
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz warnt beim Impfen gegen das Corona-Virus vor einer neuen sozialen Spaltung in Deutschland. „Das Impfen darf nicht zu einer sozialen Frage werden“, betont Scholz im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Wir müssen sehr darauf achten, dass sich die soziale Spaltung jetzt nicht auch beim Impfen fortsetzt.“
Schon der Lockdown habe die unteren Einkommensschichten deutlich härter getroffen als Besserverdiener*innen. „Wer mit Kindern in einer engen Wohnung lebt, für den sind die Einschnitte schmerzhafter als für Privilegierte in Villenvororten“, so Scholz. Für den SPD-Kanzlerkandidaten ist klar: „Nicht das Vorhandensein von Ärzten im Freundes- oder Bekanntenkreis darf über die Vergabe von Impfterminen entscheiden, sondern einzig und allein die Priorität.“
Olaf Scholz: Impfpriorisierung statt Verteilungskampf
Es sei gut, dass es eine verbindliche Reihenfolge bei der Impfung gebe. „Solange der Impfstoff knapp ist, sollten wir sie auch beibehalten“, betont Scholz. „Mir ist es lieber, wir halten etwas länger an der Impfpriorisierung fest, als wenn wir einen Verteilungskampf um Impfstoff riskieren, bei dem sich am Ende die Wohlhabenderen mit ihren Netzwerken und Kontakten durchsetzen.“
Scholz weist darauf hin, dass zur dritten Impfprioritätsgruppe auch Menschen mit vielen beruflichen Risikokontakten gehörten, wie etwa Polizist*innen, Feuerwehrleute, Verkaufspersonal in Lebensmittelgeschäften oder Mitarbeiter*innen des öffentlichen Nahverkehrs.
Impfmobile auf den Marktplätzen
Der SPD-Kanzlerkandidat appelliert an die Bundesländer und Städte. „Kommunen und Länder sollten Strategien entwickeln, um in Brennpunkten schneller und niedrigschwelliger zu impfen. Es braucht nicht nur mehrsprachige Briefe, sondern auch Impfmobile auf den Marktplätzen.“ Scholz argumentiert: „Niemand hat etwas davon, wenn die noblen Vororte durchgeimpft sind, aber die Pandemie in den sozialen Brennpunkten weiter grassiert.“
Zum Thema mehr Freiheiten für vollständig Geimpfte hat der SPD-Kanzlerkandidat einen klaren Standpunkt: „Wir sollten uns in dieser Frage nicht von vermeintlichen Gerechtigkeitsdebatten leiten lassen, sondern die Frage einzig und allein unter medizinischen Gesichtspunkten betrachten.“ Die entscheidende Frage sei, ob eine Ausgangssperre für Bürger*innen, von denen keine Gefahr ausgehe, aus virologischer Sicht sinnvoll sei. „Ich glaube nicht“, so Scholz. Dann sei eine solche Ausgangssperre für Geimpfte „auch rechtlich nicht mehr begründbar“.
Franziska Giffey unterstützt Scholz-Vorschlag
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) unterstützt die Forderung von Olaf Scholz nach mobilen Impfteams in sozialen Brennpunkten. „Wenn zusätzlich mit mobilen Teams gearbeitet werden kann, würde ich das absolut befürworten. Zunächst einmal ist Aufklärungsarbeit wichtig“, so Giffey am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin.
Bei vielen Menschen gebe es Vorbehalte, große Ängste und Unsicherheiten. „Und dann wird doch vielleicht die Entscheidung getroffen: Ich lasse mich jetzt impfen, aber ich weiß gar nicht, wie das geht.“ Deshalb sei es so wichtig, um Vertrauen zu werben. „Hingehen, ansprechen in der Sprache, über die Sender, die gehört und gesehen werden“, rät Giffey. Mit entsprechenden Teams könne man dort schließlich alle Menschen erreichen.
SPD will Corona-Aufholpaket durchsetzen
Die Familienministerin macht sich nachdrücklich für den SPD-Vorschlag eines Corona-Aufholpaketes stark. Die Corona-Pandemie habe besonders negative Folgen für Kinder, die bereits vorher unter sozialer Benachteiligung litten. „80 Prozent der Kinder geht es gut, 20 Prozent sind aber eben mit besonderem Unterstützungsbedarf, das sind sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund. Und diese Schere wird natürlich durch die Pandemie verstärkt“, so Giffey. Setzt sich die SPD in der Koalition mit ihrer Forderung durch, könnte das Bundeskabinett am nächsten Mittwoch das Corona-Aufholpaket beschließen.
Martin Hikel, der Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln, sieht aktuell noch keine „Neiddebatte“ beim Thema Impfen. Diese „würde dann relevant und richtig sein“, wenn man Geld für eine Impfung bezahlen müsste, so Hikel am Mittwoch im TV-Sender Phoenix. Oder wenn es nötig wäre, nur über persönliche Beziehungen an einen Impftermin zu kommen. So sei die Lage aber nicht. Durch das in Berlin geltende System, „die vulnerablen Gruppen erstmal anzuschreiben, Impfeinladungen zu verschicken, Taxigutscheine auszugeben, hat man es ja so niedrigschwellig wie möglich gemacht, um die Leute abzuholen in die Impfzentren.“
Martin Hikel: Bei Information der Bevölkerung „versagt“
Probleme sieht Hikel besonders bei fehlenden oder falschen Informationen der Bevölkerung. „Wo wir tatsächlich versagt haben, das ist ein Problem, was ich in Neukölln sehe, ist die Informationspolitik über das Impfen.“ Bürger*innen würden Impfmöglichkeiten verfallen lassen, „weil sie glauben, davon würde man unfruchtbar“. Hier spielten die so genannten Querdenker*innen mit ihren Verschwörungstheorien eine besonders schädliche Rolle.