
Hardliner der AfD haben durch Provokationen und kalkulierte Grenzübertretungen den öffentlichen Diskursraum in den vergangenen Monaten nach rechts verschoben. Das Parteiprogramm der AfD erscheint auf den ersten Blick fast harmlos im Vergleich zu den Thesen zum Schusswaffeneinsatz gegen Geflüchtete, zum faktischen Verbot der Religionsausübung für Muslime in Deutschland und gegenüber den rassentheoretischen Aussagen von Höcke, der in Stuttgart mit Applaus gefeiert wurde; aber nur deshalb, weil die Provokationen aus den Reihen der AfD in Teilen der Gesellschaft längst zur Politisierung von Rassismus und Nationalismus geführt haben.
AfD-Programm soll breites Spektrum ansprechen
Davon profitiert die Partei doppelt: Die Provokationen dienen der AfD dazu, demokratieferne bis demokratiefeindliche Sympathisanten hinter sich zu sammeln. Zudem weiten sie das Feld dessen, was in der öffentlichen politischen Debatte als legitim gilt in Richtung reaktionärer Positionen und ethnisierender Projektionen. Die AfD steht vor allem durch diese Skandalisierungen in der Öffentlichkeit – in den vergangenen Monaten war keine andere Partei medial in vergleichbarem Maße präsent und dies, obwohl die AfD nicht einmal im Bundestag vertreten ist.
Nach Euro- und Migrationskrise soll nun die Inszenierung als Anti-Islam-Partei zum Leitmotiv der AfD werden. Das ist folgerichtig, insofern die Partei damit dem Trend der extremen und populistischen Rechtsparteien in Europa folgt. Das Kalkül dahinter wurde durch Beatrix von Storch expliziert: „Die Presse wird sich auf unsere Ablehnung des politischen Islams stürzen, wie auf kein zweites Thema des Programms.“ Die Berichterstattung der Medien vor und nach dem Parteitag bestätigt die stellvertretende Parteichefin. Provokation – Empörung – Öffentlichkeit – Wählerstimmen: Die Aufmerksamkeitsmaschinerie der AfD brummt. Zu ihren Hochzeiten verfolgte die NPD die gleiche Medienstrategie – und wurde letztlich marginalisiert.
AfD will keine Ein-Themen-Partei sein
Doch die AfD hat größere Pläne als rechtsextremistische Kleinstparteien. Gemäßigte AfD-Funktionäre wie Adam und Meuthen wissen, dass die AfD auf Dauer als Einthemenpartei kaum Aussicht darauf haben kann, sich bundespolitisch als relevante Kraft zu etablieren. Doch um als politische Kraft in Sachfragen ernstgenommen zu werden reicht es nicht, „die Etablierten“ vor sich herzutreiben. Darum deckt das Programm der Rechtspartei nun ein breites politisches Spektrum ab.
Neben der empörungsträchtigen und in weiten Teilen grundgesetzwidrigen Anti-Islam-Programmatik bleiben andere Agenden der AfD im Hintergrund, die vermutlich in breiten Teilen der Wählerschaft deutlich weniger Resonanz finden als populäre Narrative des antimuslimischen Rassismus. Sie fordert beispielsweise die Abschaffung der Erbschaftssteuer, die Deregulierung der Märkte und die Schwächung des Sozialstaates. Ebenso skandalös wie die geforderten Einschränkungen in das Grundrecht auf Religionsfreiheit ist, dass die AfD auch die Freiheit von Forschung und Lehre beschneiden will: So erlaubt sich die AfD zu behaupten, Gender-Forschung sei „unwissenschaftlich“, dürfe nicht gefördert und müsse „abgeschafft“ werden. Zudem fordert die AfD das Waffenrecht zu liberalisieren und die Energiewende rückgängig zu machen.
Die doppelte Strategie der AfD
Das Parteiprogramm der AfD folgt einer doppelten Strategie: Einerseits soll das emotionalisierte Islam-Thema die Partei in den Schlagzeilen halten und Wähler mobilisieren. Diese Ethnisierung verschleiert komplexe soziale Zusammenhänge und Konflikte, auf die Populisten keine sachlich-realistischen Antworten geben können, ohne entweder rechtsextrem orientierte oder aber gemäßigte Wähler zu verstoßen. Im Parteiprogramm nimmt der Islam zwar nur einen geringen Teil ein, dominiert aber die öffentliche Diskussion. Die AfD stellt sich inhaltlich diffus und rückwärtsgewandt auf, jedoch breit genug, um den Vorwurf zurückweisen zu können, sie sei eine Einthemenpartei.
Neben der strategischen Dimension liegt die inhaltliche Bedeutung des Grundsatzprogrammes darin, die Weichen zu stellen für den politischen Arbeitsalltag in den Parlamenten. Die programmatische Richtung ist klar: weniger Freiheit, weniger Gleichheit, weniger Solidarität, weniger Weltoffenheit; kurzum: weniger Grundgesetz.