Gelebte Politik

Stephan Hilsberg: "Zu erleben, dass Leute plötzlich aufstehen."

Uwe Knüpfer08. Juli 2013

„Da willst du mitmachen“, war sich Stephan Hilsberg sicher. Mit 42 Gleichgesinnten gründete er 1989 die Sozialdemokratische Partei in der DDR. In der siebten Folge der vorwärts-Reihe Gelebte Politik schildert er seine Überraschung, als er damals plötzlich zum Ersten Sprecher wurde.

Das „eigentliche Pfund“ der SPD ist für Hilsberg „die Freiheit, die Emanzipation, die Kraft, Menschen zuzutrauen, etwas aus sich zu machen“. Deshalb habe die SDP auch von Anfang an keine Hinterzimmer-Absprachen getroffen: Wer wird Vorsitzender, wer Stellvertreter?

„Heutzutage werden viele Wahlergebnisse vorher abgesprochen“, bedauert Hilsberg, der von 1990 bis 2009 Bundestagsabgeordneter war und einige Jahre lang auch Parlamentarischer Staatssekretär. Das mag manchmal von Vorteil sein, räumt er ein, aber: „Jedem eine Chance zu geben – das macht eine Partei lebendig. Das stärkt sie.“ Das gebe ihr Charakter.

Ein »besonders freches Symbol«

43 Menschen trafen sich am 6. Oktober 1989 in einem Pfarrhaus in Schwante bei Berlin, am 40. Jahrestag der Gründung der DDR. „Das war ein besonders freches Symbol!“ Hilsberg, damals 33 Jahre alt, von Beruf Informatiker, hatte über seinen Vater, einen Pfarrer, davon erfahren. Für ihn war das Lesen des Gründungsaufrufs „ein tiefes Erlebnis“.

Zwar stand Hilsberg schon seit den frühen 1980er Jahren in losem Kontakt zu Oppositionsgruppen, doch erst jetzt hatte er den Eindruck, hier werde ein realistischer Weg aufgezeigt, das System der DDR zu überwinden. Ein System, das Hilsberg von Kindheit an als organisierte Unfreiheit empfunden hatte.

 „Der Staat hatte die Waffe in den Schrank gestellt, war aber jederzeit bereit, sie wieder herauszuholen.“ Über allem in der DDR habe die große Drohung geschwebt: „Wenn du uns nicht folgst, dann wirst du unsere ganze Härte spüren!“ Das habe die meisten Menschen zu Anpassern gemacht: „Das Leben bekam tiefe Deformationen.“

Weg »zu einem echten Neuanfang«

Doch jetzt, plötzlich, stand jemand auf und wies einen Weg „zu einem echten Neuanfang“, ohne die SED und „auch nicht mit Teilen davon“. Er habe sofort  gewusst: „Da willst du mitmachen.“

Konspirativ wurden Treffpunkte verabredet. Als Hilsberg am frühen Morgen des 6. Oktober aufstand, wusste er noch nichts vom Ziel Schwante. Um ein Haar wäre er zum falschen Ort gefahren. Und wäre er nur wenig später aufgestanden, hätte die Stasi ihn abgefangen. Das Ministerium für Staatssicherheit war besser im Bilde als er.

„Das ist ein Generalangriff!“ kommentierte MfS-Chef Erich Mielke im Politbüro der SED die Gründung der SDP. Er vermutete, die West-SPD stecke dahinter. Alle Entspannungspolitik, so Mielke, sei nur Fassade gewesen. Der SPD sei es immer um freie Wahlen und also letztlich die Wiedervereinigung gegangen.

Video Stephan Hilsberg

Doch die West-SPD war zunächst gar nicht beteiligt. Die treibende organisatorische Kraft hinter dem Treffen war vor allem Martin Gutzeit, den Hilsberg zuvor niemals getroffen hatte. Gutzeit habe allen, die eintrafen, ins Gesicht gesehen, als wolle er sie prüfen. Später habe er gesagt: „Wenn du eine Partei gründen willst, deren pure Existenz die Herrschaft der SED in Frage stellt, dann „brauchst du Leute, die sich erschießen lassen.“

„Es gibt Situationen, da weiß du: du bezahlst jeden Preis,“ schildert Hilsberg seine eigene innere Haltung im Herbst 1989. Er habe mit der DDR abgeschlossen gehabt. Allerdings sei das Regime der SED zu diesem Zeitpunkt längst geschwächt gewesen, sein Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit.

Dann wurde gewählt und Stephan Hilsberg fand sich als Erster Sprecher wieder, betraut mit dem Aufbau von Ortsvereinen, mit Repräsentationspflichten. Wenige Wochen später stand er in Kontakt zu Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel, Dietrich Stobbe und vielen anderen. Niemals habe er mehr und härter gearbeitet als in jenen Monaten: „Es war eine ausgesprochen glückliche Zeit.“

„Zu erleben, dass Leute plötzlich aufstehen, … in Würde und Anstand, zu erleben, dass das Schlechte nicht siegt: Das macht einfach glücklich!“ Zumal er seither wisse: Es braucht nicht viel, einen großen Hebel in Bewegung zu setzen. Im Wesentlichen brauche man dafür nur klare Überzeugungen, Zivilcourage und gesunden Menschenverstand.

Stephan Hilsberg: „Es kann jeder.“

Interview: Uwe Knüpfer, Bearbeitung: Andi Kunze