
Sebastian Hartmann, Sie sagen, „Sicherheitspolitik darf keine offene Flanke der Sozialdemokratie sein“. Was muss sich ändern, damit der SPD wieder mehr Kompetenz in Fragen der inneren Sicherheit zugetraut wird, wie zum Beispiel in der Zeit von Bundeskanzler Schmidt oder von Bundesinnenminister Schily?
Wir müssen uns trauen, das Thema Sicherheit kontrovers zu debattieren. Sicherheit ist ein ursozialdemokratisches Thema. Sie ist die Voraussetzung für eine gerechte und solidarische Gesellschaft. Dabei sind innere und soziale Sicherheit eng miteinander verknüpft. Wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiert und öffentliche Infrastruktur fehlt, bildet sich ein Nährboden für Verunsicherung und Kriminalität.
Die Zahlen der Wahlforscher zeigen: Auch die SPD hat viele Wähler an die AfD verloren. Hat die Kompetenzschwäche der SPD in der Sicherheitspolitik auch einen Beitrag zum Erstarken der Rechtspopulisten geleistet?
Die AfD hat es in den vergangenen Jahren geschafft, mit Bedrohungsszenarien Angst und Hass zu schüren. Umfragen zeigen aber auch: Man traut ihr keine Lösungen zu. Sicherheitspolitik wurde zu einfach rechten und konservativen Kräften überlassen. Die SPD muss sich eingestehen, dass wir unsere zweifelsfrei vorhandene Expertise zu wenig nach außen getragen haben. Das will ich ändern.
Kompetenz wird der SPD traditionell in der Sozialpolitik zugeschrieben. Welche Rolle spielt die in der sozialdemokratischen Sicherheitspolitik?
Je größer die Ungleichheit zwischen den Menschen, desto größer das Konfliktpotential. Gerade dort, wo es einen erhöhten Bedarf an öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge gibt und eigentlich besonders viel investiert werden müsste, fehlt sie aufgrund finanzieller Engpässe. Das Signal müsste sein: Der Staat kümmert sich und jeder bekommt ein faires Angebot. Im Gegenzug halten sich alle an die gleichen Regeln.
Sie fordern einen „New Deal“ für soziale Investitionen. Was heißt das konkret?
Mein „New Deal“ bedeutet massive soziale Investitionen und Innovationen in Bildungs- und Begegnungsstätten wie Schulen, Universitäten, aber auch Bürgerhäuser und Jugendzentren. Dort wird unsere lokale Demokratie lebendig gehalten und neu gedacht.
In vielen Bereichen verbessert sich die Sicherheitslage in Deutschland, die Kriminalitätszahlen sind rückläufig. Dennoch wächst das Unsicherheitsgefühl. Woran liegt das und wie kann man gegensteuern?
Zum einen hat sich der Staat zu sehr aus der Fläche zurückgezogen. Es ist ein Problem, wenn ein einziger Streifenwagen für mehrere Gemeinden zuständig ist. Zum anderen wird das Bedrohungsgefühl durch Populisten bewusst angefacht. Um das zu ändern ist es zentral, dass wir verantwortlich kommunizieren. Ja, wir nehmen vorhandene Ängste und Sorgen auf. Aber wir dürfen sie nicht für eine schnelle Schlagzeile noch verstärken. Auch die neue Art des Medienkonsums ist relevant. Soziale Netzwerke sind ihrer Verantwortung zu lange nicht gerecht geworden. Deswegen haben wir ihnen jetzt strengere Regeln gegeben.
Welche Rolle spielt das Gerechtigkeitsgefühl bei der Frage, inwieweit sich die Menschen sicher fühlen?
Das spielt eine große Rolle. In der Bevölkerung wird sehr wohl wahrgenommen, welche Straftaten mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden und welche nicht. Wenn Milliarden an Steuergeldern hinterzogen werden und niemand trägt dafür die Konsequenzen, erzeugt das Wut. Menschen verlieren ihr Vertrauen in unseren Staat als Garant der öffentlichen Sicherheit. Vertrauen in den Staat ist jedoch direkt mit dem Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung verbunden.
Die Bedrohung durch rechte Extremisten und Terroristen war lange Zeit kein Thema. Mittlerweile hat sich das geändert. Was muss passieren, um die Gefahren von rechts schneller erkennen und effektiver bekämpfen zu können?
Rechtsextremismus ist die größte Gefahr, die wir in der deutschen Sicherheitspolitik haben. In Deutschland agieren hochgerüstete rechte Netzwerke. Die Sicherheitsbehörden brauchen mehr Personal, das sich explizit mit Rechtsextremismus beschäftigt. Gleichzeitig müssen wir den Nährboden der Rechten austrocknen. Hasskriminalität, auch digitale, muss viel öfter vor Gericht. Aber der wichtigste Teil des Kampfes gegen Rechts kommt aus der Zivilgesellschaft. Sie müssen wir noch besser fördern – mit ausreichender und langfristiger Finanzierung und lokalen Demokratieprojekten.
Oft wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen Kriminalität und Zuwanderung. In welchen Bereichen gibt es einen solchen Zusammenhang und in welchen nicht?
Hier lassen sich einfach Emotionen schüren. Verfechter einer Abschottungspolitik nutzen gerne das Bild des „kriminellen Einwanderers“. Die Kriminalitätsstatistik zeigt zwar, dass der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger 2019 auf 35 Prozent gestiegen ist. Das ging jedoch auf die gestiegene Anzahl ausländerrechtlicher Verstöße, wie illegale Grenzübertritte, zurück. Die Statistiken zeigen auch, dass Menschen mit Bleibeperspektive und besserem Zugang in die Gesellschaft deutlich weniger Straftaten begehen. Sicherheitspolitik muss also auch Fragen der Integration berücksichtigen.
Kritiker der deutschen Sicherheitsarchitektur sagen, unsere Form des Föderalismus habe sich zu einem Handicap für die innere Sicherheit entwickelt. Wo siehst du Verbesserungsbedarf?
Diese Debatte ist nicht neu. Der damalige Innenminister de Maizière hat unter anderem solche Forderungen nach dem Attentat am Breitscheidplatz formuliert. Der Föderalismus ist jedoch nicht das Problem bei der Verhinderung dieser Anschläge, sondern in erster Linie fehlerhafte Behördenkommunikation. Der Datenaustausch zwischen den Behörden ist schon besser geworden, kann aber immer noch verbessert werden. Ich sehe im Föderalismus einen Wettbewerbsvorteil, der den Länderpolizeien die Möglichkeit bietet, sich schnell auf neue Gegebenheiten einzustellen.