
Es gibt mehrere Erfolgsfaktoren für die Erneuerung der SPD und ein besseres Abschneiden bei zukünftigen Wahlen. Neben einem klaren sowie mutigen inhaltlichen Profil und überzeugendem Spitzenpersonal gibt es auch einen internen Faktor: die Organisation, die soziale Struktur sowie die Parteikultur in der SPD. Hierbei kommt es besonders auf die Ortsvereine an. Sie sind die zentrale Anlaufstelle für die Mitglieder und stellen die Wahrnehmung und Verwurzelung der Partei bei den Bürgern vor Ort sicher.
Die Realität in (zu) vielen Ortsvereinen
Es gibt Ortsvereine mit vielen engagierten Mitgliedern, die sich ehrenamtlich voll und ganz für die Partei und die Demokratie ins Zeug legen. In anderen Ortsvereinen ist die Realität eher ernüchternd, mal mehr und manchmal weniger. Und mit dieser Realität konfrontieren wir auch unsere vielen Neumitglieder, die voller Elan eingetreten und auf die wir doch eigentlich so stolz sind.
Zu viele Ortsvereine sind – gezielt oder aus Gewohnheit – ein gemütlicher Club von wenigen, nicht mehr so jungen Leuten, die sich meist schon länger kennen und sich gegenseitig selbst wählen. Dabei gibt es oft keine schriftlich fixierten Regeln der Zusammenarbeit, wie etwa eine Satzung. Vor allem in größeren Ortsvereinen sind 80 - 90 Prozent der Mitglieder gar nicht aktiv, was selten sogar für Leute gilt, die sich in den Vorstand haben wählen lassen. Sie kommen weder zu Mitgliederversammlungen noch zu Wahlen oder sonstigen Treffen.
Neue aktive Mitglieder: Bedrohung oder Bereicherung?
Möglichkeiten der Online-Beteiligung, insbesondere für Eltern von kleinen Kindern oder Leuten mit langen oder ungünstigen Arbeitszeiten, gibt es (fast) nicht. Sicher liegt die Passivität vieler Mitglieder auch darin begründet, dass einige gar nicht wollen oder keine Zeit haben. Teilweise gibt es aber auch kaum Mitmach-Angebote und die (passiven) Mitglieder fühlen sich nicht gebraucht.
Der Erneuerungsprozess, der bisweilen recht unklar definiert ist und von dem derzeit kaum Ergebnisse zu spüren sind, hat daran bislang kaum etwas geändert. Viele Funktionäre stehen dem Prozess, soweit er über inhaltlich-programmatische Ansätze hinausgeht, eher reserviert oder passiv gegenüber. Das gilt auch für neue organisatorische Impulse, die „von oben“ kommen. Wie etwa die – nach meinem Eindruck kaum genutzte – Möglichkeit der Einführung einer Doppelspitze im Ortsverein (die ja niemandem etwas nimmt, sondern nur zusätzlich zu Arbeitsentlastung führt) oder die Abschaffung des Delegiertenprinzips, wie im Unterbezirk von Lars Klingbeil praktiziert. Neue Leute und neue Ideen werden in manchen Ortsvereinen eher als Bedrohung statt als Bereicherung wahrgenommen.
Auf die Mitglieder zugehen
Aus meiner Sicht hat die SPD zwei Probleme viel zu lang verdrängt:
Die Aktivenquote liegt in vielen Ortsvereinen nur bei 10-20 Prozent der Mitglieder. Auch die lobenswerte Initiative SPD++ hat hieran bislang leider kaum etwas geändert. Angesichts der Krise der Partei und der Demokratie insgesamt müssen die Vorstände der Ortsvereine hier meiner Meinung nach kreativ werden und sich Gegenmaßnahmen überlegen. Sie müssen auf die Mitglieder zugehen und nicht umgekehrt.
Denn die meisten von ihnen wollen eben nicht nur Beiträge zahlen. Eine Haltung wie „Wer was will, soll kommen“ ist nicht mehr zeitgemäß. Eine (Volks-)Partei, die offenbar für die Mehrheit der eigenen Mitglieder wenig spannend ist, wirkt – jedenfalls in der heutigen Zeit – auch nicht attraktiv auf die Wähler/innen. Die gute alte Zeit, als das noch anders war, ist vorbei. „Unsere Partei darf nicht zu einem Wahlverein einer Handvoll von Funktionären werden“ (Hans-Jochen Vogel, Welt online vom 13.08.2018).
Mehr Vielfalt unter Funktionären und Delegierten nötig
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Vielfalt unter den Funktionären und Delegierten, was schon Sigmar Gabriel im Januar 2010 in seinen „12 Thesen zur Erneuerung der SPD“ (war da was?) betont hatte. Insbesondere eine Volkspartei muss (wie eigentlich auch die Parlamente), so gut es geht, ein Spiegelbild der Gesellschaft sein, d.h. möglichst viele Berufsgruppen sowie verschiedene Einkommens- und Altersklassen vertreten. Bei der Frauenquote hat in der SPD vor 30 Jahren nur Zwang zu mehr Vielfalt geführt.
Eine linke Volkspartei, die glaubwürdig sein will, muss auch Leute mit kleinem und mittleren Einkommen und Menschen, die es schwerer haben als andere, repräsentieren. Natürlich wirkt es sich auf die Parteikultur und auf die gemeinsam entwickelten Ideen aus, wenn im Ortsverein z.B. auch eine Krankenschwester, ein Polizist, eine Kassiererin, ein Arbeitsloser, eine Alleinerziehende oder ein Automechaniker etc. aktiv sind. Die SPD kann mehr nicht-akademischen gesunden Menschenverstand gut gebrauchen.
Um direkt einem oft gehörten Einwand zu entgegnen: Akademiker sind auch heute noch unter den Berufstätigen in Deutschland in der Minderheit. Und den Spitzensteuersatz zahlen nur etwa zehn Prozent der Beschäftigten, obwohl der heute, im Vergleich zu früher, kein enorm hohes Einkommen mehr voraussetzt.
Natürlich brauchen wir auch (meist gutverdienende) Hochschulabsolventen, Juristen, Lehrer und Beamte etc. unter den Parteifunktionären. Aber – ich übertreibe jetzt – bitte nicht nur.
Es muss ein Ruck durch die Partei gehen
Die SPD braucht auch eine organisatorische, strukturelle und kulturelle Erneuerung. Absichtserklärungen in Sonntagsreden werden dafür nicht reichen. Es muss ein Ruck durch die gesamte Partei gehen, auch durch die Ortsvereine.
Wann geht´s denn mal los? Wann werden die starken Ankündigungen aus der Parteiführung in die Tat umgesetzt? Wir haben genug gute Leute. Der Erneuerungsprozess darf aber nicht (wieder) am Apparat scheitern.
Um mehr Leben in die Ortsvereine zu kriegen, könnte man z.B. folgendes machen: mehr Junge und mehr Nicht-Akademiker in die Vorstände holen; Mentoring für Neu-Mitglieder; gezielt passive Mitglieder ansprechen und auch Feedback einholen; regelmäßige Newsletter an die Mitglieder; weniger Basta der Führung und mehr Beteiligung der Basis; spannendere Tagesordnungspunkte und weniger Berichte aus irgendwelchen Gremien etc.;
Webseite aufpolieren und pflegen; zusammen eine Satzung erarbeiten; Fahrdienste für ältere Mitglieder zu den Treffen; Arbeitsgemeinschaften bilden, die allen Mitgliedern offenstehen; Online-Kommunikation ermöglichen; eine entspanntere Einstellung zu den – ehrenamtlichen – „Posten“ und „Karrieremöglichkeiten“ entwickeln; weniger Ämterhäufung und wer zehn oder mehr Jahre in Ämtern ist, kann auch mal einen Posten für jemand Neuen freimachen.
Beim Debattencamp der SPD am 10. und 11. November wird Andreas Henkel einen Workshop zum Thema „Gute Fragen machen gute Antworten machen gute Lösungen“ anbieten.
Wie man Parteien attraktiver machen kann und viele praktische Vorschläge zur Verbesserung der Führungs-, Debatten- und Vielfaltskultur bietet ein Beitrag des Think Tank „Das progressive Zentrum“, veröffentlicht im Policy Brief 03_2015: Parteikultur. Ideen für Parteireform abseits von Satzungs- und GesetzesänderungLesetipp