SPD erneuern

Stammtisch statt Facebook-Blase: Warum wir den Ortsverein brauchen

Yannick Haan19. Oktober 2018
SPD Ortsverein Niesky
So anstrengend und angestaubt so ein Ortsverein vielleicht auch sein mag, er ist ein Ort, an dem ich mich mit unterschiedlichen Menschen treffe, ein Ort, an dem ich mich mit anderen Menschen auseinandersetzen muss und an dem ich nachdenken muss, meint Yannick Haan.
Politische Diskussionen finden zunehmend im Internet statt. Die Verkürzung von Informationen hat allerdings zu einer digitalen Unmündigkeit geführt, meint Yannick Haan. Er fordert deshalb: Lasst uns den Ortsverein neu erfinden!

Ich kann mich an keine Zeit mehr erinnern, in der ich mir meine neuen Schuhe nicht im Internet bestellt habe, in der ich nicht die Möglichkeit hatte, mich politisch online zu engagieren, oder in der ich nicht in Sekundenschnelle mit meinen Freunden um die Welt chatten konnte.

Sofortige Glückserfüllung per Mausklick?

Meine Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, hat die sofortige Glückserfüllung per Mausklick gelernt. Ich klicke und bekomme eine unverzügliche Reaktion. Das ist ein wichtiges Prinzip des Internets. Mächtige Internetplattformen wie Facebook oder Google suggerieren, dass die Technik alleine unsere persönlichen, aber auch unsere gesellschaftlichen und politischen Probleme lösen kann. Der Klick ist in meiner Generation zum Symbol für die Lösung von Problemen geworden.

Doch die Funktionsweise unserer Demokratie steht dem Klick diametral gegenüber. In der Demokratie kann ich nicht klicken und eine Reaktion erwarten. Ganz im Gegenteil: Unsere Demokratie ist schwerfällig, langsam und oftmals kompliziert.

Parteiarbeit kann frustrieren

Ich habe selber erlebt, wie frustrierend die Arbeit in Parteien, vor allem in den heterogenen Volksparteien sein kann. Man engagiert sich jahrelang, geht zu Sitzungen und vertritt dort die eigene Position. Dieser Aktion folgt aber nicht zwingend eine Reaktion, weshalb viele frustriert aufgeben. Die dem Internet immanente schnelle Bestätigung der Selbstwirksamkeit fehlt in der Parteiarbeit vollends.

Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass das Internet ein imposantes Medium für einen kurzen Aufschrei, für Shitstorms und Hashtags ist, sich aber bisher wenig für ein längerfristiges politisches Engagement eignet. In der Konsequenz verliert die klassische Demokratie meine Generation der Digital Natives zunehmend.

Die Verkürzung hilft vor allem den Rechtspopulisten

Die politischen Diskurse im Internet haben uns zudem in eine digitale Unmündigkeit geführt. Der kleine Bildschirm unseres Smartphones eignet sich gut, um Informationen zu erhalten, und für die unmittelbare Kommunikation. Aber eine politische Debatte braucht, ähnlich wie die Demokratie, Raum und Zeit. Die Verkürzung der Debatte auf 140 respektive jetzt 280 Zeichen hat dabei vor allem dem Rechtspopulismus genützt.

In der digitalen Kommunikation ist die Tendenz zur Radikalisierung und Verkürzung im System angelegt. Das Sortieren durch Algorithmen verstärkt diesen Effekt. Folglich wird der Diskurs im Internet zunehmend segmentiert – und hasserfüllt. Die einzelnen Gruppen kommunizieren vermehrt unter sich und bestärken einander in den eigenen Positionen. Es zeigt sich immer mehr, dass die Geschäftsinteressen von Facebook den Geschäftsinteressen unserer Demokratie diametral gegenüberstehen.

Warum der Ortsverein so wichtig ist

Wir brauchen daher wieder neue politische Diskursräume. Für mich sind das inzwischen ganz klar die alten, nämlich die Volksparteien und die Ortsvereine. So anstrengend und angestaubt so ein Ortsverein vielleicht auch sein mag, er ist ein Ort, an dem ich mich mit unterschiedlichen Menschen treffe, ein Ort, an dem ich mich mit anderen Menschen auseinandersetzen muss und an dem ich nachdenken muss.

Hier muss ich Kompromisse schließen, auf andere zugehen und eine Sprache sprechen, die nicht verletzend ist. Im Ortsverein kann man lernen, wie Demokratie funktioniert. Der Ortsverein kann daher zum neuen Symbol gegen den kaputten politischen Diskurs werden und zum Symbol gegen die politische Segmentierung.

Wie Internet und Ortsverein zusammenfinden

Ich weiß, dass der Ortsverein in meiner Generation nicht gerade für Begeisterungsstürme sorgt. Der Ortsverein ist allzu oft männlich, politisch entkernt und hat seine Arbeitsweise seit den 70er-Jahren nicht mehr verändert. Aber warum kombinieren wir nicht das Gute aus dem Internet – wie die situative Zusammenarbeit, die Hierarchielosigkeit und die ortsungebundene Mitarbeit mit dem Guten aus dem Ortsverein? Es hält uns doch niemand davon ab, den Ortsverein neu zu erfinden. Von daher lasst uns zusammen einen neuen Ortsverein klicken. Ich mach dann auch den Kassenwart.

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Kommentare

demokratischere Strukturen in der Partei

Die jährliche Neuwahl aller Ämter wäre eine Möglichkeit. Die jährliche Urwahl des Parteivorsitzenden, in Zeiten des Internets kostengünstig und unkompliziert, die Urabstimmung über Parteiprogramme ebenso. Warum wird die Mitbestimmung der einfachen Mitglieder nicht gestärkt? Haben der PV oder unsere Spiztzenleute etwa Angst vor mehr Demokratie (Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung)? Mehr Mitspracherecht würde den Frust an der Basis erheblich mildern. Das bloße Deligiertenprinzip hat ausgedient und steht der überlebensnotwendigen Neuausrichtung massiv im Weg bzw. macht diese gar unmöglich. MEHR DEMOKRATIE WAGEN, wie wärs SPD? Ich wäre dabei.

Ohne

Unseren Ortsverein, der gute Arbeit leistet und in dem große Kameradschaft herrscht, wäre ich schon längst ausgetreten. Ich denke es gibt viele in der Partei bei denen der OV der letzte Faden ist, der Mitglied und Partei zusammen hält

Warum ist das Internet Schuld ?! - Der OV braucht Bedeutung!

Ich bin Anfang des Jahres von den Grünen zur SPD gekommen. Damals dachte ich, dass in der Partei, mit den Mitgliedern eine Debatte entsteht wie neu soziale Politik stattfinden aussehen kann. Leider hat sich dies bisher nicht besteht. Alle Veranstaltung die ich besuchte, sogar die Ortsvereinsversammlung, waren auf Belehrung der Mitglieder ausgerichtet. Vor überregionalen Versammlungen spricht man nicht über die Themen der kommenden Versammlung und kann den Delegierten kein Stimmungsbild des Ortsvereins mitgeben. Diese scheinen auch nicht interessiert. Anträge von Untergruppen der Partei werden auf überregionalen Treffen durch die Antragskommission vor-sortiert, es gibt keine Diskussion auf den Parteitagen, wie ich sie von den Grünen kannte. Ich habe bisher keine Möglichkeit gefunden mich inhaltlich in die Partei einzubringen.