
„Die SPD muss der Betriebsrat der digitalen Gesellschaft sein.“ Eindeutig hat SPD-Chefin Saskia Esken beim Politischen Aschermittwoch der Bayern-SPD in Vilshofen den Anspruch formuliert, den sich die Partei auf dem Bundesparteitag Ende 2019 mit dem dort verabschiedeten Sozialstaatskonzept selbst gestellt hat. Nach diesem Sozialstaatskonzept, das noch unter dem Vorsitz von Andrea Nahles auf den Weg gebracht wurde, soll der moderne Sozialstaat Partner der Bürgerinnen und Bürger sein, ihnen beistehen und sie fördern, statt vorrangig zu sanktionieren.
Arbeitsversicherung und Rechtsanspruch auf Weiterbildung
Ein „Recht auf Arbeit“ soll allen Menschen Arbeit und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Deshalb soll die Absicherung von Arbeit grundlegend erneuert und den Bedingungen der digitalen Arbeitswelt angepasst werden. Zu den konkreten Plänen der SPD gehört ein Mindestlohn von 12 Euro, aber auch das Ziel die Tarifbindungen zu stärken und neue Erwerbsformen in der Plattformökonomie sozial abzusichern. „Wir wollen nicht mehr, dass die Menschen Angst haben“, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, „gerade in einer Zeit, in der so viele Arbeitsplätze verloren gehen“.
Mit der solidarischen Arbeitsversicherung, die die Arbeitslosenversicherung ersetzen soll, will die SPD in Zeiten des raschen technologischen Wandels dafür sorgen, dass Erwerbslosigkeit gar nicht erst entsteht. Ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung und längere Qualifizierungsmaßnahmen unabhängig von Alter und Berufsabschluss unterstreichen diesen Anspruch. Der moderne Sozialstaat soll aber auch dafür sorgen, dass Arbeitszeiten „zum Leben passen“. Mit der Brückenteilzeit etwa soll die Möglichkeit, befristet in Teilzeit zu arbeiten, ausgeweitet werden.
Ein Bürgergeld soll das Hartz-IV-System ergänzen
Gesetzlich verankern will die SPD das Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice genauso wie das Recht auf Nichterreichbarkeit. Arbeitszeitkonten sollen mehr Gestaltungsfreiheit für verschiedene Lebenphasen geben und eine Familienarbeitszeit dabei helfen, die Zeit für Arbeit, Kinder und Familie oder Pflege flexibler aufteilen zu können. „Wir leiten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die immer schnellere und hektischere Arbeitswelt mit einem Recht auf Weiterbildung, auf Heimarbeit und auf Nichterreichbarkeit“, beschreibt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Vorhaben.
Das Hartz-IV-System schließlich soll durch ein „Bürgergeld“ ersetzt werden.Dieses steht – so heißt es in dem Konzept– „für ein neues Verständnis eines empathischen, unterstützenden und bürgernahen Sozialstaats“ statt für harte Sanktionen.
Die Bringschuld des Staates
Mit diesem Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik wird die Position der Bürgerinnen und Bürger gestärkt. Sie sollen sich nicht als Bittsteller fühlen. Der Staat hat eine Bringschuld bei der Umsetzung ihrer Rechte. Dieser Gedanke zeigt sich auch in der Familienpolitik – zum Beispiel bei der geplanten Kindergrundsicherung, mit der Kinder eigenständig materiell abgesichert werden, statt zum Armutsrisiko für einkommensschwache Familien zu werden. „Ungleiches ungleich fördern“, lautet die Devise. „Da, wo es mehr Probleme gibt und die Herausforderungen größer sind, müssen wir auch mehr investieren, um allen Kindern gleiche Chancen zu ermöglichen“, sagt die Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt. Gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Fraktions-Vize Katja Mast hat sie das Konzept einer sozialdemokratischen Kindergrundsicherung erarbeitet.
Es geht um existenzsichernde Geldleistungen und Investitionen in gute und gebührenfreie Bildung und Mobilität. Zunächst soll es für alle 17,8 Millionen Kinder und Jugendlichen einen Basisbetrag von 250 Euro geben. Für Eltern, die wenig verdienen, kann zusätzlich ein Höchstbetrag zwischen 400 und 478 Euro pro Kind von der Familienkasse ausgezahlt werden. „Damit holen wir die Kinder aus Hartz IV“, formuliert Schmidt den Anspruch. Um die persönliche Entwicklung eines Kindes zu fördern sollen 30 Euro des Basisbetrages künftig direkt auf eine Kinderkarte gehen, mit der die Kosten für den ÖPNV, das Schwimmbad oder die Musikschule bezahlt werden.
Da bezahlbarer Wohnraum in attraktiver Umgebung längst zur einer sozialen Frage geworden ist, will die SPD auch mehr Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen. Wohnraum soll nicht dem Markt oder gar Spekulanten überlassen werden. Neben zahlreichen Einzelmaßnahmen fordert die SPD in ihrem Sozialstaatskonzept einen „Sozialpakt Wohnen“ – ein gesellschaftliches Bündnis, um eine zehnjährige Bauoffensive in angespannten Lagen zu starten. Ziel ist eine soziale Wohnungs- und Mietenpolitik, „die allen Menschen ein verlässliches Zuhause garantiert“.