Arbeitsmarktreform

SPD-Politiker Kutschaty: Warum Hartz IV keine Zukunft hat

Vera Rosigkeit23. Januar 2019
Abschaffen oder reformieren? Die Debatte um die Zukunft von Hartz IV ist in vollem Gange
Als zu ungerecht, zu rückständig und zu uneffektiv bezeichnet NRW-Fraktionschef Thomas Kutschaty das Hartz-IV-System. Auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung im Französischen Dom in Berlin findet er deutliche Worte zu einer Reform, die seine eigene Partei einst eingeführt hat.

Die Antwort auf die Frage, ob Hartz IV noch eine Zukunft hat, ist für den SPD-Politiker Thomas Kutschaty klar. Das System sei den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen, ist Nordrhein-Westfalens Fraktionschef überzeugt. „Hartz IV sollte seinen 20. Geburtstag nicht mehr feiern dürfen“, erklärt der Jurist am Dienstag auf einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung zur „Zukunft von Hartz IV“ in Berlin.

Hartz IV hat zu großen Unsicherheiten geführt

Initiiert von zwei Ökonomen, dem Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts Gustav Horn und dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, griff die Veranstaltung Fragen auf, die derzeit auch im Erneuerungsprozess der SPD ein Comeback erleben. Ein eher kritisches Fazit zogen dabei Referenten auf die Frage nach den Wirkungen der Arbeitsmarktreformen. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen nach deren Einführung in 2005 rückläufig waren, lässt sich dieser Erfolg nicht alleine den Reformen zuschreiben, sagt etwa Volkswirtschaftler Martin Scheffel von der Uni Karlsruhe. Klarer hingegen könne man die negativen Nebenwirkungen von Hartz IV benennen. Vor allem die Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt sei gestiegen, so Scheffel.

Niedrige Löhne als Konsequenz

Auch der Dortmunder Ökonom Philip Jung sieht diesen Effekt. Verlierer seien nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern gut bezahlte Arbeitnehmer. Die abschreckende Wirkung von Hartz IV habe vor allem dazu geführt, niedrigere Löhne zu akzeptieren. Ein Aspekt, der später auch von Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des DGB, aufgegriffen wird. Sie betont, dass Hartz IV auch dazu beigetragen habe, aus Angst den Konflikten mit Vorgesetzen aus dem Weg zu gehen. „Wenn der aufrechte Gang im Betrieb zur Mutprobe wird, nimmt die Demokratie Schaden“, warnt sie.

Positive Effekte hin oder her – für SPD-Politiker Kutschaty ist die Agenda 2010 ein Phänomen der Zeitgeschichte, „aber kein Zukunftsprogramm“. Nachbarländer, die mit „Nachahmung liebäugeln“, mahnt er zur Vorsicht. Hartz IV schüre Abstiegsängste, nutze Unsicherheit. Das dürfe aber nicht Instrument einer Arbeitsmarktpolitik sein, unterstreicht er.

Sozialstaatsreform statt Agenda 2010

Um auf das Sicherheitsbedürfnis der Menschen gerade in Zeiten kolossaler Veränderungen einzugehen, brauche es laut Kutschaty eine Sozialstaatsreform, die seiner Meinung nach mehrere Reformbausteine beinhaltet. Dazu zähle die Leistungsgerechtigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt, die durch das Stärken der Gewerkschaften und der Tarifbindung „auch durch staatlichen Druck“ unterstützt werden könne. Aber auch ein Mindestlohn um die 12 Euro und das Abschaffen von „Geschäftsmodellen, die mit Lohnsubventionen kalkulieren“, das heißt jeglicher Art von Aufstocken bei Niedriglöhnen.

Als weiteren wichtigen Schritt nennt er die Umwandlung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung. Zudem müssten die Bezugsdauer bei Leistungsempfängern wieder an Beitragsleistungen gekoppelt, das Schonvermögen deutlich erhöht und der soziale Arbeitsmarkt ausgebaut werden, so Kutschaty. Vor allem jedoch müssten die 1,7 Millionen Kinder, für die offiziell „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ bezahlt werde, endlich eine Kindergrundsicherung erhalten.

Hartz IV muss weg

Für Kutschaty ist klar, dass diese Reformen nicht umsonst zu haben sind. Er plädiert für eine gerechte Steuerreform. „Damit wir Politik nicht für eine imaginäre Mitte machen, sondern für eine reale Mehrheit in diesem Land“, sagt er. Für ihn steht fest, dass die „Partei, die einst Hartz IV einführte, auch diejenige sein muss, die Hartz IV wieder abschafft“.

Eingeführt wurde Hartz IV im Jahr 2005. Vorgestellt wurden die Arbeitsmarktreformen von Peter Hartz bereits 2002, und zwar im Französischen Dom in Berlin. Genau an jenem Ort, an dem am Dienstag über die Zukunft debattiert wird.

 

Wie muss Hartz IV reformiert werden?

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Kommentare

We wählt schon seine Peiniger ?

Signifikant für den Zustand unserer SPD ist die mutige Ankündigung von Parteichefin Genossin Andrea Nahles HartzIV endlich durch ein intelligentes Motivations und Föderprogramm zu ersetzen und die gleichzeitige öffentlichkeitswirksame Erwartung von Olaf Scholz, dass die Gerichte endlich die Sinnhaftigkeit vom antiquierten und gescheiterten Sanktionsprogramm Hartz IV bestätigen ! Da passt was nicht - oder ???
Wer wählt schon seine Peiniger ?!

Korrekte Darstellung

Stimmt, Olaf Scholz hofft tatsächlich auf das Bundesverfassungsgericht – allerdings anders als Sie es darstellen. Die Passage aus dem Bild-Interview lautet: "Die Lebenserfahrung lehrt, dass es wohl nicht ganz ohne (Sanktionen) geht. Die ungleich schärferen Sanktionen für junge Leute unter 25 sollten aber abgeschafft werden. Die Union hat sich bislang dagegen gesperrt, aber vielleicht klärt Karlsruhe das ja."

Inkonsistenz !!!

Aha ! Ist die Entschärfung von Hartz IV -Sanktionen lediglich für junge Leute unter 25 dann das selbige was Parteichefin Andrea Nahles mit Überwindung von Hartz IV meint? Unsere SPD steht schon seit längerem im Verdacht Etikettenschwindel zu betreiben bzw. spärliche Inhalte toll zu verpacken. Ich habe die Befürchtung das "Überwindung von Hartz IV" wieder ein solcher werden könnte !
Wie soll ich das den Wählern am Wahlkampfstand erklären wenn ich gefragt werde ? Es gibt an unserer Parteispitze anscheinend großen Beratungsbedarf was intelligentes Fördern anbelangt - Vielleicht holt man sich doch mal Input von außen evtl. aus der Wissenschaft oder schaut mal dorthin wo sowas funktioniert. Der Rückgang unserer Arbeitslosenzahlen beruht hauptsächlich aus dem demografische Wandel und aus dem Umstand dass Menschen in prekärste Arbeitsverhältnisse gedrängt werden ! Das hilft aber den Menschen nicht weiter die nach wie vor einer individuellen Förderung bedürfen. Hier läuft vieles schief. Das weis ich aus meiner Lebenserfahrung, die viel mit traurigen Schicksalen zu tun hat !

Missverständnis

Nein, das heißt es nicht. Sie haben aber behauptet, Olaf Scholz hätte geäußert, er hoffe, dass das Bundesverfassungsgereicht die Sanktionen für rechtmäßig erklärt. Seine Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht richtet sich aber auf einen anderen Aspekt wie aus dem Zitat oben ersichtlich wird.

„Warum Hartz IV keine Zukunft hat“ (23. Januar 2019).

„Wie ein sozialdemokratisches Grundeinkommen aussehen könnte“ ( 23.1.2019); „Wirtschaftspolitik 2019: Für was sich die SPD stark machen sollte“ (15.1.2019); "SPD: Seeheimer wollen den Sozialstaat grundlegend reformieren (08.1.2019); „Politik aus der Perspektive der arbeitenden Mitte der Bevölkerung“ (Nahles: 9.1.2019): Eine Auflistung – beliebig erweiterbar - von Themen, die der Vorwärts als „Sozialstaatsdebatte“ zusammenfasst. „Die „DNA der SPD: Soziale Gerechtigkeit, technischer Fortschritt und Umweltschutz“ (7.1.2019) beschäftigt, das schließe ich daraus, die Parteispitze. Ich hoffe, dass recht bald ein geschlossenes Konzept vorgelet wird, das von intellektuellen Köpfen der SPD ausgearbeitet worden ist, und dass in der SPD – auch öffentlichkeitswirksam – diskutiert wird. Es ist völlig unzureichend, wenn nur der Vorwärts darüber devot berichtet. Der Vorstand muss also neben der Erarbeitung des Konzepts auch eines für dessen Veröffentlichung erarbeiten: Der Sozialstaat muss ständig im Gespräch bleiben – Gleiches muss aber auch für das „Friedensprojekt Europa“ gelten!!!

Hartz IV ist nicht zu verteidigen.

Obwohl abseits der zurechtgekauften Statistiken erkennbar ist, das Sanktionen, die dem Entzug der Lebensgrundlage bzw. dem deutlichen Unterschreiten des vom BVerg bereits als absolute Mindestgrenze festgelegten Satzes allein den Zweck haben, Lohndrückerei und Lohnsklaverei zu verfestigen schwadroniert man immer noch über die angebliche "Unerläßlichkeit" von Sanktionen.
Die Gleichen, die diesen Unsinn verbreiten behaupten aber bei der Debatte um den frei erfundenen "Fachkräftemangel" dergestalt, das es ja um Stellen ginge für die die noch verbliebenen Arbeitslosen keine ausreichende Qualifikation haben.
Warum es weder unterschiedliche Mindestlöhne für Qualifizierte und Ungelernte gibt noch genügend Bemühungen unternommen werden um den tatsächlichen Ausbildungsstand der Arbeitslosen festzustellen und sie für die angeblich fehlenden Plätze auszubilden kann niemand erklären.

Stimmt die Legende der zu gering Gebildeten aber, dann werden Sanktionen nicht aus dem Nichts die notwendige Qualifikation erzwingen.
Damit ist der "Aktivierungs"(=Zwangsarbeit) Unsinn delegitimiert.

Jens Spahn bereitet derweil schon das Outsourcing der Pflegeberufausbildung in Billigstlohnländer vor.

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