Rede des Bundespräsidenten

Steinmeier-Rede: Deutsche brauchen in der Krise neue Widerstandskraft

Lars Haferkamp28. Oktober 2022
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wendet sich in einer Rede an die Bürger*innen. Er ruft sie angesichts von Krieg und Krise zum aktiven Widerstand auf – nach innen und nach außen – gegen die Feinde von Freiheit und Demokratie.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert an die Deutschen, sich angesichts von Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise auf ihre Stärken zu besinnen. „Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und wir brauchen auch die Kraft zur Selbstbeschränkung“, sagt er am Freitag in einer Rede im Schloss Bellevue. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen“, mahnt Steinmeier. „Wir brauchen keine Kriegsmentalität – aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“

In Zeiten von Krieg und Krise würde nicht nur die so genannte kritische Infrastruktur angegriffen. „Auch unsere Demokratie gehört zur kritischen Infrastruktur. Und sie steht unter Druck“, warnt Steinmeier. „Sie schützen können nur wir selbst. Das verlangt von uns Demokraten mehr als Bekenntnisse. Es verlangt Engagement und Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“

Steinmeier hofft auf widerstandskräftige Bürger*innen

Für den Präsidenten unterscheiden widerstandskräftige Bürger*innen „zwischen der notwendigen Kritik an politischen Entscheidungen – und dem Generalangriff auf unser politisches System“. Widerstandskräftige Bürger*innen hielten Unsicherheit aus und ließen sich nicht verführen von denen, die einfache Lösungen versprechen.

Steinmeier appelliert an Politiker*innen und Bürger*innen: „Anstatt uns weiter auseinandertreiben zu lassen, müssen wir alles stärken, was uns verbindet.“ Es gelte dem Gift des Populismus und der Gefahr des Auseinanderdriftens etwas entgegenzusetzen. So dürften weder die Generationen gegeneinander ausgespielt werden noch Reich und Arm, Stadt und Land oder Ost und West. Die gegenwärtige Krise, treffe etwa den Osten „erneut härter, weil auch 32 Jahre nach der Wiedervereinigung die Energieversorgung schwieriger, die Einkommen niedriger und die Ersparnisse geringer sind“. Deshalb sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass der Osten nicht nach hinten falle.

Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten

So notwendig und unvermeidlich Einschränkungen seien, am Beginn jeder Debatte darüber müsse die Zusage stehen: „Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!“ Als Beispiele dafür lobt er die Maßnahmen der Bundesregierung wie Entlastungspakete, Abwehrschirm, Gaspreisbremse, Wohngeld und Unterstützungsleistungen für Unternehmen. „Menschen, die viel haben und mehr tragen können“, müssten jetzt helfen, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen stemmen zu können. „Sie müssen jetzt beitragen, um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden“, so der Präsident. Beeindruckende Entlastungspakete seien wichtig. „Aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten, davon wird viel abhängen.“

Steinmeier wendet sich in seiner Rede direkt an die Deutschen: „Liebe Landsleute, mir ist völlig klar: Niemand schränkt sich gerne ein. Aber ich wünsche mir, dass wir unsere Perspektive verändern.“ Die Bürger*innen sollten nicht als erstes fragen: „Wer kann mir die Last abnehmen?“ Sie sollten eher fragen: „Hilft das, um gemeinsam durch die Krise zu kommen?“. Das sei die richtige Haltung, um jetzt gemeinsam durch den Winter zu kommen.

Putin gegen alle Werte der Deutschen

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine habe Gorbatschows Traum vom gemeinsamen Haus Europa zertrümmert. Dieser Krieg „ist ein Angriff auf das Recht, auf die Prinzipien von Gewaltverzicht und unverletzlicher Grenzen. Er ist im Grunde ein Angriff auf alles, wofür auch wir Deutsche stehen.“ Wer angesichts dieser Sachlage nun schulterzuckend frage, „was geht denn dieser Krieg uns hier in Deutschland an?“, der rede „unverantwortlich und vor allem geschichtsvergessen“. Steinmeier lässt keinen Zweifel: „Mit dieser Haltung können wir als Deutsche in Europa nicht bestehen. Sie ist falsch.“

Der Bundespräsident räumt ein, dass die Sanktionen gegen Russland auch für Deutschland und seine Bürger*innen Kosten hätten. „Aber was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen?“ Es sei im deutschen Interesse, sich gemeinsam mit den Verbündeten dem Rechtsbruch Russlands entgegenzustemmen. Es sei im deutschen Interesse, sich aus Abhängigkeiten von einem Regime zu lösen, das Panzer gegen ein Nachbarland rollen lasse und Energie als Waffe benutze. Steinmeier bringt es auf den Punkt mit einem Zitat der estnischen Ministerpräsidentin: „Energie mag teurer werden, aber die Freiheit ist unbezahlbar.“

Bundespräsident macht auch Mut

Er stimmt die Deutschen auf schlechtere Zeiten ein. „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu.“ Die Friedensdividende sei aufgezehrt. „Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“ Um in dieser Zeit zu bestehen, könne das Land auf die Kraft und Stärke bauen, die es sich in den vergangenen Jahren erarbeitet habe. Und helfen würden hier sicher auch die Erfahrungen, die Deutschland bei der Überwindung anderer schwerer Krisen bereits gemacht habe.

Steinmeier macht den Menschen Mut: „Vergessen wir – bei allen Sorgen – gerade jetzt nicht: Wir sind wirtschaftlich stark, stärker als viele andere. Wir haben gute Forschung, starke Unternehmen und einen leistungsfähigen Staat. Wir haben eine große und starke Mitte in unserer Gesellschaft.“ Aus der gegenwärtigen Herausforderung könne auch neue Stärke und neue Einheit wachsen.

Zusammenhalt statt Gegeneinander

„Es wird nicht einfach sein, und es wird anstrengend sein“, macht der Präsident klar. „Wir werden eine Zeit der Belastungen und der Unsicherheiten durchlaufen, bevor wir neue Sicherheit und wieder ganz festen Grund unter den Füßen haben.“ Jetzt komme es darauf an, die Kraft nicht im täglichen Gegeneinander zu vergeuden. „Wenn wir zusammenhalten, wenn wir Mut und Ehrgeiz beweisen, dann bin ich mir sicher: Wir werden unserer Aufgabe gewachsen sein.“

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Kommentare

Geschichtsvergessen wäre es,

wenn die Bürger glaubten, all die von Bundesregierungen erzeugten Krisen [Energie, massive Teuerung ...] seien vom Himmel gefallen.

Ich brauche keine "Durchhalteparolen" des Herrn Bundespräsidenten, sondern eine klare Aussage, was er selbst für den Frieden tut.

Die Ukraine ist übrigens weder ein Nachbarland Deutschlands noch ist die Ukraine in der EU oder NATO.

Wer die Konflikte der Ukraine seit deren Gründung 1991 beobachtete, weiss, dass da viele verschiedene Kräfte am Werk waren und sind.

Die 'Einschränkungen', die den Bürgern von der Bundesregierung aufgebürdet werden, waren und sind weder unvermeidbar noch notwendig.

Steinmeier sinkt tiefer

Selbst dem Bundespräsidenten fallen nur noch Schuldzuweisungen, Durchhalteparolen und Apelle zu Kadavergehorsam ein. Die Forderung nach einer Verhandlunslösung werden billig diskreditiert. Nicht einmal mit der Lupe findet man einen politischen Ansatz, der über den Tag hinausreicht. Keinem der moralinsauren Ansprüche Steinmeiers werden Deutschland und seine Verbündeten gerecht, was sein Begründungsgebäude kollabieren lässt.

Es ist, wie Elias Hallmoser schreibt. Die SPD und der Rest der politischen Klasse decken nur noch gegenseitig ihr Versagen.

Über den offensichtlichen tatsächlichen Hintergrund will keiner sprechen. Die aktuelle politische Klasse ist derart wirksam von transatlantischem Corpsgeist unterwandert, dass alleine das US-Interesse durchgesetzt wird. Europa schreit nach gemeinsamen Antworten, Deutschland blockiert. Frankreich wendet sich von uns ab, weil wir nichteinmal einen kleinen Rest an Souveränität bewahren wollen. Polen bereitet Reparationsforderungen in Billionenhöhe vor. Ein Scherbenhaufen.

All dies hat nichts mit Russland und viel mit dem deutschen Widerstand zu tun, eine haltbare europäische Position jenseits der US-Hegemonie aufzubauen.

und das hat Sie enttäuscht?

was haben Sie denn erwartet, von dem? Da konnte doch mehr nicht kommen, er ist bis an den Rand seiner Möglichkeiten gegangen, mehr kann man nicht erwarten von einem Menschen.

Also, meiner Erwartung hat der Genosse Bundespräsident voll und ganz befriedigt- ich stehe hinter ihm und weiß viele an meiner Seite

Ich will

Peter Plutarch nicht immer nur für seinen Beitrag danken, sondern ihn diesmal auch unterstützen:

Ich will nicht, dass Bundespräsident Steinmeier, wie die WAZ zusammenfasst, mit Blick auf Russland und China erklärt, „Deutschland müsse von ... der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft Abschied nehmen“, sondern „wir konfliktfähig werden müssen“ (,ausdrücklich nach außen, wenn auch nicht „kriegerisch“); ich erwarte, dass unser Bundespräsident daran arbeitet, dass unsere Gesellschaft eine friedliche, kriegsmüde bleiben kann.

Ich will nicht von einer Regierung vertreten werden, die sich gern in die „große Schlacht des 21. Jahrhunderts“, wie Biden es nennt, einbringt; ich erwarte, dass sie diese Konfrontation verhindert.

Ich will nicht in einer Partei sein, die, wie „Stratege des Jahres“ Klingbeil fordert, „eine grundlegende Neupositionierung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik“ anstrebt, so dass, in „brutaler Plakativität und radikaler Einfachheit“ gesagt, zur „Friedenspolitik ... auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik“ anzusehen ist.

Traurig

Von "unserem" Bundespräsidenten hätte ich wenigsten ein paar klare Worte zur Deeskalation erwartet; jetzt bin ich enttäuscht.
Das allererste Menschenrecht ist das RECHT AUF LEBEN !
Mit Waffenlieferungen schützt man das aber nicht.
Bitte mach eine Waffenstillstands- und Friedensinitiative, Steini !!!!

„Epochenbruch (Steinmeier)“_1

Die deutsche Gesellschaft, steht vor einem (vermutlich) dramatischen Winter, der aber nicht mit der nächsten Frühlingssonne endet, sondern „härtere Jahre, raue Jahre“, also „für Deutschland eine Epoche im Gegenwind“, einläutet: „Wir müssen in den nächsten Jahren Einschränkungen hinnehmen“.
Wesentlicher Grund dafür ist der Stopp der Gaslieferungen aus Russland, der eine Reaktion auf die von uns und vielen anderen Ländern verhängten Sanktionen sind, durch unsere Jeanne d`Arc im Außenministerium vorangetrieben, um Russland zu“ ruinieren“. Billiges Gas aus Russland - (und einige andere Grundstoffe -) war der Rohstoff, auf dem unser Wirtschaftsmodell basierte, das jetzt aber beendet ist. Manche befürchten gar eine Deindustrialisierung als Folge.
Wie ist es dazu gekommen – unter einer SPD-geführten Ampelkoalition?

In einen größeren Zusammenhang gestellt durch den amtierenden Bundespräsidenten mit einem leicht orakelhaften Satz:

„Epochenbruch (Steinmeier)“_2

Am 24.2.2022 hat „Russlands brutaler Angriffskrieg in der Ukraine die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt ... (Er) markierte das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner Bemühungen, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern“. Grund für das pauschale Scheitern, dessen eigenen Anteil wir ihm darum wohl nicht sonderlich anlasten dürfen, war die „imperiale Besessenheit“ des russischen Präsidenten, die auch Klingbeil ausgemacht hat; der „Stratege des Jahres“ erkannte darüber hinaus, dass „wir das aber nicht bemerkt haben“. (Ob das „wir“ unseren Bundepräsidenten einschließt?)

Tatsächlich wusste jeder Kundige ab 2001, dass die Russische Föderation unsere strategisch angegangene „europäische Sicherheitsordnung“ nicht mittragen, sondern sogar mit militärischen Mitteln verhindern wollte – der Krieg Russlands mit Georgien 2008 hat das massiv unter Beweis gestellt. „Hier rächte sich (erstmals), dass es dem Westen nach seinem Sieg im Kalten Krieg nicht gelungen (war), Russland in gemeinsame europäische Sicherheitsstrukturen einzubinden“ (W. Zellner, Blätter ..., 4`22; zur Hälfte auch Klingbeil).

„Epochenbruch (Steinmeier)“_3

Es konnte Steinmann bei „seinen Bemühungen“ nicht entgangen sein, dass mit Hinwendung der Ukraine zu EU und Nato für die Russische Föderation ein Worst Case eintreten würde. Frau Merkel wusste das schon/noch 2008 auf dem Nato-Gipfel, als sie mit Sarkozy eine engere Bindung Georgiens und der Ukraine an Nato/EU verhinderte. Sie betonte aber, „dass kein anderes Land, beispielsweise Russland, das Recht habe, mitzubestimmen, wer Mitglied der Nato werde“ (Spiegel, 3.4.2008).
Die Unfähigkeit, diese unterschiedlichen Auffassungen – sie „dürfen“, „dürfen nicht“ -, hinter denen sich natürlich geostrategische Ziele verbargen, einvernehmlich zu klären, ist der Kern, der letztlich zum Krieg um die Ukraine führte, weil die Russische Föderation bereit war, im „dürfen“-Falle mit militärischer Macht zu antworten.

Einen Krieg anzufangen, ist ein Verbrechen, ganz gleich ob der Täter Bush oder Putin heißt.

„Epochenbruch (Steinmeier)“_4

Wie aber ist es zu bewerten, sehenden Auges in einen Krieg zu schlafwandeln, nur weil wir von unseren außenpolitischen Werten, so berechtigt sie auch (für uns) sind, nicht abweichen wollen: „Das Selbstbestimmungsrecht ist nicht verhandelbar“?

„Aber (im Besitze) der Wahrheit (und) im Angesicht des Bösen“ scheint die Antwort klar. Kann aber eine Wahrheit wahr sein, die die Ukraine in das Grauen eines Krieges zwingt, in weiten Teilen Afrikas und Asiens Hungersnöte hervorruft - mindestens aber dramatisch verstärkt, die den Kampf gegen die Klimakatastrophe vorläufig beendet, die das Verhältnis der Nato zu Russland und China in eine „Gegnerschaft, wenn nicht gar Feindschaft“ (v. Lucke) wandelt mit Folgen, die wir uns gar nicht schlimm genug ausdenken können, und, der Vollständigkeit am Rande erwähnt, unsere Volkswirtschaft und damit unsere Gesellschaft nachhaltig schädigt?

(Um der Wahrheit die Ehre zu geben - der Ukraine-Krieg entstammt einem „Konfliktfeld“, das Tony Wood als innere Entwicklung in der Ukraine, als Nato-/ EU-Osterweiterung und als neuen großrussischen Nationalismus (H.-J. Urban in Blätter 7`22) identifiziert hat.)

Dank an den vorwärts

daß die kritischen Beiträge zu diesem Thema nicht der Neti zum Opfer fielen.