13 Jahre nach dem Mord an Halit Yozgat gab es in der Region Kassel wieder einen Mord mit mutmaßlich rechtsextremem Motiv. Hat Nordhessen ein Problem mit der rechten Szene?
Es gibt in Nordhessen eine rechte Szene, mit einem Schwerpunkt in Kassel, aber auch im Schwalm-Eder-Kreis. Das sind Hochburgen rechter Netzwerke. Sie agieren in losen Strukturen, viel im Internet und als Einzelpersonen, die aber miteinander vernetzt sind. Es ist schwer zu erklären, warum es in Kassel solche rechtsextremen Strukturen gibt. Eigentlich gibt es in Kassel und Nordhessen eine weltoffene, tolerante und vielfältige Gesellschaft.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Mord an Walter Lübcke um?
Ich kannte Walter Lübcke persönlich sehr gut. Ich saß zehn Jahre lang mit ihm zusammen in der Regionalversammlung und habe ihn bei vielen Veranstaltungen getroffen. Walter Lübcke war ein Mensch mit dem Herz an der richtigen Stelle. Er war überzeugter Christ, der Nächstenliebe auch in Wort und Tat praktiziert hat. Er war kein Dogmatiker, sondern stand dafür ein, zu helfen, wo es geht. Ich war auf der Versammlung in Lohfelden im Jahr 2015, bei der er für die Flüchtlingsunterkunft geworben hat. Da haben etwa 15 Pegida-Anhänger aus Kassel gezielt provoziert. Zu ihnen hat er diese berühmten Sätze gesagt, die in einer Kampagne gegen ihn genutzt wurden.
Und wie geht die SPD damit um?
Die SPD hat immer gegen Rechts gekämpft, wenn man an Otto Wels und andere denkt. Die Sozialdemokratie hat eine hohe Glaubwürdigkeit und Kompetenz im Kampf gegen Rechts. Deswegen ist es für uns eine besondere Verpflichtung, da aktiv zu sein. Wir bringen uns ein im Bündnis gegen Rechts in Kassel. Wir waren mit die Erstunterzeichner für die große Demo Mitte Juli, bei der mehr als 10.000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Für uns als Sozialdemokratie ist das ein ganz klarer Auftrag, den rechten Tendenzen überall – sei es in den Parlamenten, auf der Straße oder am Arbeitsplatz – entgegenzutreten, aufzuklären und dagegen zu wirken.
Wie reagiert die Zivilgesellschaft auf den Mord?
Das war für uns als Nordhessen ein absoluter Weckruf. Der Mord an Halit Yozgat hat Kassel auch sehr bewegt. Jedes Jahr am 6. April, dem Jahrestag seiner Ermordung, gibt es große Gedenkveranstaltungen. Wir haben einen Platz nach ihm benannt. Der Oberbürgermeister hat einen Halit-Yozgat-Preis ins Leben gerufen, der an Menschen verliehen werden soll , die sich gegen Rechts engagieren . Es ist das richtige Signal, zu zeigen, dass es so nicht weitergeht. Der Mord an Walter Lübcke zeigt, dass der NSU kein Einzelfall war. Rechtsextreme Parteien wie die AfD bereiten solchen Taten mit ihren Worten den Boden.
Eine unrühmliche Rolle im Kontext der Ermordung von Halit Yozgat spielte auch der hessische Verfassungsschutz. Der Journalist Deniz Yücel hat ihn daher kürzlich als „die gefährlichste Behörde Deutschlands“ bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Ich sehe insbesondere die V-Mann-Strukturen kritisch. Die müssen wir überprüfen, nicht nur in Hessen, sondern bundesweit. Wir müssen den Landesämtern für Verfassungsschutz die Frage stellen, ob sie nicht auch über Jahre hinweg die rechte Szene mitfinanziert haben. Es ist an der Zeit, zu fragen, ob das der richtige Weg ist. Deswegen fand ich die Worte von Deniz Yücel richtig.
Walter Lübcke war Mitglied der CDU. Gleichzeitig jährt sich zum 20. Mal die Kampagne der hessischen CDU zur Landtagswahl 1999 unter Roland Koch, als Menschen an Wahlkampfstände kamen und gefragt haben, wo sie gegen Ausländer unterschreiben können. Sehen Sie da eine politische Verantwortung?
Die damalige CDU mit Leuten wie Manfred Kanther, Erika Steinbach oder Martin Hohmann hat den Boden für rechtes Gedankengut bereitet. Diese Rolle hat heute die AfD übernommen. Es gibt aber auch Querverbindungen, wenn man an Martin Hohmann denkt. Er war damals hessischer CDU-Abgeordneter, ist 2002 wegen rechtsextremistischer Äußerungen aus der Partei geflogen und hat jetzt als AfD-Bundestagsabgeordneter die Flüchtlingspolitik unter Angela Merkel für den Mord an Walter Lübcke verantwortlich gemacht. Das ist unerträglich. Deswegen halte es für richtig, dass wir als SPD-Fraktion zu keinem Zeitpunkt einen AfD-Politiker zum Vizepräsidenten des Bundestags gewählt haben.
Nordhessen gilt als rote Hochburg. Gleichzeitig hat der Ruf der Region jüngst gelitten. Was kann die SPD tun, damit Nordhessen wieder besser da steht?
Die Demonstrationen in Kassel haben gezeigt, dass Nordhessen in der ganz großen Mehrheit kein braunes Nest ist, sondern eine weltoffene, vielfältige Region. Wir müssen aber mehr tun. Zu unserer nächsten SPD-Bezirksvorstandssitzung haben wir das mobile Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus eingeladen, um über die aktuelle Situation zu sprechen. In unserer Bildungsarbeit werden wir in der nordhessischen SPD ein Seminar zum Umgang mit Stammtischparolen anbieten. Allzu oft – wie auch jüngst beim Fall in Wächtersbach – wird irgendwelchem Kneipengeschwätz nicht widersprochen. Da müssen wir unsere Leute schulen, wie man gegenhalten kann. Auch in den sozialen Netzwerken müssen wir rechten Parolen öffentlich entgegentreten. Außerdem sollen aus dem Programm „Demokratie leben“ von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey Mittel für die Region für Veranstaltungen und Programme gegen Rechts beantragt werden. Wir müssen bei der Prävention und Jugendbildungsarbeit anfangen, brauchen aber auch verstärkt Aussteigerprogramme.