Neuaufstellung der SPD

Warum die SPD zu einer Richtungspartei werden muss

Micha Heitkamp12. Juli 2019
„Der SPD fehlt die Richtung“, warnt Micha Heitkamp, Chef der Jusos Ostwestfalen-Lippe.
„Der SPD fehlt die Richtung“, warnt Micha Heitkamp, Chef der Jusos Ostwestfalen-Lippe.
Wenn die SPD im Sechs-Parteien-System eine Zukunft haben will, braucht sie mehr Ideologie statt Kompromiss. Statt als Volkspartei bloß den Status quo zu verwalten, muss sie zur Richtungspartei werden und Antworten und die großen Fragen des Zusammenlebens geben.

Ende der 90er-Jahre gab es ein in Ostwestfalen entwickeltes Fußball-Manager-Spiel für den Computer, bei dem man vor dem Spiel den Spielern noch ein paar Worte zur Steigerung der Motivation mit aufs Feld geben konnte. Und so brüllte es vor wichtigen Spielen aus den Computerboxen: „Heute will ich nur Spieler, die notfalls auch bereit sind mit dem Kopf zu grätschen!“

Ein Motto, das heute der SPD guttäte. Zu oft hat man in den ganzen Jahren der Dauer-GroKo den Eindruck gehabt, die SPD ziehe im Zweifelsfall lieber zurück, bevor der eigene Kopf riskiert wird. Offensichtlich gibt es in der Partei auch gar keine Einigkeit darüber, was denn eigentlich das ist, für das eine Grätsche mit dem Kopf nötig wäre. Das also, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt.

Wofür steht die SPD?

Der SPD fehlt die Richtung. Die Selbstbezeichnung als Volkspartei führt dazu, dass am Ende irgendwie alles ein bisschen wichtig ist und dass keiner mehr so richtig sagen kann, für was diese Partei eigentlich noch steht. Was 1959 in Bad Godesberg nötig war, um im Drei-Parteien-System von einer politischen Kraft zu einer Regierungs-Partei zu werden, verhindert im heutigen Sechs-Parteien-System, dass man als Regierungs-Partei eine politische Kraft bleibt.

Im Europa-Wahlkampf hat man das besonders stark gemerkt: Es gibt ein großes Gefühl der Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik. Dieses Gefühl ist bei vielen Menschen oft ein bisschen diffus und schwer zu formulieren. Denn es ist auch nicht alles schlecht. Aber es fehlt das Vertrauen, dass auch die Zukunft gut wird.

Das äußert sich ganz unterschiedlich: Die notwendige ökologische Umstellung geht zu langsam; viele Schulgebäude sind marode; die Digitalisierung der Schulen geht nicht so richtig voran; als Pendler steht man regelmäßig im verspäteten Zug oder im Stau auf der Straße; den Kommunen fehlt es an Geld, um ein gutes Zusammenleben vor Ort zu organisieren; in einer immer flexibleren Wirtschaft werden die Arbeitsplätze immer unsicherer. Diese Aufzählung könnte man noch seitenweise fortsetzen.

Die Menschen spüren den Rückzug des Staates

Die Menschen spüren die Auswirkung davon, dass der Staat sich mit der Neoliberalisierung des Kapitalismus immer weiter zurückgezogen und die wesentlichen Entscheidungen den sozial und ökologisch blinden Märkten überlassen hat. Der Soziologe Heinz Bude nennt die Gruppe, bei denen das zu Unzufriedenheit führt, die „heimatlosen Antikapitalisten“. Diese heterogene Gruppe wartet auf eine politische Botschaft des Aufbruchs.

Statt diese Botschaft zu senden, zieht sich die SPD darauf zurück, „einen Dialog“ anzubieten. Das ist allerdings ein rein technokratisches Verständnis von Demokratie nach dem Motto: „Wir sitzen in der Regierung, ihr könnt ja zu uns kommen und dann sehen wir mal weiter!“ Statt Politik gibt es nur noch Verwaltung.

Fragen des Zusammenlebens sind entscheidend

Wenn die SPD wieder nach oben kommen will, muss sie sich von diesem Selbstverständnis als Volkspartei lösen und eine Richtungspartei werden.  Diese Richtung muss sich an den großen Fragen des Zusammenlebens festmachen. Im Wesentlichen sind das die Fragen, wie die Wirtschaft in Zukunft so gestaltet werden kann, dass eine gute Zukunft für alle möglich ist, und welche Rolle eigentlich der Staat spielen soll.

Gibt es in Zukunft noch Stadttheater oder nur noch Netflix? Gibt es eine Stadtbibliothek oder nur noch Amazon? Gibt es noch Krankenhäuser in kommunaler Hand oder wird das Gesundheitssystem nur noch nach Gewinnorientierung aufgebaut? Viele Menschen wollen selbst über ihre Zukunft entscheiden und diese Entscheidungen nicht Google, Amazon, Apple und Co überlassen. Diesen Menschen werden weder die Konservativen noch die Grünen eine Heimat bieten können. Das ist die Chance und die Verantwortung der Sozialdemokratie.

Mehr Investitionen, mehr Mitbestimmung in der Wirtschaft, eine gerechtere Verteilung. Wenn die SPD deutlich macht, dass sie dafür notfalls auch bereit ist mit dem Kopf zu grätschen, kann es wieder aufwärts gehen.

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Kommentare

Warum die SPD zu einer Richtungspartei werden muss

Der Beitrag von Micha Heitkamp gefällt mir. Kurt Tucholsky sagte bereits: "Die SPD glaubt, sie sei an der Macht, dabei sitzt sie nur in der Regierung."
Und das ist die Crux, die Menschen sehen sich nicht mehr vertreten infolge einer gewissen Abgehobenheit, wobei ich dies nicht für alle verallgemeinern möchte.
Aber die derzeitige Politik ist entfernt von den normalen Anliegen, ob es um den Zustand der Schulen, Schließung von Bädern, Büchereien o.ä., ÖPNV, Pünktlichkeit der Bahn oder Zugausfällen geht, wobei, wie der Verfasser schreibt, die Entscheidungen über das tägliche Leben doch nicht Amazon, Apple u.a. überlassen werden darf.
Es wurde für Europa geworben, aber die Aufgaben eines vereinten Europa werden im Interesse von Ämtergeschacher hintenangestellt, ebenso wie in Berlin die Ideen der "Viererbande" Seehofer, Söder, Dobrindt und Scheuer Vorrang vor sozialer Absicherung, Wohnungsnot, Altersarmut, Kriegsgefahr zu haben scheinen.
Eine gerechtere Verteilung des Reichtums in der Gesellschaft würde mehr Zufriedenheit und Vertrauen in die Politik schaffen. Dies würde auch wieder Wähler bringen und rechte Zerstörer fernhalten.
Dazu sollten die Politiker auch zuhören!!!

Kein Ende von sorglosen Parteivorsitzenden?

Die Chance einer Zäsur ab September liegt weniger in einer profanen Richtungsdiskussion, sondern im Finden von Führungspersonen, die, wie ein Chefcoach seinen Spielern, ihren Mitgliedern Denk- und Spielräume ermöglicht. Abseits von Grabenkämpfen, etablierten Avantgardismus und Regierungsmüdigkeit muss die SPD sich selbst ermöglichen, eine breite politische Vision aus der Mitte ihrer Mitglieder zu entwickeln.

Überschriften wie Mit-Mach-Partei, Polit-Werkstatt etc. hat sie bisher ohne Not ausgehöhlt. Sie hat kräftig daran mitgewirkt, dass so gut wie jedes Politikfeld sich einer Wirtschafts- uns Industriedoktrin unterworfen hat. Auch der Appell von neun früheren SPD-Vorsitzenden wie auch das wiederholte Gezeter von Sigmar Gabriel sollen nur am Festhalten von etablierten Denk- uns Handlungsweisen dienen. Ein Eingeständnis, dass sie am heutigen Erschwachen der SPD systematisch mitgewirkt haben, sucht man vergebens.

Allen muss klar sein, dass eine leichtfertige Bewerbung zum Duovorsitz dieser parlamentarischen Partei ohne bedeutsamen Ausblick über die Mittel zur sozialen Kohäsion, die Wege zur Basis und die Ziele zur einer sozialdemokratischen Teilhabe, die SPD desavouieren wird.

Neue Führung ohne Richtungsdiskussion !

Mir scheint hier sollen alte Pfründe verteidigt werden. Wer jetzt noch nicht kapiert hat dass unsere Partei auf dem neoliberalen Holzweg ist und dringendst einer glaubhaften energischen Kurskorrektur bedarf, wird´s wohl nie kapieren, selbst wenn die Umfragen und Ergebnisse einstellig werden/bleiben.
Also ich würde keine Kandidat/inn/en wählen wollen, die nicht den Mut hätten Richtungswechsl und Konzepte klar zu definieren!!!

wenn sie das erst

werden muss, stellt sich doch zwangsläufig, was die SPD bis jetzt war und noch ist.

irrlichternd? vermutlich ist es das, was die Situation am besten beschreibt

Richtungspartei SPD

Die SPD ist doch eine Richtungspartei, auch wenn mir und vielen aufrichtigen Menschen mit sozialdemokratischen Überzeugungen diese Richtung nicht gefällt. Die "Marktkonformität" der SPD ist entsetzlich, aber die Frage stellt sich: wie ändern wir die Fahrtrichtung ? Der Mist der in den letzten 20 Hahren gebaut wurde lässt sich nur mit Herkulesmethoden beseitigen.
Links ist was zunehmende Gleichheit und Mitgestaltung Aller fördert, Rechts ist was Ungleichheit, Elitenwirtschaft und Ausgrenzung will. In diesem Sinn ist die SPD in ihrer Gesamtheit nicht Links.
Unser Ziel sollte eine Gesellschaft sein in der die freie Entfaltung eines jeden Einzelnen die Voraussetzung ist für die freie Entfaltung Aller (so sthets nun mal im Manifest, dem ersten sozialdemokratischen Parteiprogramm)