
Die SPD sagt, Eltern seien systemrelevant. Was bedeutet das konkret?
Familien und ihre Kinder sind die Zukunft unseres Landes. Im SPD-Präsidium haben wir die aktuelle Corona-Situation daher mal aus der Sicht der Familien betrachtet. In den ersten Wochen der Corona-Krise haben wir viel über die Stabilisierung der Wirtschaft und die Sicherung von Arbeitsplätzen gesprochen. Das war gut und wichtig, aber nun müssen wir den Blick erweitern. Obwohl Familien gerade Enormes leisten, ist ihre Situation bisher zu kurz gekommen. Das müssen wir dringend ändern.
Die Frage, die die meisten Familien zurzeit am drängendsten beschäftigt, lautet: Wann öffnen die Kitas? Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht dafür entscheidend?
Das Komplizierte an der schrittweisen Wiederöffnung der Kitas ist, dass die Situation von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden ist. Entscheidend ist natürlich die Sicherheit der Kinder, aber auch die der Erzieherinnen und Erzieher. Aus meiner Sicht passt da manches nicht zusammen. Mir kann z.B. niemand erklären, dass in vielen Ländern die Shopping-Malls wieder geöffnet haben, Kitas und Grundschulen aber nicht. Gleichzeitig gelten Eltern, die in den Geschäften arbeiten, nicht als systemrelevant, das heißt, dass ihre Kinder nicht in die Notbetreuung können. Bei der Wiederöffnung von Kitas und Grundschulen sollten auch die Notlagen der Familien beachtet werden. Manchen Eltern wäre etwa schon sehr geholfen, wenn sie ihre Kinder zwei oder drei Tage in Kita oder Grundschule geben könnten. Es darf einfach nicht sein, dass Eltern die Kündigung droht, weil sie keine Betreuung für ihre Kinder haben. Es muss eine Perspektive geben.
Was erwarten Sie von den Arbeitgeber*innen?
Vor allem, dass sie langfristiger denken und sich – am besten gemeinsam mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – Modelle überlegen, wie Familien- und Berufsleben besser miteinander vereinbart werden können. Beispielsweise über Homeoffice-Regelungen oder flexiblere Arbeitszeiten. Das ist übrigens im ureigenen Interesse der Unternehmen, denn sie wollen ihre Beschäftigten ja halten. Klar ist, dass es nicht auf dem Rücken der Familien ausgetragen werden darf, wenn die Kitas und Schulen nicht öffnen und Eltern ihre Kinder deshalb nicht betreut bekommen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war ja schon vor Corona ein unglaublich wichtiges Thema, das nun aber nochmal deutlich an Brisanz gewonnen hat. Die Corona-Krise zeigt, dass das Gerüst, wie Betreuung organisiert ist, wacklig ist. Deshalb sollten wir uns auch über die konkrete Krisensituation hinaus dringend Gedanken machen, wie wir das dauerhaft stabilisieren können.
Wenn es wacklig wird, springen vor allem Frauen ein und bleiben zuhause, um die Kinder zu betreuen. Woran liegt das?
Frauen tragen die Hauptlast bei der Bewältigung der Corona-Krise. Ihre Berufstätigkeit hat in den letzten Jahren zwar massiv zugenommen, aber wenn man genau hinschaut, sieht man, dass der größte Teil von ihnen teilzeitbeschäftigt ist. Genau das macht sich jetzt bemerkbar: Dadurch, dass der Mann oftmals der Hauptverdiener ist, ist es die Frau, die als erstes zurückstecken muss. Das ist rational vollkommen nachvollziehbar, da die Familie ja das Geld zum Leben braucht. Für die Gleichberechtigung ist es aber ein riesen Problem. Den Männern kann man dabei übrigens keinen Vorwurf machen. Die meisten wollen sich partnerschaftlich engagieren, aber solange die Löhne derart auseinander gehen, können sich das viele Familien schlichtweg nicht leisten. Auch deshalb brauchen wir dringend eine bessere Bezahlung in den Berufen, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind. Das Geld darf nicht darüber entscheiden, wer am Ende zuhause bleibt.
Geld ist das Stichwort: Die SPD fordert mit Blick auf das Konjunkturpaket der Bundesregierung einen Kinderbonus für Familien. Was soll der leisten?
So verrückt das klingt: Kinder zu haben gehört in Deutschland zu den größten Armutsrisiken. Und jetzt kommt dazu noch die Corona-Krise. Viele Eltern erhalten momentan nur ein reduziertes Gehalt oder Kurzarbeitergeld. Gleichzeitig entstehen zusätzliche Kosten, weil die Kinder nicht in der Kita betreut werden können – vom Mittagessen bis hin zu Freizeitangeboten. Dafür müssen wir einen Ausgleich schaffen. Dazu soll der Kinderbonus dienen. Wir fordern mindestens 300 Euro pro Kind. Dabei ist entscheidend, dass das Geld nicht auf Sozialleistungen wie etwas Arbeitslosengeld angerechnet wird.
Sollte das Geld dann nicht lieber nur denen zugutekommen, die es wirklich brauchen?
Der Kinderbonus wird konkret den Familien helfen, die besonders wenig Einkommen haben. Bei reichen Familien hingegen wird der Bonus mit dem Kinderfreibetrag verrechnet. De facto profitieren sie also weniger. Unabhängig vom Elternhaus ist aber jedes Kind gleich viel wert. Mittel- und langfristig wollen wir daher eine sozialdemokratische Kindergrundsicherung etablieren, die zwei Stränge vereint: eine existenzsichernde Geldleistung für Kinder, die die bisherigen Familienleistungen zusammenführt und damit Kinder aus der Armut herausholt, und gleichzeitig die Investitionen in die Infrastruktur für Bildung und Teilhabe – damit Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen gut ausgestattet werden. Davon haben letztendlich alles etwas.