
„Ich finde es toll, wie viel Kreativität ich in der SPD erlebe“, sagt Generalsekretär Lars Klingbeil mit Blick auf die Veränderungen, die die Partei bedingt durch die globale Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten durchgemacht hat. Abendliche Ortsvereinssitzungen, Großveranstaltungen zu Wahlkampfzwecken, auch Parteitage – all das war von einem Tag auf den anderen nicht mehr möglich. Was für viele in der SPD eine Umstellung war, barg gleichzeitig großes Potenzial für Neuerungen.
Relativ schnell reagierte die Kölner SPD, die am 1. April das Online-Format „Zoom auf“ gestartet hat. Kein Aprilscherz, sondern eine erfolgreiche Variante, um Parteiarbeit digital zu gestalten, die sich inzwischen bewährt hat. Denn bis Ende Juni sind neun weitere Veranstaltungen hinzugekommen, beispielsweise zur Zukunft der Klubkultur, zur Situation von Geflüchteten in Griechenland oder zu sozialdemokratischen Antworten auf die Corona-Krise.
Versuchslabor NRW
Der Handlungsdruck, neue Formate zur Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln, war auch deswegen in Köln groß, da am 13. September Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen anstehen. Der Urnengang im bevölkerungsreichsten Bundesland ist der erste seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. NRW ist gewissermaßen Versuchslabor in Sachen angepasster Wahlkampfführung. „Wir überlegen gerade vor allem, wie wir in Zeiten von Corona hergebrachte Ideen mit mehr Abstand verwirklichen können“, berichtet Nadja Lüders, Generalsekretärin der NRW-SPD. Beispielsweise sammeln sie Vorschläge, um den klassischen Straßenwahlkampf kontaktlos zu gestalten. „Eine Idee ist, den Leuten die Flyer nicht in die Hand zu drücken, sondern sie auf eine Wäscheleine zu hängen, von der sie sich dann einen nehmen können“, erklärt Lüders.
Eine andere ist der Wahlkampf im Internet. So hat Andreas Kossiski, Oberbürgermeisterkandidat der Kölner SPD, einen Podcast gestartet, um sich in der Domstadt im Vorfeld der OB-Wahl bekannter zu machen. Mit der Hochsprung-Legende Ulrike Meyfarth sprach er in der ersten Folge darüber, was Köln im Bereich Sport verbessern könnte.
Doch nicht alle Formate sind gänzlich digital möglich. Diese Erfahrung musste kürzlich die Dortmunder SPD machen, deren Vorsitzende Nadja Lüders ebenfalls ist. Um ihn coronakonform abhalten zu können, entschieden sich die Dortmunder für einen Parteitag im Autokino. Die Reden wurden übers Autoradio übertragen. Um die Liste für den Stadtrat zu verabschieden und den Oberbürgermeisterkandidaten Thomas Westphal zu nominieren, hielten die Dortmunder Delegierten überdimensionierte Stimmkarten aus ihren Fenstern. „Am Ende haben alle gesagt: Danke, dass ihr das ermöglicht habt“, berichtet Lüders. Dennoch ist der Parteitag im Autokino kein Modell für die Zukunft.
Gesetzesänderungen geplant
Daher verspricht Lars Klingbeil, zumindest teilweise Abhilfe schaffen zu wollen. Bis Ende des Jahres sind Gesetzesänderungen im Bundestag geplant. Durch diese soll es beispielsweise grundsätzlich ermöglicht werden, programmatische Beschlüsse bei Online-Parteitagen zu fassen. Auch soll es erleichtert werden, Wahlkreiskandidaten zu nominieren.
Ein Vorstoß, der für das kommende Superwahljahr nicht unerheblich sein dürfte. Denn 2021 stehen neben der Bundestagswahl auch in sechs Bundesländern Landtagswahlen an. Den Anfang machen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am 14. März. Auch zur Vorbereitung darauf ist Anfang April dieses Jahres das „Rote Netz“ der SPD Baden-Württemberg an den Start gegangen. Eine Art Intranet, in dem die Mitglieder unter anderem ihre Ideen zum Wahlprogramm einbringen können. „Das Rote Netz ist eine neue Plattform, die viele Möglichkeiten des digitalen Austauschs und gemeinsamer digitaler Arbeit ermöglicht“, schrieb Generalsekretär Sascha Binder zum Start an die Mitglieder der Südwest-SPD. Es soll zudem in Zeiten der Kontaktvermeidung eine Möglichkeit bieten, sich optimal in die politische Arbeit einzubringen.
»Modernität aus jeder Pore«
Damit liegt die SPD Baden-Württemberg voll auf Kurs mit der Linie von Lars Klingbeil. Dieser rechnet im kommenden Jahr mit dem digitalsten Wahlkampf aller Zeiten. Klassische Formate wie Wahlkampfstände oder Haustürbesuche sollen wichtig bleiben, aber noch viel stärker durch digitale Formate ergänzt werden, um so mehr Menschen über soziale Medien zu erreichen. Klingbeil formuliert für die SPD das anspruchsvolle Ziel: „Ich will, dass diese Partei aus jeder Pore Modernität ausstrahlt und sich ganz selbstbewusst um neue Entwicklungen kümmert.“
Im Hinblick auf die Bundestagswahl bedeutet das für ihn, die SPD-Mitglieder ebenso einzubeziehen wie relevante gesellschaftliche Gruppen und soziale Bewegungen. Zudem sollen die Ergebnisse der Online-Veranstaltungsreihe „In die neue Zeit“ in das SPD-Wahlprogramm miteinfließen.
Bestätigung für seinen Kurs erfährt Klingbeil auch aus der Wissenschaft. Dorothée de Nève und Niklas Ferch von der Justus-Liebig-Universität Gießen haben Anfang des Jahres im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Instrumente innerparteilicher Demokratie in sieben Ländern untersucht. Der SPD bescheinigen sie eine Vorbildfunktion für andere Parteien. Die SPD habe die innerparteiliche Demokratie entscheidend modernisiert, sagt de Nève. Sie führt aus: „Das unterscheidet das Selbstverständnis als Mitmach-Partei von anderen Parteien, die die Mitglieder mal einladen, sich zu beteiligen, dann aber gerne doch wieder im Vorstand alleine entscheiden.“