
Wer nonkonforme Milieus vor allem in Großstädten vermutet, muss sich immer wieder eines Besseren belehren lassen. Ein beeindruckendes Beispiel dafür liefert Therese Koppe in ihrem Dokumentarfilm „Im Stillen laut“. Darin geht es um zwei Frauen und ihr kreatives Domizil im Osten Brandenburgs.
Diese Geschichte beginnt in der DDR und ist noch längst nicht abgeschlossen. Anfang der 80er-Jahre kaufte die Künstlerin Erika Stürmer-Alex einen Dreiseitenhof im Oderbruch. Mit ihrer Lebenspartnerin Christine Müller-Stosch machte sie aus dem ruinösen Ensemble einen Ort des Aufbruchs. Bei Performances, Partys und Konzerten experimentierten sie und ihre Freund*innen mit freigeistigen Visionen von Kunst und Leben, die so gar nicht zum sozialistischen Mainstream passten – zumal zu einer Zeit, als die DDR-Gesellschaft längst von Resignation und Agonie erfasst war.
Freigeistiges Refugium
„Im Stillen laut“ ist ein vielsagender Titel: Den beiden Frauen, mittlerweile jenseits der 80, ging es zu DDR-Zeiten weniger um (lautstarke) Opposition im klassischen Sinne, sondern darum, ungestört ihr Ding machen zu können. Dafür war und ist der abgelegene Gutshof genau der richtige Ort. An diesem Refugium, der auch zum Lebensmittelpunkt wurde, halten die im mehrfachen Sinne unangepassten Protagonistinnen bis heute fest.
Doch was macht ihr unangepasstes Wesen aus? Wie hat es sich in den letzten Jahrzehnten, insbesondere nach dem Ende der Diktatur, gewandelt? Eine Ahnung bekommt man davon, wenn man sie durch den Alltag begleitet. Mehr als ein Jahr lang war Therese Koppe mit ihrem Team immer wieder vor Ort. Dabei entstanden überraschend intime Eindrücke aus dem Leben zweier Frauen, die bis heute angstfrei und mit viel Witz und Lebenslust auf die Welt schauen.
Zugleich werden Reibungspunkte zwischen zwei starken Individuen deutlich. Gemeinsam haben sie sich dafür aufgerieben, den Kunsthof Lietzen ins Leben zu rufen und zu erhalten. Doch wenn man genauer hinsieht (möglich wird dies unter anderem durch rezitierte Tagebucheinträge), werden unterschiedliche Prägungen deutlich. Aus SED-Sicht stammte Erika Stürmer-Alex aus vorbildlichen proletarischen Verhältnissen und konnte problemlos Kunst studieren. Weil ihre abstrakte Malerei sich eher schlecht als recht mit dem sozialistischen Kunstgeschmack vertrug, hielt sie sich mit Plastiken als Auftragsarbeiten über Wasser. Umso mehr Anklang finden ihre Gemälde im wiedervereinten Deutschland.
Von Anfang an benachteiligt
Christine Müller-Stosch hatte es als Pfarrerstochter von Anfang an schwer im SED-Staat. Über Umwege absolviert sie ein Theologiestudium und wird Verlagslektorin. Anfang der 90er-Jahre verliert sie ihre Stelle. Nun stürzt sie sich in die Aufgabe, den Kunsthof neu zu erfinden. Und das in einer Zeit, als nach der DDR-Staatssicherheit erneut ein anderer mächtiger Gegner auf der Matte steht: Westdeutsche, die den Hof ihrer Vorfahren zurückhaben wollen.
Am stärksten ist „Im Stillen laut“ immer dann, wenn die Protagonistinnen gemeinsam zurückblicken. Zum Beispiel auf ein Sommerfest, bei dem auch die Stasi zugegen war. Gemeinsam blättern sie in einem Bericht, den man im Neudeutschen als Fake bezeichnen würde: „Auf den Hof war doch wohl eine sehr lustige Gesellschaft. Einige der Mädels (nackt) malten oder versuchten zu malen. Männer waren auch dabei. Es war anscheinend so eine Art Losspiel mit anschließender großer Liebe.“ Das schallende Gelächter kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Bespitzelung auch Verletzungen einhergingen. Ganz zu schweigen von der erwähnten Rückgabe-Problematik.
Total entschleunigt
Mit lakonischem Realismus erzählt dieser Film, der als Abschussarbeit an der Filmhochschule Babelsberg entstand, von Selbstbehauptung als Langzeitprojekt. Aus Sicht der Regisseurin bedarf es dafür nicht unbedingt des gesprochenen Wortes. In langen Einstellungen ist zu verfolgen, wie die beiden Frauen vom Kunsthof bei körperlicher Arbeit einen Alltag meistern, der ihnen nicht nur wegen des zunehmenden Alters einiges abverlangt.
Nicht immer allerdings deckt sich die dokumentarische Essenz dieser Szenen mit dem Zeitrahmen, der ihnen gewährt wird. Eher hätte man sich gewünscht, Koppe hätte die erzählerische Perspektive um Einschätzungen von außen erweitert. Insgesamt betrachtet vermittelt diese vollkommen entschleunigte Studie aber durchaus einen intensiven Eindruck von einem geistig-künstlerischen Nischendasein jenseits der üblichen Schubladen.
Info: „Im Stillen laut“ (D 2019), ein Film von Therese Koppe, mit Erika Stürmer-Alex und Christine Müller-Stosch, 74 Minuten, Kinostart: 8. Oktober