
„Es gibt ein unfehlbares Rezept, eine Sache gerecht unter zwei Menschen aufzuteilen: Einer von ihnen darf die Portionen bestimmen, und der andere hat die Wahl.“ (Gustav Stresemann)
Die Frage, ab welchem Alter jemand die Portionen bestimmen und unter ihnen auswählen darf, gehört zu einer immer wieder kehrenden Debatte in der jüngeren Geschichte der deutschen Demokratie. Ende der 1960er Jahre wurde die oft noch dergestalt beantwortet, dass 16- bis 18-Jährigen die gewisse Reife eines Staatsbürgers fehle. Heute stellen wir fest: Es ist richtig, wichtig und gerecht, junge Menschen schon ab 16 Jahren für die Mitwirkung an unserer Demokratie zu gewinnen.
Jugendliche brauchen Mitbestimmungsrechte
Allgemein wird Jugendlichen oft das Attribut der Politikferne zugeschrieben. Aber stimmt das auch? Der 15. Kinder- und Jugendbericht tritt dieser Darstellung entschieden entgegen. Jugendliche sind durchaus politisch interessiert, nur fehlen ihnen oftmals sowohl Mitbestimmungsrechte als auch Gestaltungsräume. Dort, wo Jugendliche Möglichkeiten sehen, gestaltend wirken zu können, engagieren sie sich auch: in soziale Bewegungen und Protestgruppen sowie in nicht organisations-bezogenen Aktivitäten wie zum Beispiel auf Demonstrationen, bei Unterschriftensammlungen, Flashmobs, Warenboykotten oder medialen Proteste wie Blogs, Videos, Forenbeiträgen und Petitionen.
Dieses Engagement ist großartig! Wichtig ist es jedoch auch, dieses Potential und dieses Interesse an gesellschaftlicher Entwicklung nicht versiegen zu lassen und Jugendliche auch für die Beteiligung an und in demokratische Entscheidungsstrukturen wie Wahlen und Parteien zu gewinnen. Dabei ist die Möglichkeit an Wahlen teilzunehmen nun mal eines der niedrigschwelligsten Angebote der politischen Verantwortungsübernahme, die es in einer Demokratie gibt. Mit der Absenkung des Wahlalters ermöglichen wir jungen Menschen, sich früher politisch zu beteiligen. Und damit motivieren wir sie zugleich, sich für ihre Interessen und für ihre Rechte stärker innerhalb eines institutionellen Rahmens zu engagieren.
Ein Anlass, sich mit der Demokratie zu beschäftigen
Über diese demokratietheoretischen Überlegungen hinaus ist ein Wahlrecht ab 16 Jahren meiner Meinung nach auch eine Frage der Teilhabe und der Gerechtigkeit. Mit welcher Begründung sollen die 16-jährigen Auszubildenden, die wahrscheinlich zum ersten Mal Bekanntschaft mit unserem Steuer- und Sozialabgabenwesen machen, nicht mitbestimmen dürfen, wie dieses ausgestaltet ist? Und warum sollten 16-jährige Schülerinnen und Schüler nicht mitreden dürfen, wenn es um ihre weitere (Aus-) Bildung geht?
Zusammen mit den Schulen könnten wir ein Angebot machen, sich früh(er) mit dem Thema Wahlen und Demokratie auseinanderzusetzen, die verschiedenen Parteien und ihre Programme kennenzulernen und die Kompetenz zu entwickeln, Informationen auszuwerten. Natürlich steht all dies schon mehr oder weniger auf den Lehrplänen der unterschiedlichen Schulen. Jedoch wäre ein niedrigeres Wahlalter ein willkommener Anlass sich früher und intensiver mit unserer Demokratie zu beschäftigen.
1,5 Millionen zusätzliche Wahlberechtigte
Denn eines ist auch klar – Demokratie muss gelernt werden. Die Erziehung zur Demokratie beginnt im frühen Kindesalter, beispielsweise in der Kita, und setzt sich über die gesamte Spanne der Kindheits- und Jugendphase fort. Kinder sollen und müssen vermehrt beteiligt und ermutigt werden, ihre Lebenswelt gemeinsam zu gestalten. Schule muss auch die Fähigkeit zur demokratischen Mitbestimmung vermitteln.
Mit der Absenkung des Wahlaltes wären in etwa 1,5 Millionen Jugendliche zusätzlich wahlberechtigt. 1,5 Millionen Mal eine Chance Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein wichtiges Gut zu gewinnen – für unsere Demokratie. Wegen der Bevölkerungsentwicklung verlieren unsere jungen Wählerinnen und Wähler von Jahr zu Jahr an politischem Gewicht. Schon heute besteht ein nicht unerhebliches Ungleichgewicht zwischen der immer weiter alternden Gesellschaft auf der einen und den unter 30-Jährigen auf der anderen Seite. Im Jahr 2015 waren 21,3 Millionen Wahlberechtigte über 60 Jahre alt und nur etwa 9,8 Millionen 30 Jahre oder jünger. Es ist daher auch eine Frage der Gerechtigkeit, die jüngere Altersgruppe bei der Wahl zu stärken.