In seiner Rede am Mittwochabend beschrieb Peer Steinbrück die weltpolitischen Veränderungen: Die Konjunktur- und Finanzkrise sowie die Destabilisierung ganzer Staaten werde eine "globale
Gewichtsverlagerung" beschleunigen, wie sie zuletzt nach dem Ende der Sowjetunion stattgefunden habe. Als Beispiel nannte er die USA, die durch Verschuldung, Deindustrialisierung und militärische
Überdehnung geschwächt seien.
Die Krise werde die Bedingungen der Politik nachhaltig verändern, prognostizierte Steinbrück: "Wirtschaftspolitik im 21. Jahrhundert wird nicht mehr klassische Wirtschaftspolitik sein". Die
internationale Gemeinschaft müsse in Zukunft schneller und geschlossener handeln, wenn sie die Märkte regulieren wolle. Auch reiche es nicht mehr aus, zentrale Fragen wie Klima- und Umweltschutz,
die Versorgung mit Rohstoffen oder Finanzpolitik in einem "exklusiven Klub aus einem europäisch-transatlantischen Bündnis plus Japan" zu entscheiden.
Steinbrück will mehr Europa und starke Industrie
Steinbrück sprach sich zudem für "mehr Europa" aus. Dies heiße, mehr Macht an die europäischen Institutionen abzugeben. Gleichzeitig warnte der SPD-Politiker davor, von einer
"Wirtschaftsregierung" oder den "Vereinigten Staaten von Europa" zu sprechen. "Auf absehbare Zeit werden wir keine Änderung der Europaverträge hinkriegen", meinte Steinbrück und verwies auf die
gescheiterten Volksabstimmungen zur geplanten Europäischen Verfassung in der Vergangenheit. Eine Chance bestehe darin, Europa künftig besser zu erklären. Man müsse zu einer Erzählung finden, die
die Bedeutung der EU für Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit würdigt.
Auf nationaler Ebene forderte Steinbrück, eine starke Industrie zu wahren. Die deutsche Wirtschaft könne nicht nur auf Dienstleistungen basieren. Der Sprecher des Managerkreises Klaas Hübner
stimmte ihm zu: Der industrielle Sektor habe dazu beigetragen, dass Deutschland vergleichsweise gut durch die Wirtschaftskrise gekommen sei. "Der industrielle Kern darf durch die
Energieumstellung nicht über die Maßen belastet werden", forderte Hübner.
Kritik an Staatsschulden und Bildungssystem
Der SPD riet Steinbrück, solide Staatsfinanzen zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen. Derzeit gebe die Bundesrepublik jährlich fast 40 Milliarden Euro allein für Zinsen aus. Das Geld
gehe an die Banken und fehle dem Staat für Zukunftsinvestitionen und Bildung.
Dem widersprach Peter-Jürgen Schneider, Vorstandsmitglied der Salzgitter AG: Zusätzliches Geld würde das deutsche Bildungssystem gar nicht verbessern, denn die Ressourcen würden durch die
Vielzahl der Schulformen in Deutschland verschwendet. "Ein schlecht funktionierendes System wird nicht besser, wenn man mehr Geld hineinpumpt", argumentierte Schneider. Auch Garrelt Duin,
wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte das Bildungssystem: "Wir sind verrückt, wenn wir glauben, uns länger 16 verschiedene Bildungssysteme in Deutschland leisten
zu können." Er betonte allerdings, dass er keine Bundesbehörde für Schulfragen schaffen wolle, sondern sich eine engere Kooperation zwischen den Bundesländern wünsche.
Die Zuhörer interessierte noch ein anderes Thema: Wie lässt sich der Finanzmarkt regulieren? Diese Frage richteten sie vor allem an den Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe, Dr. Thomas
Mayer. Mayer sprach sich dagegen aus, bestimmte Finanzprodukte zu verbieten. Allerdings sollten die Banken ihr Eigenkapital und die Liquiditätspuffer erhöhen. Der Volkswirt schloss sich auch
einer vorangegangenen Forderung Steinbrücks an, Banken für eingegangene Risiken stärker in Haftung zu nehmen: "Haftung und Risiko müssen zusammenfallen". Wenn Banken nicht funktionierten, müsse
man sie auch auflösen können, forderte Mayer.