Sigmar Gabriel hatte sie gleich gewarnt. "Glaubt nicht, dass Ihr nach Hause fahren könnt und wir die Arbeit machen." Den Satz hatte er den Delegierten des Dresdner Parteitags im November mit
auf den Weg gegeben. Jetzt, zwei Monate später, macht die SPD ernst mit der Mitgliederbeteiligung. "Wir fordern Euch!", wendet sich Generalsekretärin Andrea Nahles an die Genossen, kündigt an, in
Zukunft stärker den Sachverstand der Mitglieder nutzen zu wollen "und daraus moderne sozialdemokratische Politik zu entwickeln".
Sechs Zukunftswerkstätten
Dafür hat der SPD-Parteivorstand in seinem Arbeitsprogramm für 2010 sechs Zukunftswerkstätten eingerichtet. Darin wollen die Sozialdemokraten "an Politikentwürfen in
zentralen gesellschaftlichen Bereichen arbeiten". Jedes einzelne Mitglied kann Vorschläge für Veranstaltungen, Themen und Formate machen, die die Zukunftswerkstätten mit Leben füllen. Der
Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Veranstaltungen einzelner Ortsvereine sind ebenso gefragt wie Expertengespräche, Betriebsbesuche, Internetaktionen oder Gespräche auf der Straße. So hat es der
Parteivorstand bei seiner Klausur am 17. und 18. Januar beschlossen. Geleitet werden die Werkstätten vom Parteivorsitzenden oder einem seiner Stellvertreter. Ihnen steht jeweils mindestens ein
Mitglied der Bundestagsfraktion oder ein Vertreter aus den Ländern zur Seite.
Diskussion ohne Tabus
Das ist es dann aber auch schon, was im Voraus feststehen soll. Die Zukunftswerkstätten "sind keine klassischen Kommissionen und keine Veranstaltungsreihe mit detailliert
vorgegebenem Programm", erklärt Andrea Nahles. Sie ist gemeinsam mit dem Parteipräsidium für die Gesamtumsetzung verantwortlich. Vielmehr sollen sich vor allem die Mitglieder einbringen und den
Kurs der Werkstätten bestimmen. Dass es dabei - wie etwa bei der Frage der Agenda 2010 - auch unbequem werden könnte, ist der Parteiführung bewusst. "Aber das müssen und das werden wir
aushalten", ist Andrea Nahles sicher und fordert eine "konstruktive Diskussion ohne Tabus".
Nicht nur die Meinung von Leuten mit Parteibuch ist wichtig. Jeder Interessierte soll die Möglichkeit haben als "Experte in eigener Sache" zu Wort zu kommen. Die Öffnung der
Partei sei überfällig, stellt Sigmar Gabriel fest. Bereits in Dresden hatte er die Losung ausgegeben, dass kein Gesprächspartner unwichtig und keine Initiative zu klein sei, als dass es sich
nicht lohnen würde, mit jedem Einzelnen zu reden. Über ihre politischen Konzepte müsse die SPD wieder mit anderen diskutieren und so "die Nervenenden in unsere Gesellschaft" wiederbeleben. Auf
diese Weise würden zum einen "neue gesellschaftliche Allianzen" geschaffen. Zum anderen soll die SPD aber auch die Meinungsführerschaft "nach innen und nach außen" wieder erringen.
Ein langer Weg
Der Weg dorthin ist freilich lang. Auf zwei Jahre ist der Diskussionsprozess angelegt - Ziel ist der ordentliche Bundesparteitag im November 2011. Bis dahin sollen etwa in
der Zukunftswerkstatt "Arbeit - Innovation - Umwelt" die Ideen für ein sozialdemokratisches Wirtschaftsprogramm entstehen oder in der Werkstatt "Familie" ein familienpolitisches Gesamtkonzept
entwickelt werden. Der Parteitag gießt diese dann in Beschlüsse.
Doch das ist alles noch Zukunftsmusik, denn erstmal soll ausgiebig diskutiert werden. Im Februar werden die Steuerungsgruppen der einzelnen Werkstätten einen ersten Fahrplan
im Parteipräsidium vorstellen. Dann sind die Mitglieder dran.
Mehr Service für die Mitglieder
"Erfahrungswissen und Problembewusstsein in unserer Partei müssen verbessert und gestärkt werden", fordert Sigmar Gabriel. Der Anspruch der Parteiöffnung gelte deshalb auf
allen Ebenen - vom Ortsverein bis zum Bundesvorstand. Dasselbe gilt für die anstehende Parteireform, ebenfalls ein Bestandteil des Arbeitsprogramms für die kommenden Monate. Damit will der
Parteivorstand die SPD zukunftsfest machen. Im Mittelpunkt steht auch hier eine stärkere Beteiligung der Mitglieder.
Um die zu gewährleisten, "wird das Willy-Brandt-Haus bis Juni 2010 so umgestaltet, dass mehr Service für Mitglieder, Partei und Gesellschaft sichergestellt wird", verspricht
das Arbeitsprogramm des Parteivorstands. Auch die Arbeitsstrukturen innerhalb der Partei sollen reformiert und ein "Konzept zur Stärkung der Partei in strukturschwachen Gebieten" entwickelt
werden. Es soll eine ständige kommunalpolitische Konferenz geben, und zu wichtigen Themen werden Urabstimmungen stattfinden.
Politik als Werkstatt
Das Internet soll gezielter zur Kommunikation und für Aktionen eingesetzt werden, die Kampagnenfähigkeit insgesamt gestärkt werden. So vage mancher Punkt noch erscheinen
mag: Klar ist, dass alle Änderungen gemeinsam mit der Basis erarbeitet werden. Los geht es mit einer Befragung der SPD-Untergliederungen im Frühjahr.
Die Partei müsse "eine Politikwerkstatt für gesellschaftlichen Fortschritt" sein, hatte Sigmar Gabriel auf dem Dresdner Parteitag gefordert. "Es muss nicht alles fertig sein,
und es geht nicht darum, dass wir alles fertig werkeln, es in Schaufenster stellen und hoffen, dass die Leute, die vorbeikommen, reinkommen und es kaufen." Wichtiger sei, dass jeder mitarbeiten
könne. "Politik als Werkstatt: Das ist die SPD." Diese Werkstatt ist ab jetzt geöffnet.
Die Zukunftswerkstätten und ihre Leitung
Arbeit - Innovation - Umwelt
Leitung: Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier
Demokratie und Freiheit
Leitung: Heiko Maas, Olaf Scholz
Gut und sicher leben
Leitung: Olaf Scholz, Elke Ferner, Hubertus Heil
Integration
Leitung: Klaus Wowereit, Kenan Kolat
Bildung
Leitung: Hannelore Kraft, Doris Ahnen, Christoph Matschie
Familie
Leitung: Manuela Schwesig, Dagmar Ziegler