
Viele Menschen kennen Matthias Katsch aus Talkshows oder Interviews. Der 58-Jährige gibt seit zehn Jahren der Aufklärung von sexuellen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche ein Gesicht. Er ist der Sprecher des Vereins „Eckiger Tisch“. Und weil er jahrelang auch Sprecher eines großen Unternehmens war, bringt er das Versagen von Kirchenoberen rhetorisch gut auf den Punkt. Nun kandidiert Matthias Katsch für den Bundestag. Zum ersten Mal. Die wenigsten Menschen, die den Kandidaten aus dem Fernsehen kennen, verorten ihn allerdings in die Ortenau. Sein Wahlkreis trägt die Nummer 284 und liegt in Baden-Württemberg am Oberrhein rund um die Stadt Offenburg. Seit 13 Jahren ist dort sein Lebensmittelpunkt, sagt der gebürtige Berliner.
Seine Karriere in der SPD steht am Anfang. In den 30 Jahren seiner Mitgliedschaft sei er parteipolitisch nicht in Erscheinung getreten, sagt Matthias Katsch, auch bisher nicht in der Kommunalpolitik. Doch seine Bekanntheit wächst rapide. „Seit die Wahlplakate hängen, werde ich auf der Straße auf mein Engagement beim ‚Eckigen Tisch‘ angesprochen“, erzählt er. Der Lauf des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und die guten Umfragewerten haben einen zusätzlichen Schub gegeben: „Es kommen immer mehr Anfragen aus den Ortsvereinen. Die Genossinnen und Genossen sind so motiviert wie nie“, beobachtet er. Der Wahlkreis 284 ist der flächengrößte in Baden-Württemberg. Die Wege in der Rheinebene und in die kleinen Schwarzwaldtäler ziehen sich. Da bleibt viel Zeit auf der Strecke. Aber wo noch Platz im Kalender ist, werden Termine eingetragen. Über die Landesliste in den Bundestag zu kommen, ist mit Platz 32 eher aussichtslos. Die Mitglieder des Landesverbands haben die Liste kurz nach der Landtagswahl im März mit dem ernüchternden Ergebnis von elf Prozent für die SPD zusammengestellt. „In dieser Stimmung war der Kampf um die oberen Plätze besonders hart“, ist seine Erklärung, „und als Seiteneinsteiger hat man nicht so die Unterstützung“.
Wahlkampf gegen ein Phantom
Es bleibt der Gewinn des Direktmandats. Wolfgang Schäuble hat dieses in der Ortenau seit fast 40 Jahren fest im Griff. Doch Katsch sieht den Thron des CDU-Altvorderen wackeln: „Viele sind doch der Meinung, dass es mit seinen 78 Jahren mal gut sein sollte.“ Auch stoße im Wahlkampf auf, dass Schäuble in Podiumsdiskussionen durch Abwesenheit glänze. Katsch hat seine Kritik öffentlich gemacht, worauf Schäuble erklärte, seine Position als Bundestagspräsident verpflichte ihn auch in Wahlkampfzeiten zur Neutralität. Ob diese Ignoranz Schäuble vom Sockel holen könnte, will er nicht bewerten. „Ich möchte aber in jedem Fall in Schlagweite kommen“, beschreibt Matthias Katsch seine Erfolgsaussichten. Er spüre Zeichen für eine Veränderung.
Doch egal, wie für ihn die Wahl ausgeht, Matthias Katsch will dafür sorgen, „dass die Ortenau sozialdemokratischer wird“. Die SPD müsse in der Region wieder ernster genommen werden. Seit Juli ist Katsch Kreisvorsitzender. Selbstverständlich werde er weiter im „Eckigen Tisch“ aktiv bleiben. Katsch ist ein Betroffener: „Ich ging auf das Berliner Canisius-Kolleg und wurde wie viele andere Kinder Opfer von sexuellen Übergriffen. Erst viele Jahre später ging ich mit meinem persönlichen Schicksal an die Öffentlichkeit, weil sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche immer auch ein gesellschaftlicher Skandal ist.“ Im Frühjahr erhielt Matthias Katsch gemeinsam mit dem damaligen Schulleiter Klaus Mertes das Bundesverdienstkreuz. Aktivist für Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche zu sein, ist aber nur ein Teil seines Engagements. Sein Verein betreibt allgemein Aufklärung über sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen. Der Verein finanziert sich aus Spenden. Für eine hauptamtliche Kraft reicht es nicht. Katsch lässt seine freiberufliche Tätigkeit als Personal Coach derzeit ruhen. „Ich bin damals wegen meines Mannes in die Ortenau gekommen. Er verdient sehr gut“, erklärt er, wie er Ehrenamt und Wahlkampf finanziell durchsteht. Zugleich deutet er an, dass er das für keinen guten Dauerzustand hält.
Auf der Suche nach Antworten
Seine Missbrauchserfahrung habe seinen Lebenslauf geprägt. Antworten suchte Katsch im Studium der Philosophie, Politikwissenschaft und katholischen Theologie. Er war Entwicklungshelfer und Dozent in der Erwachsenenbildung. Während des großen Poststreiks 1992 trat er in die Gewerkschaft ein und kurze Zeit später in die Partei. 2001 begann Katsch ein Aufbaustudium an der Universität St. Gallen mit dem Schwerpunkt Neue Medien und Kommunikation. Geleitet wurde der Kurs vom ehemaligen SPD-Generalsekretär Peter Glotz. Die Frage, warum Menschen Macht missbrauchen – egal welcher Art, treibt Matthias Katsch an. Im Bundestag wäre das sicher eines seiner Themen, Machtmissbrauch öffentlich zu machen.
Vielleicht kämen dann auch Kirchenvertreter aus eigenem Antrieb auf ihn, den Bundestagsabgeordneten, zu. „Bis jetzt hat noch keiner das Gespräch mit mir gesucht.“ Trotz aller seiner öffentlichen Auftritte und Anerkennung für seine Arbeit.