Sakia Esken und Norbert Walter-Borjans

SPD-Zukunftsprogramm: „Die schwarze Null ist passé.“

Karin NinkKai Doering31. März 2021
SPD-Vorsitzende Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans: Wir haben uns bewusst entschieden, das Programm kurz und exemplarisch zu halten.
SPD-Vorsitzende Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans: Wir haben uns bewusst entschieden, das Programm kurz und exemplarisch zu halten.
Die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans über die Grundideen des SPD-Zukunftsprogramms, höhere Steuern für wenige und geringere für viele – und die Frage, warum sich die Art und Weise des Regierens ändern muss

Die SPD nennt ihr Programm für die Bundestagswahl „Zukunftsprogramm“. Wie viel ­Symbolik steckt darin?

Saskia Esken: Dass unser Programm Zukunftsprogramm heißt, ist weit mehr als nur ein Symbol. In diesem Titel steckt die Überzeugung: Es ist höchste Zeit, dass eine progressive und von ­einem Bundeskanzler Olaf Scholz sozial­demokratisch geführte Regierung die großen Zukunftsaufgaben in die Hand nimmt und ihre Herausforderungen gemeinsam mit der gesamten Gesellschaft gestaltet. Das gilt für den Kampf gegen den Klimawandel ebenso wie für die Digitalisierung oder die Mobilitätswende, aber auch für den Einsatz für gute Arbeit und den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Entstanden ist das Programm vor allem im vergangenen Jahr unter den Eindrücken von Corona. Wie sehr hat das das Programm geprägt?

Norbert Walter-Borjans: So eine Ausnahmesituation wie wir sie zurzeit erleben, prägt natürlich das Denken über die Zukunft. Viele der Herausforderungen in der Corona-Pandemie sind allerdings nicht erst im vorigen Jahr entstanden. Sie werden jetzt nur wie unter einem Brennglas spürbar. Sie verlangen aber umso drängender nach einer Lösung. Krisen bieten aber auch die Chance, Weichen neu zu stellen – etwa für wirksamen Klimaschutz, den Einsatz neuer Techniken, Verbesserungen im Gesundheitswesen oder die Umstellung auf sichere und faire Lieferketten.

SPD-Vorsitzende Saskia Esken

Saskia Esken: Es ist doch völlig klar, dass so eine tiefgreifende Krise die Gesellschaft auch dauerhaft verändert. Dass man nichts mehr so richtig planen kann, das wird so manche Lebensentscheidung auch in Zukunft beeinflussen. Das gilt aber auch für die Art und Weise, wie wir Politik machen. Wir werden auch künftig mit sich verändernden Bedingungen umgehen müssen, müssen mehr als je zuvor über Ressortgrenzen und Ebenen hinweg effektiv und agil zusammenarbeiten.

Noch nie waren die Mitglieder so stark an der Entwicklung eines Wahl­programms beteiligt. Welchen Einfluss hatte das auf das Programm?

Norbert Walter-Borjans: Wir hatten noch nie eine derart konstruktive Debatte über die Inhalte des Programms. Das lag an der frühen Einbindung vieler Gruppen. Wir haben in den diversen Formaten ja nicht nur mit den Mitgliedern gesprochen, sondern auch mit Umwelt- und Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, der Wirtschaft und vielen anderen. Die große Zustimmung nach der Präsentation des Entwurfs spiegelt das wider. Wir haben uns nicht wie andere im stillen Kämmerlein etwas ausgedacht, sondern haben schon während der Arbeit viele Anregungen aufgenommen. Das merkt man in jeder Zeile. Dadurch wird das Programm auch deutlich erzählbarer – und weitererzählbar.

Was ist aus Ihrer Sicht die wesentlichste Aussage des „Zukunftsprogramms“?

Saskia Esken: Wir haben verstanden, welche Bedeutung Respekt und Zusammenhalt in einer Gesellschaft haben, um in den bevorstehenden Veränderungen bestehen zu können, ebenso wie gleiche Teilhabe und gleichwertige Lebensverhältnisse. Die Gesellschaft muss Verschiedenheit als Bereicherung erleben und Ausgrenzung überwinden, und sie darf dennoch nicht in immer mehr Einzelteile zerfallen. Wir müssen uns als ein vielfältiges und dennoch gemeinsames Ganzes begreifen. Unser Zukunftsprogramm macht dafür gute Angebote.

Im Entwurf des Programms heißt es, die SPD wolle zur Finanzierung der Vorhaben alle „verfassungsrechtlich möglichen Spielräume zur Kredit­aufnahme“ nutzen. Ist das ein Para­digmenwechsel in der Finanzpolitik weg von der schwarzen Null?

Norbert Walter-Borjans: Der Paradigmenwechsel ist ein anderer. Früher stand die schwarze Null am Anfang und legte fest, was möglich ist. Jetzt stellen wir an den Anfang, was für die Zukunft dieses Landes unabdingbar nötig ist – von der Digitalisierung, über die Mobilität bis hin zur Klimaneutralität. Daraus ergibt sich der Finanzbedarf. Mit einer schwarzen Null sind die vor uns liegenden Aufgaben nicht zu erledigen. Die schwarze Null ist passé – zu Recht, weil der Verzicht auf Investitionen uns viel teurer käme als ein Kredit, der sich in der Zukunft vielfach auszahlt. Eine finanzielle Vollbremsung nach Corona wäre demgegenüber eine schwere Hypothek.

Dafür sollen Spitzenverdiener*innen künftig mehr Einkommensteuer bezahlen, die Vermögensteuer soll wieder eingeführt, die Erbschaftsteuer reformiert werden: Setzt die SPD mit diesem Programm auf Umverteilung?

SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans

Norbert Walter-Borjans: Unser Zukunftsprogramm ist ein Steuersenkungsprogramm. Den allergrößten Teil der Bürgerinnen und Bürger werden wir entlasten. Um die erwähnten Investitionen dennoch finanzieren zu können, setzen wir auf drei Quellen: Erstens werden wir Steuerumgehung und Steuerbetrug einen Riegel vorschieben. Zweitens werden wir für Zukunftsinvestitionen auch Kredite aufnehmen. Und drittens werden sich die drei bis fünf Prozent der größten Vermögen und Erbschaften stärker als bisher an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben beteiligen müssen.

Saskia Esken: Wenn die Verteilung von Vermögen, von Einkommen und auch von Chancen so ungleich ist wie in Deutschland, dann ist Umverteilung das Gebot der Stunde. Die Ungleichheit ist letztlich auch Gift für eine Volkswirtschaft wie unsere. Dazu gehört auch, dass wir als Staat nicht weiter Dumpinglöhne subventionieren. Stattdessen brauchen wir einen Mindestlohn, der zum Leben reicht und der im Alter für eine ordentliche Rente sorgt. Und wir brauchen mehr Tariflöhne. Der Staat muss dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb wollen wir ein Bundestariftreuegesetz.

Norbert Walter-Borjans: Manch einer fordert ja, dass wir auf Investitionen verzichten und den Sozialstaat abbauen, um die Corona-Kosten zu finanzieren. Das wäre wirklich eine massive Umverteilung – allerdings von unten nach oben. Das ist mit uns nicht zu machen.

Der Programmentwurf ist mit 50 Seiten deutlich kürzer als Programme für frühere Wahlen. Was sind die Vorteile eines kurzen Wahlprogramms?

Saskia Esken: Wir haben uns bewusst entschieden, das Programm kurz und exemplarisch zu halten. Es geht um die langen Linien, um eine Haltung, nicht um Vollständigkeit. Dafür haben wir das Zukunftsprogramm mit konkreten Beschlüssen der Partei und der Fraktion zu Sachthemen angereichert, etwa unserem Sozialstaatskonzept, das wir bereits auf dem Parteitag 2019 beschlossen haben. Das wird man auch bei der Präsentation des Programms merken.

Inwiefern?

Saskia Esken: In früheren Wahlkämpfen haben wir unser Programm gedruckt verteilt und eine PDF davon ins Internet gestellt. Diesmal werden wir ein richtig digitalisiertes Programm haben, in das man eintauchen kann. Dafür entwickeln wir gerade eine Matrix, sodass jeder auf Anhieb das findet, was ihn an unserem Programm am meisten interessiert und was für ihn relevant ist – egal, wo es in der gedruckten Version steht.

Welche Punkte des Programms sollte jede*r Wahlkämpfer*in auf Anhieb erklären können?

Norbert Walter-Borjans: Wir alle müssen überzeugend erklären, dass die SPD Klimaschutz und Arbeitsplätze der Zukunft miteinander verbindet und nicht eindimensional für ein Thema steht. Wir sorgen dafür, dass Klimaschutz den Erfindergeist beflügelt. Neue Technologien bieten Chancen für fair entlohnte, gute Arbeit und exportfähige Produkte, die den Klimawandel weltweit stoppen helfen. Das gelingt umso besser, je stärker Deutschland im europäischen Verbund handelt.

Saskia Esken: Die SPD will den Menschen die Zuversicht geben, dass wir die Zukunft gemeinsam in die Hand nehmen und dass jeder und jede darin ein gutes Leben selbstbestimmt gestalten kann. Wenn wir die bevorstehenden Veränderungen meistern wollen, dann müssen wir zusammenhalten. Und dafür braucht es die SPD.

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Kommentare

Widersprüche

Allein in dem Halbsatz ".....eine progressive und von ­einem Bundeskanzler Olaf Scholz sozial­demokratisch geführte Regierung...." entdecke ich Widersprüche. Mal ganz abgesehen davon, daß die Umfragewerte der SPD eine solche Kanzlerschaft nicht hergeben.

Re: Widersprüche

@armin Christ:
ja, man kann da jetzt wieder die Negativpunkte rausziehen, aber die Stoßrichtung stimmt doch: Für die vielen, nicht die wenigen!
Jetzt geht es drum, die guten Ideen des Programms in die Gesellschaft zu tragen. (Und besser als der Unionsklüngel ist das allemal.)
Wir machen wieder Sozialdemokratie!

Das Positive

Vielleicht hilft ja meine Mahnung, aber wenn Wahlen anstehen, dann sind wir "links blinken" ja gewohnt, und anschließend kommt Münte und sagt: "Ich finde es unfair wenn wir an unseren Wahlversprechen gemessen werden."
Ich hoffe mal, daß sich mit dem Tarifvertrag in der Fleischindustrie was tut, ansonsten mus H Heil seine Ankündigung wahr machen. Die soziale Sicherung der bis zu 300000 landwirtschaftlichen Saisonkräfte ist auch noch zu beackern !

Und noch mehr Widersprüche

Die Verknüpfung von Worthülsen zu Scheinaussagen erzeugt kein Vertrauen.

"Wir sorgen dafür, dass Klimaschutz den Erfindergeist beflügelt. Neue Technologien bieten Chancen für fair entlohnte, gute Arbeit und exportfähige Produkte, die den Klimawandel weltweit stoppen helfen. Das gelingt umso besser, je stärker Deutschland im europäischen Verbund handelt."

Wie soll denn der bisher gezeigte "Klimaschutz" einen Erfindergeist beflügeln wenn er nahezu ausschließlich aus Abgaben für Endverbraucher besteht und keinerlei Impulse bei Herstellern und Verursachern setzt ?
Neue Technologien bieten zunächst mal gute Chancen für weitere Rationalisierung, Stellenabbau und Entwertung bisher hochpreisiger Qualifikationen. Exportfähige Produkte müssen für die Kunden attraktiv sein, es gibt da keinen Zusammenhang mit "Klimaschutz". Und all Das hat mit einem wie auch immer gearteten "europäischen Verbund" grad mal gar nix zu tun.

Das mit der angeblich gewollten Steuerfluchtbekämpfung mag ich einem Walter Borjans noch abnehmen, aber unter der "Führung" von Herrn Scholz wird dieser Glaubwürdigkeitsbonus doch eher negiert.

Jetzt handeln statt weiter nur schwafeln ist das Gebot der Stunde.

Das ist richtige Entscheidung

Das ist richtige Entscheidung, aber a) Begriff Spitzenverdiener muss klar definiert werden. Zweiter Punkt, Verzicht auf schwarze Null ist absolut richtig, Aber Verbesserung der Mittelschicht kommt nur über gut bezahlte Arbeitsplätze die durch Investitionen entstehen können, nicht zuletzt wir brauchen zukunftsorientierte Bildung, Was wir nicht brauchen dass sind Diskussionen über Identität und Genderfragen,