Mandatsverlust an die AfD

SPD in Mannheim: Fassungslos – aber nicht mutlos

Harald Sawatzki18. März 2016
SPD-Büro in Mannheim
Noch immer fassungslos: die SPD in Mannheim nach der Landtagswahl am Sonntag
Andrea Safferling
Andrea Safferling, Vorsitzende der SPD in Mannheim-Schönau
Der Schock in Mannheim war groß: In der einstigen SPD-Hochburg hat die AfD bei der Landtagswahl den Sozialdemokraten das einzige Direktmandat in Baden-Württemberg abgenommen. Ein Ortsbesuch

Vier Tage nach dem Wahlabend sind im Mannheimer Stadtteil Schönau die Wahlplakate der Alternative für Deutschland (AfD) abgehängt. Einsam prahlt die NPD mit dem Slogan „Wir schieben ab“. Und dazwischen erinnert Dr. Stefan Fulst-Blei, der Kandidat der SPD und aktuelle Landtagsabgeordnete daran, dass er sich für die „erste Gemeinschaftsschule in Mannheim“ und für das Gymnasium G 9 eingesetzt habe.

Es hat nichts genützt: Das Direktmandat im Wahlkreis 35, zu dem die Schönau gehört, ging mit 23 Prozent völlig überraschend an den unbekannten AfD-Mann Rüdiger Klos aus dem 20 Kilometer entfernten Eppelheim. Der Kandidat der Rechtspopulisten soll, wie die Schönauer versichern, im Wahlkampf vor Ort nicht aufgetaucht sein, aber er erzielte im Stadtteil sogar 30 Prozent.

„Wie ein Faustschlag ins Gesicht“

Andrea Safferling
Andrea Safferling, Vorsitzende der SPD in Mannheim-Schönau

Dass Klos dem einheimischen Amtsinhaber und Kandidaten – der im gesamten Wahlkreis 22,2 Prozent und auf der Schönau 27,1 Prozent errang – das Direktmandat in der einstigen SPD-Hochburg Mannheim Nord abluchste, traf Andrea Safferling, die Ortsvereinsvorsitzende der Schönauer SPD „wie ein Faustschlag ins Gesicht“. Viele ihrer knapp 150 Mitglieder haben „wochenlang geackert, vor allem die Jusos und die Senioren“. Und jetzt das: Nach vielleicht 1000 Hausbesuchen, Gesprächen und Aktionen geht der Wahlkreis verloren.

Die erste Reaktion am Wahlabend war denn auch: „Alles hinschmeißen.“ Aber Safferling und ihre Mitstreiter richteten sich rasch wieder auf: „Nur jeder Vierte wählte die AfD“, rechnet sie vor. Also wird weiterhin um die drei AfD-Resistenten und um die verlorenen Stimmen gekämpft. Die Gelegenheit bietet sich bereits 2017 bei der Bundestagswahl.

Waren die Ängste der Menschen wahlentscheidend?

Bei der Suche nach den Ursachen, warum 23 Prozent der Wähler der AfD ihre Stimme gaben, deckt sich die Einschätzung Andrea Safferlings mit der ihres Mannheimer Kreisvorsitzenden Wolfgang Katzmarek, der angesichts des Ergebnisses „Fassungslosigkeit“  eingestehen muss: „Schwer zu erklären“ sei das Wahlverhalten der Stimmberechtigten. Da sich die Schönau strukturell über die Jahre geändert habe, dort längst nicht mehr „nur Hartz IV-Empfänger“ lebten, müssten wohl „Ängste eine große Rolle bei denen gespielt haben, die anfällig für Parolen der AfD waren“.

Ganz überraschend war es zwar weder für Safferling noch für Katzmarek, dass die AfD auf der Schönau etliche Stimmen bekommen würde: Schon in der Vergangenheit hatten „die NPD oder die Republikaner, und bei der Kommunalwahl die AfD über durchschnittlich viele Stimmen erhalten“. Doch dass es so kommen würde, damit hatte niemand gerechnet.

Im Wahlkampf fehlte die „klare Linie“

Auch nicht Karl-Christian Schroff, der seine Tierarztpraxis auf der Schönau beinahe in Personalunion  mit einem der letzten Ortsvereinsbüros der Stadt führt: Beide liegen Tür an Tür. Schroff, seit über 20 Jahren in der SPD aktiv, sieht vor allem Mängel bei der Selbstdarstellung der SPD: „Wir haben auf aktuelle Fragen die richtigen Antworten, die SPD-Ministerien in Stuttgart haben gute Arbeit geleistet.“ Aber es sei im Wahlkampf „keine klare Linie“ erkennbar gewesen: „Wir haben ein mediales, ein PR-Problem“, glaubt Schroff.

Damit liegt er auf einer Linie mit seinem Kreisvorsitzenden. Katzmarek, der es allerdings bei eingängigen Slogans nicht bewenden lassen möchte: „Wir brauchen eine Kommunikation der Grundwerte“, sagt er und hofft, dass dann „die Couch-Demokraten wach werden“, dass sie sich einmischen und wählen gehen. Und gegen die AfD helfe nur eines: Die Partei müsse „Thema für Thema“ gestellt werden.

Das beste SPD-Ergebnis in Baden-Württemberg

Dazu wird Stefan Fulst-Blei in den nächsten fünf Jahren ausreichend Gelegenheit erhalten: Er zieht trotz der Niederlage in heimischen Gefilden über die Zweitauszählung wieder in den Landtag ein: Der Mannheimer schaffte trotz allem das landesweit beste Ergebnis eines SPD-Kandidaten. Nach Stuttgart wird ihn sein Parteigenosse Boris Weirauch aus dem Mannheimer Süden begleiten, der erstmals kandidierte und ebenfalls über die Landesliste ein Mandat holte.

Stefan Fulst-Blei selbst analysierte die Ereignisse wenige Tage nach der Wahl kämpferisch: Er fühle sich „herausgefordert“ und sieht im Wesentlichen drei Ursachen für die Schwierigkeiten der SPD im Land – und in Mannheim. Die SPD habe erstens zweifellos unter der „Polarisierung“ gelitten, die sich aus der Fokussierung auf den Ministerpräsidenten Kretschmann ergeben habe. Zweitens sei es nicht verwunderlich, dass sich bei manchen Mannheimern angesichts von 13 000 Flüchtlingen in der Stadt Ängste breit machten. Und drittens sei der „schwierige Kurs“, den die Berliner Politik gefahren habe, einem guten SPD-Ergebnis abträglich gewesen. Trotz allem: Fulst-Blei wird kämpfen. Er hält sich zugute, die Grünen – entgegen dem Landestrend – im Wahlkreis auf Distanz gehalten zu haben.

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Kommentare

Wahlergebnis Ba-Wü;Mannheim

Genossinnen und Genossen,
dem Wahlkampf fehlte nicht die klare Linie - die SPD hat seiT dem Genossen der Bosse Gerhard Schröder(den "Genossen" zu nennen ich mich seit 2003 weigere,was auch für den Consilliere Steinmeier gilt) keine Linie mehr-zumindest nicht für die ursprüngliche Stammwählerschaft!Steuergeschenke für Reiche und Konzerne,die unsäglichen "Reformen" des Arbeitsmarktes,die Armutsrutsche Hartz 4 usw.,den schlimmsten Sozialstaatsabbau aller Zeiten in der Bundesrepublik (was Schwarz _Gelb sich nicht getraut hat-Rot-Grün unter Schröder hat`s verbrochen!).Dafür steht die SPD-und gerät,wie die übrige europäische Sozialdemokratie an den Rand der politischen Bedeutungslosigkeit(Schröder-Blair-Papier!!!).
Wo ist der deutsche Jeremy Corbyn?
Grüße aus der inneren Opposition
Gerhard Dier Ortsverein Nanzdietschweiler,Pfalz

Im Wahlkampf fehlte die klare Linie

Blickt doch mal über den Tellerrand. –Sprich über den Rhein-
Zwischen Mannheim-Schönau, dem einstigen letzten roten Zipfel
und der „Schwesterstadt“ Ludwigshafen liegen keine 2 km Luftlinie.
Nur haben bei den Landtagswahlen die Rheinland – Pfälzerinnen Anke
Simon und Heike Scharfenberger in ihren Wahlkreisen in Ludwigshafen
40% und 39,5 % der Stimmen erzielt. Malu Dreyer hat bei gleicher Thematik in ihrem Land zugelegt. Nils Schmid kam im eigenen Wahlkreis Reutlingen nur auf 14,2%. Sprich auf Rang vier hinter GRÜNEN, CDU, AFD.

"Wir brauchen eine Kommunikation der Grundwerte"

Falsch! Was fehlt, ist das Leben und nachhaltige Verfolgen, Durchsetzen und Einfordern der SPD-Grundwerte, bevor sie ganz vergessen in irgendwelchen SPD-Archiven zur Erinnerung an heroische SPD-Zeiten verstauben.
Hinderlich waren in dieser Legislaturperiode darüberhinaus
- TTIP-Politik
- Umgang mit NSA/BND-Skandal inkl. Vorratsdatenspeicherung
- Fortführung des Soli
- Energiewende auf dem Rücken der privaten Verbraucher
- Kotau vor den Familienunternehmern beim Erbschaftssteuergesetz
- in der Flüchtlingspolitik Duldung des perfiden, auf dem Rücken der Flüchtlinge und des inneren Friedens in Deutschland basierenden, Good Guy (Merkel)- Bad Guy (Seehofer)-Spiels der Union, Über-den-Tisch-ziehen-lassen bei der Verschärfung der Asylgesetze von der Union und sich dafür von Frau Merkel und anderen Unions-Lautsprechern als Bremser diffamieren lassen, ohne erneut kein neues Einwanderungsgesetz durchzusetzen
- keine nachhaltigen Initiativen bei den Zukunftsthemen Altersarmut (endlich mal die Rentenformel Infragestellen!), demografische Entwicklung,
- Mehr Gerechtigkeit/Solidaridät, weniger Ungleichheit, mehr Respekt vor Bürgerrechten
Als Aufmunterung:
http://youtu.be/0zSclA_zqK4

SPD in Mannheim

Ja, da ist schon alles gesagt. Nur eine Frage. Warum lässt sich die SPD von der Bundestagsfraktion so über den Tisch ziehen?

Mir stellt sich eine ganz andere Frage,

warum hat beim Mitgliederentscheid im Bund und auch in Sachsen eine großer Mehrheit der Mitglieder dieser "Kurs" abgesegnet? Sind unter den Mitgliedern auch nur noch Karrieristen, die mit Hilfe der Partei ihr Auskommen suchen? Ich hoffe dem ist nicht so; ich bin 1959 nicht aus diesen Motiven Sozialdemokrat geworden und bis heute geblieben. Aber das muß nicht so bleiben!

Mich beschäftigt eine andere Frage

warum haben so viele Mitglieder beim Mitgliederentscheid für die Groko gestimmt und damit diese "Talfahrt" ermöglicht? Hoffentlich nicht aus Lust am Untergang!