
Es ist eigentlich ein gutes Alter: Mit 25 ist man so alt, dass man sich endlich erwachsen fühlt, aber noch so jung, dass man Dinge voller Elan und Frische anpacken kann. So zumindest sieht es Achim Post, Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Die SPE, so Post auf der diesjährigen SPE-Ratssitzung, die vom 1. bis 2. Dezember in Lissabon stattfand, habe in den 25 Jahren seit ihrer Gründung einiges erreicht – sie sei aber eben auch noch „jung und frisch“. Frisch genug, um die Europawahlen 2019 mutig anzugehen und die sozialdemokratische Agenda europaweit voranzutreiben.
Bei der Europawahl mit gemeinsamem Spitzenkandidaten
Unter dem Motto „Progressive Europe: Renewal“ diskutierten die Delegierten am 1. und 2. Dezember über neue Ideen für die Europäische Union und die Sozialdemokratie in Europa. Eine große Rolle spielte dabei die Notwendigkeit, sich für die anstehenden Europawahlen gut aufzustellen. Die Delegierten verabschiedeten eine Resolution, mit der sich die SPE wieder für einen gemeinsamen Spitzenkandidaten ausspricht. Außerdem will sich die SPE – und das ist neu – künftig auch für die Möglichkeit transnationaler Wahllisten einsetzen.
Ein gemeinsames Vorgehen ist umso wichtiger, weil die Sozialdemokratie europaweit vor großen Herausforderungen steht. Der SPE-Vorsitzende Sergei Stanishev unterstrich: „Dieses Jahr haben viele unserer Parteien schwierige Wahlen erlebt und teils deutlich verloren.“ Die europäische Idee, so Stanishev, würde von zwei Seiten bedroht: einerseits von den Nationalisten, Fremdenfeinden und Populisten; andererseits von den Konservativen, die den Status Quo erhalten möchten.
Mit großem Interesse blickt die europäische Sozialdemokratie vor diesem Hintergrund auch auf die Regierungsbildung in Deutschland, die Erwartungen an die SPD sind hoch: Denn um sozialdemokratische Politik zu machen, brauche es sozialdemokratische Regierungen oder Regierungsbeteiligungen, so die Meinung etlicher SPE-Regierungschefs und -Parteiführer in Lissabon.
Die Krise als Chance
Pierre Moscovici, französischer Wirtschafts- und Währungskommissar und Mitglied der französischen Parti Socialiste (PS), betonte, die europäische Sozialdemokratie mache gerade eine schwierige Zeit durch. Aber dieses Momentum könne auch eine Gelegenheit sein. Die Gelegenheit, eine Zukunftsvision zu bieten, eine sozialdemokratische Alternative zu dem Europa, wie es heute ist. Deswegen sei ein Erfolg der SPE bei den Europawahlen 2019 umso wichtiger, damit die SPE sowohl eine Mehrheit im EU-Parlament als auch in der EU-Kommission bekomme. Sonst, so warnte Moscovici „droht das Fenster der Gelegenheit, sich bald zu schließen“. Schließlich seien nicht nur die nationalen Regierungen, sondern auch das Parlament und die Kommission wichtige Akteure für progressive Politik in der EU.
Der Vize-Präsident der EU-Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, forderte seine europäischen Genossinnen und Genossen auf, nicht zu pessimistisch in die Zukunft zu blicken. „Wir müssen eine Bewegung für Idealisten nicht für Ideologen sein.“ Für ihn muss die Sozialdemokratie vor allem eine Frage beantworten: „Werden wir das System verteidigen, oder werden wir das System verändern?“ Das aktuelle System, so sahen es viele Politiker und Delegierte in Lissabon, basiert vor allem auf Austerität, Ungleichheit und fehlender Solidarität. Wie die schwedische Europaabgeordnete Marita Ulvskog zusammenfasste: „Als die Krise uns traf, starb in vielen Ländern der soziale Dialog.“ Wie viele andere forderte sie wieder mehr Solidarität.
Solidarität mit Gefangenen in der Türkei
Solidarität zeigte die SPE auch mit politischen Gefangenen in der Türkei: In einer gemeinsamen Erklärung forderte sie das Erdoğan-Regime zur Freilassung von Abgeordneten auf, die zurzeit in türkischen Gefängnissen inhaftiert sind, darunter Abgeordnete der SPE-Schwesterparteien, der kurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker) und der CHP (Republikanische Volkspartei).
Was die Solidarität auf europäischer Ebene angeht, so setzten sich die Rednerinnen und Redner in Lissabon für starke Wohlfahrtssysteme, soziale Gerechtigkeit, die Bekämpfung der Steuerflucht sowie nachhaltige Investitionen ein. Wer an Nachhaltigkeit und die Zukunft denkt, das machten mehrere Redner – darunter der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn und die deutsche Delegierte Johanna Uekermann – deutlich, darf die Jugend nicht vergessen. Der portugiesische Premierminister António Costa schlug in seiner Rede eine „Toolbox“ für junge Menschen vor, um sicherzustellen, dass diese „für die Zukunft gerüstet sind“. Junge Menschen würden für das europäische Projekt dringend gebraucht, deshalb müsse man sie mobilisieren.
Eine Alternative zur Sparpolitik
Costa und seine Sozialistische Partei haben in Portugal bewiesen, dass es eine Alternative zur Austeritätspolitik gibt, dass mehr Gleichheit und Wohlstand möglich sind. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist dort erstmals seit 1994 kleiner geworden.
„Europa gehört zur DNA der Sozialistischen Partei Portugals“, sagte Costa. „Europa hat einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes geleistet.“ Zwar sei die Krise nun vorbei, aber die Sozialdemokratie dürfe nicht einfach abwarten, bis die nächste Krise passiert: „Wir müssen unsere Chance jetzt ergreifen.“ Und das hat die SPE in Lissabon getan. Sie hat sich die „Erneuerung“ nicht nur auf Plakate drucken lassen – sondern diese mit konkreten Maßnahmen und Resolutionen festgeschrieben. Sie will gemeinsam die Erneuerung der Sozialdemokratie in Europa anpacken. Und sie will Europa sozialdemokratischer, gerechter und solidarischer machen.