu verstehen, wie die Gleichberechtigung der Frauen in der DDR trotz alledem Schritt für Schritt umgesetzt wurde. Claudia Wangerin nennt
juristische Vorsaussetzungen, beschreibt gesellschaftspolitische Entwicklungen, untersucht das Frauenbild in Kunst, Literatur und Film. Und sie lässt die Frauen selbst zu Wort kommen. Geschickt
baut sie deren Schicksale in die Zeitgeschichte ein. Sie lässt erahnen, woher das emanzipatorische Selbstbewusstsein der Töchter der DDR rührt.

Rechtliches

Sie durchstöbert die Gesetze und stellt fest: "Einen solchen Freiheitsvorsprung" wie bei den Frauenrechten habe es "nicht in allen gesellschaftlichen Bereichen gegeben".
Folgerichtig schlussfolgert sie: "Vielleicht setze ich mich dem Vorwurf aus, einen 'Unrechtsstaat' zu verharmlosen, wenn ich mich nicht an der Verteufelung der DDR beteilige." Und stellt klar:
"Allerdings gab es im Sinne von 'Recht haben und Recht bekommen' - und zwar zu jeder Zeit und unabhängig vom Geldbeutel - aus meiner Sicht noch gar keinen Rechtssaat auf deutschem Boden. Die DDR
als einen ganz besonderen Unrechtsstaat hervorzuheben ist eine Verharmlosung kapitalistischer Zumutungen der Vergangenheit und der Gegenwart."

Verlorenes

Was den Umgang mit Frauen betrifft, trafen diese Zumutungen jene aus dem Osten mit ganz besonderer Wucht. Sie waren es anders gewohnt. Und es wurde schlichtweg versäumt,
genauer hinzuschauen und ihren Erfahrungsschatz zu heben. "Die Westfrauen waren der Meinung, sie müssen uns armen Ostfrauen erklären, wie es richtig laufen sollte. Die wollten uns dabei helfen,
unsere Freiheit durchzusetzen. Nur leider waren die drüben viel weiter zurück als wir", verkündete die Schauspielerin Walfriede Schmitt sehr selbstbewusst.

Als am 3. Dezember 1989 in Ostberlin der unabhängige Frauenverband (UFB) gegründet wurde, brachte Ina Merkel es auf den Punkt: "Wiedervereinigung hieße in der Frauenfrage
drei Schritte zurück - es hieße überspitzt gesagt: Frauen zurück an den Herd. Es hieße: wieder kämpfen um das Recht auf Arbeit, kämpfen um einen Platz für den Kindergarten, um die Schulspeisung."
Stattdessen hätten die Frauen "dieser scheinbar zwanghaft ablaufenden Entwicklung ein alternatives Gesellschaftsmodell entgegensetzen" wollen.

Der UFB forderte die Einhaltung sozialer Standards in beiden deutschen Staaten. Mit der Wiedervereinigung war das vom Tisch. Schade, denn so haben die Frauen in Ost wie West
verloren. Claudia Wangerin gibt bekannten und unbekannten Töchtern aus der DDR eine Stimme. Möge sie gehört werden.

Claudia Wangerin: "Die DDR und ihre Töchter", Verlag Das neue Berlin, Berlin 2010, 208 Seiten, 12,95 Euro, ISBN 978-3-360-01989-9

weiterführender Artikel