
Bernd Westphal, das EU-Parlament hat in der letzten Woche einen sofortigen Baustopp für die deutsch-russische Erdgaspipeline Nord Stream 2 gefordert. Die SPD-Europaabgeordneten haben das mit großer Mehrheit abgelehnt. Haben sich die deutschen Abgeordneten damit isoliert?
Nein, die unpassende Vermischung von Nord Stream 2 und dem Fall Nawalny hat dazu geführt, dass die Resolution in den Medien zu einer Abstimmung gegen die Pipeline umgedeutet wurde. Über den Artikel 11 zu Nord Stream 2 wurde jedoch gesondert abgestimmt. Die SPD-Gruppe hat hier mehrheitlich gegen den Baustopp von Nord Stream 2 gestimmt. Zur Resolution des Europäischen Parlaments über eine Inhaftierung von Alexei Nawalny haben die SPD-Europaabgeordneten eine ausführliche Stimmerklärung abgegeben und dies – wie ich – klar verurteilt.
Das EU-Parlament hat seine Forderung nach einem Baustopp aber genau mit dem Vorgehen Russlands gegen Alexej Nawalny begründet.
Der Umgang Russlands mit Kreml-Kritiker Alexei Nawalny ist nicht zu tolerieren. Natürlich muss Europa eine klare Antwort auf die Inhaftierung von Alexei Nawalny geben. Diese Debatte aber mit Nord Stream 2 zu vermischen, ist vollkommen falsch. Nord Stream 2 ist erst einmal ein europäisches und privatwirtschaftliches Projekt. Ein Baustopp der Ostsee-Pipeline würde vor allem den beteiligten Firmen schaden. Es sind nicht nur deutsche Unternehmen, es sind französische, österreichische, deutsche und holländische Unternehmen beteiligt.
Angesichts des großen Widerstandes gegen Nord Stream 2: Was sind denn die wesentlichen Gründe für das Projekt?
Das Projekt erhöht vor allem die Versorgungssicherheit der Europäischen Union insgesamt. Wir brauchen Gas als Brückentechnologie zwischen dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl. Klar ist: Wer die Erdgasversorgung – wie die Grünen – blockiert, verhindert einen frühen Kohleausstieg und gefährdet eine wettbewerbsfähige Energieversorgung. Es geht nämlich auch um eine kostengünstige Energieversorgung in Europa und Deutschland. Nord Stream 2 schafft hierfür ein zusätzliches Angebot. Die Erhöhung des Angebots an kostengünstigem Gas wirkt sich zudem dämpfend auf die Erdgaspreise aus. Außerdem hat eine moderne Pipeline weniger Leckagen und dient somit auch dem Umwelt- und Klimaschutz. Später kann die Pipeline mit leichten Umbaumaßnahmen genutzt werden um auch CO2-frei produzierten Wasserstoff nach Europa zu transportieren.
Viele Kritiker argumentieren nicht energie- sondern sicherheitspolitisch: Sie warnen vor einer Stärkung Russlands und einer Schwächung Osteuropas durch die Pipeline. Können Sie dieses Szenario ausschließen?
Auch zu Zeiten des tiefsten kalten Krieges oder der Annektion der Krim hat es keinen Einfluss auf Energielieferungen gegeben und wir sind stets unseren Zahlungsverpflichtungen nachgekommen. Es gibt ja bereits einen Kompromiss auf europäischer Ebene: Nord Stream 2 wurde bereits vor vielen Jahren entschieden und genehmigt. Dass die Pipeline zu Ende gebaut wird, ist eine Frage von Investitionssicherheit und Rechtstreue. Und mit der Versorgung des Gases durch Nord Stream 2, das sind ja immerhin 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, ist ja nicht nur die Versorgungssicherheit von Deutschland erhöht, sondern von ganz Europa.
Geht es den USA wirklich um den Schutz Deutschlands oder eher darum, möglichst viel vom eigenen Fracking-Gas an die Bundesrepublik zu verkaufen?
Zunächst einmal ist die Energieversorgung eine innere Angelegenheit der Europäer. Wir sind souveräne Staaten und können selbst entscheiden, wie wir unsere Energieversorgung der Zukunft aufbauen möchten. Wir mischen uns ja auch nicht ein, wie die Amerikaner ihre Energieversorgung organisieren oder, dass sie selbst russisches Öl im Milliardenwert importieren. Es ist sehr leicht zu durchschauen, dass das mit Fracking-Verfahren geförderte Gas, LNG, verflüssigt wird und dann hier nach Europa kommen soll. Die Politik, dass die Amerikaner ihre Produkte in Europa verkaufen wollen, und das ist ja dann auch eine Abhängigkeit von den USA, kann man so nicht tolerieren. Zudem ist das LNG-Gas aus den USA deutlich teurer als das aus Russland.
Die am Bau beteiligten Firmen haben gültige Baugenehmigungen. Können die jetzt kurz vor Vollendung des Projektes aus politischen Gründen außer Kraft gesetzt werden? Würde das nicht milliardenschwere Schadensersatzforderungen nach sich ziehen?
Der Bau von Nord Stream 2 erfordert rund acht Milliarden Euro Projektkosten und weitere drei Milliarden Euro an Infrastrukturkosten zur Aufnahme des Erdgases. Bei einem Baustopp wären diese Mittel weitestgehend verloren. Deutschland kann bei einem Baustopp vor internationalen Schiedsgerichten verklagt werden. Als Beispiel kann man die Klage von Vattenfall gegen die Bundesregierung wegen des Atomausstieges nehmen. Diese beschäftigt uns seit Jahren und kostet sehr viel mehr Geld als die Fertigstellung der Pipeline. Ein Baustopp würde Deutschlands Ruf als sicheren Investitionsstandort schaden, wenn ein so großes Infrastrukturvorhaben einfach beendet wird, obwohl es bereits genehmigt ist.
Der US-Kongress ist überparteilich gegen das Projekt, das gilt auch für den neuen US-Präsidenten Joe Biden. Welche Folgen hat das deutsche Festhalten an Nord Stream 2 für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und den Versuch eines Neustartes?
Was die USA da machen, ist ja klares Vermischen außenpolitischer Interessen, die sie haben, mit solchen Sanktionen. Das ist finde ich nicht unbedingt fair. Meine Hoffnung ist, dass wir mit der Administration Biden ein bisschen mehr Bewegung reinbekommen. Ich kann nur dafür werben, dass sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder normalisieren. Es wird aber auch künftig Themen geben, bei denen man unterschiedlicher Auffassung mit den USA sein wird. Wichtig ist, dass wir in den zentralen strategischen und geopolitischen Fragen eine gemeinsame Linie haben und gemeinsam an einem Strang ziehen.