Sozialdemokratie

SPE-Konferenz in Berlin: „Das soziale Europa ist zurück.“

Karin NinkKai Doering26. Juni 2021
Europa solidarischer machen: Udo Bullmann, Alicia Homs und Sergei Stanichev bei der SPE-Konferenz
Europa solidarischer machen: Udo Bullmann, Alicia Homs und Sergei Stanichev bei der SPE-Konferenz
Eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich Europas Sozialdemokrat*innen erstmals wieder im größeren Rahmen getroffen. Bei ihrer Konferenz in Berlin betonten sie, wie sie den Wiederaufbau für ein sozialeres Europa nutzen wollen.

Ein Zeichen des Aufbruchs und der Erneuerung geht von dieser Konferenz der europäischen Sozialdemokrat*innen in Berlin aus. Das sagt schon der Titel „Mit Mit. Für Europa.“ Es ist die erste Konferenz in der Pandemie, bei der sich die Mitglieder der SPE wieder live treffen konnten. Mitglieder aus ganz Europa können dem Kongress aber auch auf YouTube und Facebook als Stream in zehn verschiedenen Sprachen folgen.

Europas „Paradigmenwechsel“ in der Corona-Krise

„Nach mehr als einem Jahr auf Zoom sind wir zurück“, sagt so auch der Vorsitzende der SPE Sergei Stanichev in seiner Begrüßung. Der frühere bulgarische Ministerpräsident betont den „Paradigmenwechsel“ im Umgang mit der Corona-Krise. „Wir Sozialdemokraten haben von Tag eins an gesagt, dass wir anders antworten müssen als auf die Finanzkrise 2008“, erinnert Stanichev. Das sei gelungen. „Wir haben gezeigt, dass Europa den Mut hat, Probleme zu lösen. Das soziale Europa ist zurück auf der Agenda.“

Dass dies gelungen ist, sei vor allem der guten Zusammenarbeit der europäischen Sozialdemokrat*innen zu verdanken – und zu einem großen der SPD. „Den Mut, den ihr beim Wiederaufbaufonds bewiesen habt, hat uns allen geholfen“, lobt Stanichev. Auch deshalb blicke Europa mit großer Spannung auf die Bundestagswahl im September.

„Wir müssen das Rote ins Grüne bringen.“

Frans Timmermans bei der SPE-Konferenz

Die Bedeutung der SPD im Allgemeinen und von Olaf Scholz im Besonderen hebt auch EU-Kommissar Frans Timmermans in der anschließenden Diskussion unter dem Titel „Europa, das in die Zukunft investiert“ hervor. „Wir hätten den Wiederaufbaufonds nicht, wenn Olaf Scholz nicht andere überzeugt hätte“,  sagt Timmermans. Nun gelte es, das 750 Milliarden schwere Investitionsprogramm der EU klug zu nutzen.

Timmermans fasst das Ziel unter dem Schlagwort „build back better“ zusammen: Es gehe nicht darum, nach Corona zum Alten zurückzukehren, sondern etwas Besseres zu schaffen. Besser bedeutet für den Kommissar, der den „Green Deal“ der EU verantwortet, „klimaneutral, ohne dass jemand auf der Strecke bleibt“. Timmermans bringt es auf die Formel: „Wir müssen das Rote ins Grüne bringen.“

Keine Zukunft mit der schwarzen Null

Ein Bild, das auch Iratxe Garcia aufgreift, die das Wiederaufbauprogramm mit einer Wassermelone vergleicht: außen grün, innen rot. Ein Drittel der 750 Milliarden Euro soll in den „Green Deal“ fließen. „Wir wollen zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern ein klimaneutrales, ein soziales und feministisches Europa bauen“, sagt die Vorsitzende der S&D-Fraktion im Europaparlament.

Dass das ohne Investitionen auch in den Mitgliedsstaaten selbst nicht funktionieren wird, habt Norbert Walter-Borjans hervor. „Doch die Konservativen halten an der schwarzen Null fest“, sagt der SPD-Vorsitzende. Deshalb sei es wichtig, dass sich die Sozialdemokrat*innen mit ihren Ideen durchsetzten.

Respekt und Zusammenhalt stärken

Doch Investitionen alleine reichen nicht. Es geht auch darum, den Respekt in Europa wiederherzustellen. Darauf weist Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Arbeit und soziale Rechte, hin und betont, dass Würde und Respekt in Europa durch die rigide Sparpolitik während der Wirtschafts- und Finanzkrise verlorengegangene seien. Dies müsse wiederhergestellt werden. Dabei hätten die Beschäftigungsmöglichkeiten für die jungen Menschen absolute Priorität. „Wir müssen ihnen echte Perspektiven und Sicherheit für ihr eigenes Leben bieten“, betont Schmit. Seit Beginn der Pandemie ist die Jugendarbeitslosigkeit um mehr als 400.000 auf eine Quote von 17,1 Prozent gestiegen. Die SPE setzt sich für ein Anschub-Programm für junge Menschen ein.

Der Vorsitzende der italienischen Partito Democratico, Enrico Letta, stimmt Schmit zu und erinnert daran, dass die Corona-Pandemie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 schon die zweite Krise in gut einem Jahrzehnt sei, die besonders die jungen Menschen betreffe, gerade in Südeuropa. Die SPE befürwortet deswegen das Frontloading von Kernprogrammen der EU insbesondere auch im Bereich der Jugendbeschäftigung. So will sie erreichen, dass unmittelbare soziale Investitionen in hochwertige Arbeitsplätze und öffentlich Dienstleistungen für junge Menschen gerade in den kommenden Jahren unterstützt werden. Elisa Ferreira, EU-Kommissarin für Kohäsion und Reformen, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Zusammenhalt kein Selbstzweck sei, sondern existentiell für die europäische Gesellschaft. „Eine gespaltene Gesellschaft verliert an Kraft – wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch.“

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Grundwerte der EU

Katarina Barley bei der SPE-Konferenz

Natürlich sind auch die Verletzung der Grundwerte in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn Thema des Kongresses. Die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, fordert dazu auf, „aufmerksam zu sein, denn die zentralen europäischen Grundwerte stehen auf dem Spiel“. Auch Slowenien habe diesen Weg eingeschlagen. Die EU-Kommission ziere sich und handele nicht konsequent genug, kritisiert Barley und warnt: „Ohne Demokratie und Rechtsstaatlichkeit könnte die EU nicht weitermachen.“

Die SPE hat schon am Vorabend der Konferenz ihre Solidarität mit der LGBTIQ-Community in Ungarn erklärt und das jüngste Vorgehen der ungarischen Orbán-Regierung verurteilt. Die stellvertretende Vorsitzende der Ungarischen sozialistischen Partei, Agnes Kunhalmi, dankt in einem kurzen Statement während des Kongresses für die Unterstützung der europäischen sozialdemokratischen Familie. 

Einstimmigkeit-Prinzip sollte aufgehoben werden

Um besser zu einem klaren gemeinsamen Handeln zu kommen, fordert die Vorsitzende der Europäischen Jungsozialisten, Alicia Homs, die Entscheidungsverfahren innerhalb der EU zu reformieren und das Prinzip der Einstimmigkeit aufzugeben. SPE-Vorsitzender Sergei Stanichev bestätigt: „Das funktioniert nicht mehr.“ Offenbar sind die Bürgerinnen und Bürger im gemeinsamen Handeln teilweise weiter als die Institutionen. Der Europa-Beauftragte der SPD, Udo Bullmann, jedenfalls betont, wie groß die Solidarität der europäischen Bürgerinnen und Bürger untereinander sei – etwa in Katastrophenfällen.

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Kommentare

Das soziale Europa ist zurück // Wir müssen das Rote ins Grüne

"Wir müssen das Rote ins Grüne bringen." JA - besser kann man es kaum formulieren. Aber - das kommt sehr, sehr spät.

Schon 2013 ist im VSA-Verlag das Fach- und Sachbuch 'Rotes Grün' - Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft - von Dr. Hans Thie erschienen. Der Klappentext lautet: "Grüner Kapitalismus ist kompatibel mit den Mächtigen, sorgt für das Flair ökologischer Modernität. Aber er ist keine Antwort, wenn es um fundamentale Zukunftsfragen geht. Wer Ökologie für alle will, muss die Wirtschaftsordnung ändern. Sattes Grün verlangt kräftiges Rot."

Ich lese dieses fachlich vorzügliche und auch für Laien gut lesbare Buch immer wieder mit Gewinn. Man konnte es also wissen, spätestens seit 2013! In der Folge sind zig gute Fach- und Sachbücher zur Sozialen und Ökologischen Gerechtigkeit erschienen. Zuletzt u.a. 'System Change', Bernd Riexinger, VSA, 2020, u. 'Das Gift der Ungleichheit', Dierk Hirschel,
Dietz-Verlag, 2020. Also: mehr lesen!

Frans Timmermanns hat also recht. Damit das Recht haben aber Realität wird, muss die gesamte europäische Sozialdemokratie mit dem Neoliberalismus rigoros und endgültig brechen! Danach sieht es jedoch bisher nicht aus!