Bürgergeld statt Hartz IV

Wie sich die SPD den modernen Sozialstaat vorstellt

Vera RosigkeitBenedikt Dittrich26. Februar 2020
Auch die digitale Gesellschaft braucht einen Betriebsrat: Die SPD setzt sich u.a. für das Recht auf mobiles Arbeiten ein.
Auch die digitale Gesellschaft braucht einen Betriebsrat: Die SPD setzt sich u.a. für das Recht auf mobiles Arbeiten ein.
„Unsere Aufgabe ist, Zukunft gerecht zu verteilen“, hat SPD-Chefin Saskia Esken beim politischen Aschermittwoch der Bayern-SPD in Vilshofen gesagt. Was das konkret bedeutet, steht im Sozialstaatskonzept der Partei.

„Die SPD muss der Betriebsrat der digitalen Gesellschaft sein.“ Eindeutig hat ­SPD-Chefin Saskia Esken beim Politischen Aschermittwoch der Bayern-SPD in Vilshofen den Anspruch formuliert, den sich die Partei auf dem Bundesparteitag Ende 2019 mit dem dort verabschiedeten So­zialstaatskonzept selbst gestellt hat. Nach diesem Sozialstaatskonzept, das noch unter dem Vorsitz von Andrea Nahles auf den Weg gebracht wurde, soll der moderne Sozialstaat Partner der Bürgerinnen und Bürger sein, ihnen beistehen und sie fördern, statt vorrangig zu sanktionieren.

Arbeitsversicherung und Rechtsanspruch auf Weiterbildung

Ein „Recht auf Arbeit“ soll allen Menschen Arbeit und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Deshalb soll die Absicherung von Arbeit grundlegend erneuert und den Bedingungen der digitalen Arbeitswelt angepasst werden. Zu den konkreten Plänen der SPD gehört ein Mindestlohn von 12 Euro, aber auch das Ziel die Tarifbindungen zu stärken und neue Erwerbsformen in der Plattformökonomie sozial abzusichern. „Wir wollen nicht mehr, dass die Menschen Angst haben“, sagt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, „gerade in einer Zeit, in der so viele ­Arbeitsplätze verloren gehen“.

Mit der solidarischen Arbeitsversicherung, die die Arbeitslosenversicherung ersetzen soll, will die SPD in Zeiten des raschen technologischen Wandels dafür sorgen, dass Erwerbslosigkeit gar nicht erst entsteht. Ein Rechtsanspruch auf Weiterbildung und längere Qualifizierungsmaßnahmen unabhängig von Alter und Berufsabschluss unterstreichen diesen Anspruch. Der moderne Sozialstaat soll aber auch dafür sorgen, dass Arbeitszeiten „zum Leben passen“. Mit der Brückenteilzeit etwa soll die Möglichkeit, befristet in Teilzeit zu arbeiten, ausgeweitet werden.

Ein Bürgergeld soll das Hartz-IV-System ergänzen

Gesetzlich verankern will die SPD das Recht auf mobiles Arbeiten und Home­office genauso wie das Recht auf Nichterreichbarkeit. Arbeitszeitkonten sollen mehr Gestaltungsfreiheit für verschiedene Lebenphasen geben und eine Familienarbeitszeit dabei helfen, die Zeit für Arbeit, Kinder und Familie oder ­Pflege flexibler aufteilen zu können. „Wir leiten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die immer schnellere und hektischere Arbeitswelt mit einem Recht auf Weiterbildung, auf Heimarbeit und auf Nichterreichbarkeit“, beschreibt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil das Vorhaben.

Das Hartz-IV-System schließlich soll durch ein „Bürgergeld“ ersetzt werden.Dieses steht – so heißt es in dem Konzept– „für ein neues Verständnis eines empathischen, unterstützenden und bürgernahen Sozialstaats“ statt für ­harte Sanktionen.

Die Bringschuld des Staates

Mit diesem Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik wird die Position der Bürgerinnen und Bürger gestärkt. Sie sollen sich nicht als Bittsteller fühlen. Der Staat hat eine Bringschuld bei der Umsetzung ihrer Rechte. Dieser Gedanke zeigt sich auch in der Familienpolitik – zum Beispiel bei der geplanten Kindergrundsicherung, mit der Kinder eigenständig materiell abgesichert werden, statt zum Armutsrisiko für einkommensschwache Familien zu werden. „Ungleiches ungleich fördern“, lautet die Devise. „Da, wo es mehr Probleme gibt und die ­Herausforderungen größer sind, müssen wir auch mehr investieren, um allen Kindern gleiche Chancen zu ermöglichen“, sagt die Bundestagsabgeordnete Dagmar Schmidt. Gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Fraktions-Vize Katja Mast hat sie das Konzept einer sozialdemokratischen Kindergrundsicherung erarbeitet.

Es geht um existenzsichernde Geldleistungen und Investitionen in gute und gebührenfreie Bildung und Mobilität. Zunächst soll es für alle 17,8 Millionen Kinder und Jugendlichen einen Basisbetrag von 250 Euro geben. Für Eltern, die wenig verdienen, kann zusätzlich ein Höchstbetrag zwischen 400 und 478 Euro pro Kind von der Familienkasse ausgezahlt werden. „Damit holen wir die Kinder aus Hartz IV“, formuliert Schmidt den Anspruch. Um die persönliche Entwicklung eines Kindes zu fördern sollen 30 Euro des Basisbetrages künftig direkt auf eine Kinderkarte gehen, mit der die Kosten für den ÖPNV, das Schwimmbad oder die Musikschule bezahlt werden.

Da bezahlbarer Wohnraum in attraktiver Umgebung längst zur einer sozialen Frage geworden ist, will die SPD auch mehr Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen. Wohnraum soll nicht dem Markt oder gar Spekulanten überlassen werden. Neben zahlreichen Einzelmaßnahmen fordert die SPD in ihrem Sozialstaatskonzept einen „Sozialpakt Wohnen“ – ein gesellschaftliches Bündnis, um eine zehnjährige Bauoffensive in angespannten Lagen zu starten. Ziel ist eine soziale Wohnungs- und Mietenpolitik, „die allen Menschen ein verlässliches Zuhause garantiert“.

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Kommentare

Wie sich die SPD den modernen Sozialstaat vorstellt

Wenn sich die SPD den modernen Sozialstaat so vorstellt wie in diesem Artikel beschrieben, dann wird sie nur eine auf ca. 10 % schrumpfende 2. Linkspartei, die die politische Mitte aufgegeben hat. Alle, die nur auf ihre Rechte pochen, von staatlichen Leistungen leben und Pflichten nur bei anderen sehen, könnten dann zwischen den beiden Linksparteien wählen, die sich beide auf das Geldausgeben focussieren und damit Wohlgefallen und Stimmen bei ihren Wählern erkaufen möchten. Es ist das Rezept der SED, der kubanischen und nicaraguanischen und sonstigen Sozialisten, wie es zuletzt von Hugo Chávez in Venezuela eindrucksvoll angewendet wurde. Diese sozialistische Rezept führt immer nur zu Armut, Hunger, Unfreiheit, Bankrott und massiven Fluchtbewegungen.

SPD-Leitbild "neuer Sozialstaat"

Das Beste am einstimmigen Parteitagsbeschluss "Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit" ist
1. das Bekenntnis zu Sozialstaat und öffentlichem Dienst sowie
2. das indirekte Eingeständnis, dass die deutsche Sozialdemokratie vor dem reaktionären programmatischen Bruch aus dem Jahre 2000 schon einmal sehr viel klüger war.
Doppelte Beschwörung des "Neuen" kann nur junge Menschen davon ablenken, dass die Misere der Gegenwart vor allem eine alte selbstverschuldete ist. Sogar der Begriff "Prekariat" war vor den Schröderschen Konterreformen nicht in Gebrauch.
Einen Mindestlohn fanden dereinst sogar Gewerkschaften überflüssig, denn das hohe Niveau von Arbeitslosenhilfe und sogar Sozialhilfe sowie der Einkünfte aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) wirkte sich makroökonomisch spürbar positiv auf das Reallohnniveau der abhängig Beschäftigten aus.
Das Leitbild "neuer Sozialstaat" bleibt hinter dem zurück, was in der Kohl-Ära erreicht war und von der SPD bis 1998 sehr erfolgreich gegen Angriffe aus CDU/CSU/FDP verteidigt werden konnte (besonders 1993!).
Ohne das Ziel drastischer Erhöhung der ALG-II-Bezüge dürfte der SPD eine relevante Rückgewinnung der Wähler schwerlich gelingen.

Sozialstaatkonzept

Sicher nicht der letzte Schrei, aber endlich eine klare Vorstellung zur Anpassung des Prinzips Soziale Marktwirtschaft an die gesellschaftliche Entwicklung. Arbeit als Grundlage der Selbstverwirklichung und des Erwerbes der notwendigen Einkünfte muss sich mit den ökologischen Erfordernissen und der Sicherung einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung verbinden. Es ist die Gestaltung einer solidarisch strukturierten Gesellschaft erforderlich. Es gehört Technologietransfer in Entwicklungsländer sowie Investitionen in Bildung und Infrastruktur in diesen Ländern hinzu, um weiteren Verlust an Lebensraum einzudämmen. Dieses hat die gleiche Bedeutung wie die Bekämpfung des Klimawandels.

Der Sozialstaat passt aber

Der Sozialstaat passt aber nicht zum ausufernden Kapitalismus/Neoliberalismus. Vielleicht sollten hier erst mal die entscheidenden Weichen gestellt werden.
Wer hat uns den Sozialstaat denn nach dem WK"" beschert? Das war doch der damalige kalte Krieg, der dafür sorgte, dass ein paar Krümel beim Pöbel hängen blieben, um zu demonstrieren dass der Westen überlegen war. Nach Ende des kalten Krieges wurde doch sofort mit der Demontage begonnen (Schröder SPD/Grüne).

Sozialstaat - ein indirekter Erfolg des Ostblocks? Unsinn!

Woher stammt der Mythos, in Deutschland sei der Sozialstaat ein indirekter Erfolg des Ostblocks im Kalten Krieg? - Nichts spricht für die absurde Behauptung! Historisch liegen die Anfänge im Kaiserreich. Um die SPD verbieten zu können, inszenierte Bismarck die Arbeiterversicherungen als Zugeständnis. Weitere Verbesserungen unter antiliberalem Vorzeichen wurden im Faschismus umgesetzt. Unter der ersten GroKo der Bundesrepublik gelang ein Ausbau des Sozialstaates. In Schweden verlief die Geschichte anders und die Sozialdemokratie war allein bedeutsam. Heute käme z.B. kein Mensch in Sükorea auf die absurde Behauptung, es ginge den abhängig Beschäftigten dort im asiatischen Vergleich so gut, weil das abschreckende Nord-Korea existiert, sondern sie wissen, dass sie dies nach Überwindung der Diktatur dem Kapitalismus und den gewerkschaftlichen Kämpfen zu verdanken haben. - Der weder politisch liberale noch ökonomisch neue "Neoliberalismus" ist ein rechtes Konzept, das unter M. Thatcher in den 70er Jahren gegen den sozialliberalen Keynesianismus ersonnen worden war, um soziale Ungleichheit trotz Kapitalismus effektiv zu erhalten, gar durch Krisen zu steigern.

"Vorwärts", so der Name der Parteizeitung der SPD seit 1876...

Der Begriff "Vorwärts" steht für Vorwärtsgewandtheit, für Fortschritt, für Zukunft.
Was sehen wir heute aber sehen, auch 'dank' SPD:
Hunderttausende, ja Millionen von Bürgern, die trotz Arbeit arm sind,
die sich selbst bei einer 35-40 Stundenwoche kaum selber Wohlstand aufbauen,
geschweige gar eine Familie über Wasser halten können,
ja mittlerweile oft nicht mal eine anständige Wohnung haben.
Dazu einen Sozialstaat, der repressiv ausgelegt ist und Arbeit glorifiziert,
wo sich heute doch so viele Menschen davon längst keine Zukunft mehr aufbauen können.
Weil Wohlstand eben längst primär ererbt statt erarbeitet wird.
Dazu SPD-Politiker, die in einem der wohlhabendsten Länder der Welt zuerst fragen:
"Wer soll das bezahlen?".
Um dann direkt o. indirekt Arbeitslose gegen Arbeitende auszuspielen,
anstatt sich auf die oberen 30% der Bevölkerung zu konzentrieren.
Meine Frage an die SPD:
Nennt ihr DAS heute Fortschritt und Zukunft?
Auftrag der stolzen SPD war doch, die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern.
Doch was ist aus der SPD geworden?
Nur ein weiterer Flügel des Besitzbürgertums.
So schade.

"Vorwärts"

Der Begriff "Vorwärts" steht auch für Gleichberechtigung, Bildung und Ausbildung, das haben Sie vergessen. Hier hat die SPD Wege auch für Arbeiter Wege geöffnet, die bisher verschlossen waren. Z. B. hat die Bildungspolitik der SPD mir als Kind von ungelernten Hilfsarbeitern es erlaubt, mir auf dem 2. Bildungsweg nach der Volksschule bis zum Ingenieurstudium zu gelangen, bei dem ich den Sozialstaat nicht in Anspruch nehmen aber ihn kräftig bis zum 70. Lebensjahr als Zahler von Steuern und Sozialabgaben mitfinanzieren konnte. Dieser Weg, den ich beschritten habe, war mühsam denn der 2. Bildungsweg verläuft parallel zur Berufsausübung. Ein Sozialstaat muss finanziert werden von allen, die das können und nicht nur von denen, die das Wollen und die dazu in der Lage sind. Wer die Finanzierung aus dem Auge verliert und sich auf das Geldausgeben beschränkt landet am Ende im Un-Sozialstaat und im Bankrott, siehe das Schicksal der DDR oder aktuell Venezuelas. Der Sozialstaat ist niemals ein Supermarkt, in dem alles umsonst ist. Alles muss erarbeitet und verdient werden. Ohne Anstrengung bei Bildung und Ausbildung ist trotz Fachkräftemangels allerdings nicht viel mehr als SGBII möglich.

Minijob

Schafft endlich diese Minijobs ab ! Sozialversicherungspflichtige Jobs ab der ersten Stunde ! Arbeitgeber splitten eine Vollzeitstelle in 3 oder 4 Minijobs um Sozialabgaben zu sparen; nichts anderes ist der Sinn un Zwech dieser Minijobs. Dann müssen Leiharbeiter und Befristete einen höheren Lohn/Gehalt bekommen als Festangestellte, dann die Werkverträge und der ganze Unfug - auch dies kann dieses Unwesen eindämmen. Das wären erste Schrittchen in Richtung Sozialstaat - zum Sozialismus ist der weg noch weiter. Nur vernünftige Sozialpolitik kann das ganze rechte Gesindel wirkungsvoll bekämpfen.

Schröder-Blair

Schröder-Blair-Paper vom 08.06.1999: "Die beiden vergangenen Jahrzehnte des neoliberalen Laissez-faire sind vorüber. An ihre Stelle darf jedoch keine Renaissance des "Deficit Spending" und massiver staatlicher Intervention im Stile der 70er Jahre treten." (S. 4). Diesen Satz möchte ich anstelle einer eigenen Einleitung mal so stehen lassen. Der archimedische Punkt des Schröder-Blair-Papers steht m.E. auf Seite 8: "Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit, denn sie erleichtern den Übergang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung." (Ja, ich bin mir der Unredlichkeit, die in dieser Formulierung steckt, bewusst.) Lese ich nun die Forderungen der Partei-Linken, so vermittelt sich mir der Eindruck, dass die nicht unrealistische Gefahr besteht, damit nun aber gerade nicht das Los der geringfügig Beschäftigten et al. zu verbessern, sondern nur die Umkehrung des vorstehenden Satzes zu erreichen (und damit einen Punkt, den wir in gewisser Weise schon einmal hatten, "um und bei" Ende der 70er...), also: "Gar keine Arbeit ist besser als Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit." Werte Herrschaften, das ist eine THESE. Bitte widerlegen Sie diese. Danke

Sozialstaat ?

Was zur Zeit läuft ist wider die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung davon muss die SPD endlich weg ! Es wird z. B. Wohnraum gebraucht und was passiert ? Öffentliche Investitione fließen in "babylonische Türme": BER, Stuttgard 21, Elbvertiefung, Tesla, Autobahnausbau (damit die NATO schneller in die Russakei kommt ?!). Werden denn für die öffentlichen Mittel beim Tesla anteilig Mitbestimmungsrechte gewährt ? Ein Häuslebauer wird 3 und mehr Jahre mit kostenpflichtiger Bürokratie überschüttet bevor er den 1. Spatenstich machen kann; beim Herrn Tesla gibt es andere Wege. Die Elbvertiefung führt zur Versalzung des Grundwassers weil das Meerwasser weiter vordringen kann. Wo ist denn der Verstand ? und die SPD findet sich "in" weil sie über Gendertoiletten berät ?
Ein Häuslebauer bekommt 3% Abschreibung auf Investitionen für 33 Jahre, privater Mietwohnungsbau bekommt 8% Kapitalverzinsung auf 12 Jahre ! Noch nie habe ich gehört, daß dann die Mieten sinken würden. Die Mehrheit der Menschen entrechten und enteignen zu Gunsten der "Wirtschaft"; das kann doch nicht weiter SPD Politik sein.