Harald Schumann erklärt die Finanzkrise

Vom stillen Staatsstreich

Vera Rosigkeit28. Mai 2010

Das Thema Finanzmarktkrise scheint mit zwei Jahren Verspätung endlich zu zünden, sagt der ehemalige Spiegelredakteur und Autor des Buches "Die Globalisierungsfalle" Harald Schumann und freut
sich über das große Interesse. Er habe sich immer gewundert, dass sich die Steuerzahler nicht wehren, schließlich würden sie "auf offener Straße ausgeraubt". Und dann folgt Schumanns
kenntnisreiche Analyse über Ursachen und Wirkungen der Finanzmarktkrise in atemberaubender Geschwindigkeit.

Noch immer finde das "Wetten auf Staatsbankrotte außerhalb der Öffentlichkeit statt", erklärt Schumann. Gleichzeitig könne man den Eindruck gewinnen, dass auf der internationalen
politischen Bühne Einiges geschieht. Ob Sarkozy "Entartung des Kapitalismus", Obama "Bonzen an der Wall Street" oder Merkel " eine solche Krise darf sich nicht wiederholen", die Empörung ist
groß.

Vom stillen Staatsstreich

"Doch der Eindruck täuscht", ist Schumann überzeugt. In Wahrheit soll sich nichts ändern, fügt er hinzu, die Banken diktierten weiterhin ihre Bedingungen. Bis heute, fast drei Jahre nach dem
Platzen der amerikanischen Immobilienblase und den ersten herben Milliardenverlusten der deutschen IKB-Bank oder der Schweizer UBS, sei keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen
worden. Im Gegenteil: "Die Hauptverursacher der Krise sind schon wieder die Gewinner", so Schumann. "Eine Gruppe von 15 globalen Finanzkonzernen hält die Macht in der Hand und entzieht sich
jeglicher politischen Kontrolle."

Als Grundlage dieser Fehlentwicklung identifiziert Schumann die Verschiebung von Einkommen und Vermögen zugunsten einer kleinen Elite. Nur 10 Prozent der Deutschen besitzen inzwischen zwei
Drittel des Vermögens, in Großbritannien sogar drei viertel, so Schumann. "Das ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem". Die ausschließliche Nachfrage nach Finanzanlagen sei vor allem ein
volkswirtschaftliches Problem. Das Übergewicht der Finanzwirtschaft entspreche nicht mehr der realen Wirtschaft. Die Folge: "Die Finanzmärkte sind zur 5. Gewalt geworden".

"Too big to fail"

Die Macht der Banken sei ihre Größe, erläutert Schumann. Geldkonzerne, die Finanzanlagen von bis zu zweitausend Milliarden Dollar verwalten, seien zu groß, um sie "pleite gehen" zu lassen. Mit
der Drohung einer möglichen Verknappung an Krediten könnten sie Rettungspakete zu ihren Gunsten von Staaten erpressen.

Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Simon Johnson bezeichne diese Methode als stillen Staatsstreich gegen die Grundregeln von Marktwirtschaft und Demokratie,
beschreibt Schumann. Johnsons Folgerung aus diesem "Too big to fail"-Dilemma: Eine radikale Verkleinerung der Banken auf Bilanzsummen von maximal 100 Milliarden Dollar, das entspreche etwa einem
Zehntel der heutigen Größe der Deutschen Bank. Jenseits dieser Grenze gäbe es keine betriebswirtschaftlichen Vorteile mehr, nur noch eine zum Missbrauch führende wirtschaftliche Macht. Ein
Kurzschluss in der Marktwirtschaft sei vorprogrammiert: Für Verluste zahlt der Staat und Gewinne bleiben privat.

Der Glaube an die sich selbst regulierenden Märkte sitzt tief

Doch die Politik, kritisiert Schumann, sei weit entfernt davon, einen Machtkampf zu führen.

Forderungen, dass es keine unregulierten Produkte, Märkte und Finanzgesellschaften mehr geben dürfe, seien lediglich wohlklingende Grundsätze, delegiert an die EU-Kommission und den Basler
Ausschuss für Bankenaufsicht. Den Aufsichtsbehörden aber fehle es an nötiger Manpower, "die sind hoffnungslos unterbesetzt", erklärt Schumann. Dass hier losgelöst von jeglicher parlamentarischen
Kontrolle ein Konsens zwischen 27 Staaten über neue Aufsichtsregeln ausgehandelt werden soll, berge ein weiteres Problem in sich. Da Staaten und Banken unterschiedlich betroffen sind, sei es für
die Finanzlobby ein leichtes, die jeweiligen Vertreter der nationalen Behörden gegeneinander auszuspielen.

Als Beispiel nennt Schumann die EU-Richtlinien zur Regulierung von Hedgefonds und Rating-Agenturen. Reine Symbolpolitik, urteilt er. Es gebe noch immer keine Begrenzung des Kredithebels.
Und so lange Großbanken mit hohen Summen von geliehenem Fremdkapital arbeiteten um ihre Renditen zu vervielfachen, könnten sie umgekehrt auch ihre Verluste vervielfachen. Dann folgt der Ruf nach
dem "starken Staat".

Auch könnten sich Spekulanten noch immer gegen den Ausfall von Anleihen versichern. Das sei ungefähr so, als "wenn Sie eine Brandversicherung auf das Haus des Nachbarn abschließen würden",
erklärt Schumann. Noch immer fehle ein Konzept für den Handel mit so genannten Credit Default Swaps (CDS), der eine besonders destruktive Wirkung habe.

Ist der Reformzug schon abgefahren?

Die vom IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber geforderte europaweite Kampagne für einen Schuldenerlass Griechenlands hält Schumann für sinnvoll. Die Insolvenz des Landes werde derzeit nur
verschoben. Dem Land würde nicht wirklich geholfen, sagt er, im Gegenteil: "Griechenland verliert die Möglichkeit der politischen Gestaltung." Schumann nennt dies "eine Art Klassenkampf der
Eliten mit verdeckten Methoden."

Eine Finanztransaktionssteuer muss nun endlich eingefordert werden, so Schumann weiter. Wenn nicht weltweit, wenn nicht in der EU, dann eben in der Eurozone. Das sei zwar kein Ersatz für
notwendige Reformen, doch die Steuer könne Spekulationen bremsen und den Staatskassen 20 Milliarden Euro jährlich einbringen.

Ist die Demokratie noch zu retten?

Was für die Deutsche Bank gut ist, ist auch für Deutschland gut? Seit nunmehr 30 Jahren hätten sich die Glaubenssätze, dass der Markt sich selbst reguliert und der Staat sich nicht
einzumischen hat, fest im Denken der Eliten verankert. Das überfordere auch die in den Aufsichtsbehörden tätigen Beamten. Eine Trennung zwischen Gemeinwohl und privatwirtschaftlichem Interesse
wird nicht (mehr) gedacht. Und dieses Denken ziehe sich durch bis zu den Chefredaktionen der Medien. Ergebnis: eine kritische Reflexion der Finanzkrise finde derzeit kaum statt.

Doch Aufklärung über die Zusammenhänge tut Not. Eine Wahrheitskommission könnte helfen, wichtige Fragen zu klären. Schumann will wissen, warum die IKB-Bank gerettet wurde, obwohl sie nicht
als systemrelevant eingestuft wurde und welche Rolle die Deutsche Bank dabei spielte? "Außerdem brauchen wir eine offene Debatte über die Tätigkeiten der Sparkassen und Landesbanken."

Doch die wichtigste Machtstütze sei die Trägheit der Bürger, sagt Schumann. Sie müssen die Parlamente unter Rechtfertigungsdruck setzen. Die Finanztransaktionssteuer, ehemals Kernforderung
der Nichtregierungsorganisation Attac, sei schließlich auch in den Köpfen der Regierenden angekommen. In zehn Jahren könnte es ein Gesetz geben, das die Größe eines Unternehmens begrenzt. Denn
ein Unternehmen, das zu groß ist zum Scheitern, ist zu groß, weil es zuviel Macht hat. "Der Kampf lohnt sich", ist Schumann sicher.

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