
Ende der 90er-Jahre gab es ein in Ostwestfalen entwickeltes Fußball-Manager-Spiel für den Computer, bei dem man vor dem Spiel den Spielern noch ein paar Worte zur Steigerung der Motivation mit aufs Feld geben konnte. Und so brüllte es vor wichtigen Spielen aus den Computerboxen: „Heute will ich nur Spieler, die notfalls auch bereit sind mit dem Kopf zu grätschen!“
Ein Motto, das heute der SPD guttäte. Zu oft hat man in den ganzen Jahren der Dauer-GroKo den Eindruck gehabt, die SPD ziehe im Zweifelsfall lieber zurück, bevor der eigene Kopf riskiert wird. Offensichtlich gibt es in der Partei auch gar keine Einigkeit darüber, was denn eigentlich das ist, für das eine Grätsche mit dem Kopf nötig wäre. Das also, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt.
Wofür steht die SPD?
Der SPD fehlt die Richtung. Die Selbstbezeichnung als Volkspartei führt dazu, dass am Ende irgendwie alles ein bisschen wichtig ist und dass keiner mehr so richtig sagen kann, für was diese Partei eigentlich noch steht. Was 1959 in Bad Godesberg nötig war, um im Drei-Parteien-System von einer politischen Kraft zu einer Regierungs-Partei zu werden, verhindert im heutigen Sechs-Parteien-System, dass man als Regierungs-Partei eine politische Kraft bleibt.
Im Europa-Wahlkampf hat man das besonders stark gemerkt: Es gibt ein großes Gefühl der Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik. Dieses Gefühl ist bei vielen Menschen oft ein bisschen diffus und schwer zu formulieren. Denn es ist auch nicht alles schlecht. Aber es fehlt das Vertrauen, dass auch die Zukunft gut wird.
Das äußert sich ganz unterschiedlich: Die notwendige ökologische Umstellung geht zu langsam; viele Schulgebäude sind marode; die Digitalisierung der Schulen geht nicht so richtig voran; als Pendler steht man regelmäßig im verspäteten Zug oder im Stau auf der Straße; den Kommunen fehlt es an Geld, um ein gutes Zusammenleben vor Ort zu organisieren; in einer immer flexibleren Wirtschaft werden die Arbeitsplätze immer unsicherer. Diese Aufzählung könnte man noch seitenweise fortsetzen.
Die Menschen spüren den Rückzug des Staates
Die Menschen spüren die Auswirkung davon, dass der Staat sich mit der Neoliberalisierung des Kapitalismus immer weiter zurückgezogen und die wesentlichen Entscheidungen den sozial und ökologisch blinden Märkten überlassen hat. Der Soziologe Heinz Bude nennt die Gruppe, bei denen das zu Unzufriedenheit führt, die „heimatlosen Antikapitalisten“. Diese heterogene Gruppe wartet auf eine politische Botschaft des Aufbruchs.
Statt diese Botschaft zu senden, zieht sich die SPD darauf zurück, „einen Dialog“ anzubieten. Das ist allerdings ein rein technokratisches Verständnis von Demokratie nach dem Motto: „Wir sitzen in der Regierung, ihr könnt ja zu uns kommen und dann sehen wir mal weiter!“ Statt Politik gibt es nur noch Verwaltung.
Fragen des Zusammenlebens sind entscheidend
Wenn die SPD wieder nach oben kommen will, muss sie sich von diesem Selbstverständnis als Volkspartei lösen und eine Richtungspartei werden. Diese Richtung muss sich an den großen Fragen des Zusammenlebens festmachen. Im Wesentlichen sind das die Fragen, wie die Wirtschaft in Zukunft so gestaltet werden kann, dass eine gute Zukunft für alle möglich ist, und welche Rolle eigentlich der Staat spielen soll.
Gibt es in Zukunft noch Stadttheater oder nur noch Netflix? Gibt es eine Stadtbibliothek oder nur noch Amazon? Gibt es noch Krankenhäuser in kommunaler Hand oder wird das Gesundheitssystem nur noch nach Gewinnorientierung aufgebaut? Viele Menschen wollen selbst über ihre Zukunft entscheiden und diese Entscheidungen nicht Google, Amazon, Apple und Co überlassen. Diesen Menschen werden weder die Konservativen noch die Grünen eine Heimat bieten können. Das ist die Chance und die Verantwortung der Sozialdemokratie.
Mehr Investitionen, mehr Mitbestimmung in der Wirtschaft, eine gerechtere Verteilung. Wenn die SPD deutlich macht, dass sie dafür notfalls auch bereit ist mit dem Kopf zu grätschen, kann es wieder aufwärts gehen.