vorwärts-Debatte

Was der SPD im Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit fehlt

Christoph Butterwegge04. Juli 2016
Ungerechtigkeit in Deutschland
Die Ungleichheit in Deutschland wächst seit Jahren. Will die SPD das Problem ernsthaft bekämpfen, muss sie zunächst ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen, so Christoph Butterwegge.
Im Kampf für soziale Gerechtigkeit hat die SPD ein Glaubwürdigkeitsproblem, meint Christoph Butterwegge. Sein Rezept für die Wiedererlangung ihrer Kernkompetenz: Klare Kante in Reden und Handeln sowie innere Geschlossenheit.

Gerechtigkeit dient Menschen als moralischer Kompass für die Gesellschaftsentwicklung, als normativer Fixpunkt und als Messlatte zur Bestimmung des Ausmaßes sozialer Ungleichheit in einem Land. Je nachdem, welcher Gerechtigkeitsbegriff vorherrscht, lässt sich die Kluft zwischen Arm und Reich politisch legitimieren oder skandalisieren. Mit den Reformen zum „Um-“ bzw. Abbau des Sozialstaates häuften sich daher auch Bemühungen, die Gerechtigkeitsvorstellungen zu verändern und den Leitwert der Solidarität durch die Forderung nach mehr Privatinitiative, Selbstvorsorge und Eigenverantwortung zu ersetzen.

Soziale Gerechtigkeit ist wieder ein Thema

Der Neoliberalismus, ursprünglich eine Wirtschaftstheorie, avancierte spätestens um die Jahrtausendwende zu einer Sozialphilosophie, ja zu einer politischen Zivilreligion, die alle Poren der Gesellschaft durchdrang. Der seinerzeit vorherrschende Gerechtigkeitsbegriff wurde in dreifacher Hinsicht transformiert: von der Bedarfs- zur „Leistungsgerechtigkeit“, von der Verteilungs- zur „Teilhabegerechtigkeit“ und von der sozialen zur „Generationengerechtigkeit“.

Aufgrund der sich zuspitzenden sozialen Ungleichheit erfährt die Debatte über Fragen der sozialen Gerechtigkeit in jüngster Zeit jedoch eine Renaissance. Parteien veranstalten „Gerechtigkeitskongresse“, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften widmen sich demselben Themenkreis. Offenbar machen die als „Rückkehr der sozialen Frage“ bezeichneten Folgen einer kaum mehr übersehbaren Arm-reich-Polarisierung zwischen den wie innerhalb der einzelnen Gesellschaften eine Rückbesinnung auf Solidarität und soziale Gerechtigkeit erforderlich.

Soziale Gerechtigkeit: SPD fehlt die politische Glaubwürdigkeit

Was der SPD seit Gerhard Schröders „Agenda 2010“ und den Hartz-Gesetzen am meisten fehlt, ist Glaubwürdigkeit im Hinblick auf ihre Schlüsselkompetenz, die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Die sozialdemokratischen Grundwerte, die hehre Programmatik und die (Regierungs-)Praxis der Partei gelangen nicht mehr zur Deckung.

Unglaubwürdig erscheint die SPD selbst Wohlmeinenden etwa deshalb, weil ihr Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel am 18. Juni 2016 im Spiegel unter dem Titel „Im Schafspelz“ von „wachsender und verfestigter Ungleichheit“ in der Gesellschaft sprach, aber nur zwei Tage später mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) einen Kompromiss zur Erbschaftsteuerreform für Firmenerben schloss, der dafür sorgen dürfte, dass sich die großen Vermögen hierzulande auch künftig wenigen Unternehmerfamilien konzentrieren. Wer in Regierungsämtern für Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung steht, dem traut kaum jemand mehr zu, dass er die Interessen der sozial Benachteiligten vertritt.

Haltung zur Linken: Meinungspluralismus oder Doppelzüngigkeit?

Widersprüchlich, wenn nicht doppelzüngig wirkte, dass der SPD-Vorsitzende an gleicher Stelle ein „Bündnis der progressiven Kräfte“ anregte und die „Mitte-links-Parteien“ mahnte, „ihren notorischen Missmut, ihre Eitelkeiten und Spaltungen“ zu überwinden, weil „progessive Parteien und Bewegungen“ auch in Deutschland „füreinander bündnisbereit und miteinander regierungsfähig“ sein müssten, während seine Stellvertreterin Hannelore Kraft vier Tage später eine Koalition mit der Partei Die Linke, die sie kurzerhand für „weder regierungswillig noch regierungsfähig“ erklärte, nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai 2017 kategorisch ausschloss.

Wie kann die SPD für mehr Gerechtigkeit sorgen?

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Kommentare

Den Wandel der SPD und dessen innere Logik verstehen

Das wäre eigentlich die Aufgabe sich selbst als links bezeichnender Intellektueller.

Die SPD wandelte sich durch innere und äußere Einflüsse schon seit dem Godesberger Programm weg von einer sozialistisch/sozialdemokratischen Partei hin zu einer Volkspartei.

Man warf also Marx, Bebel und W. Liebknecht über Bord und wandte sich Lassalle zu.

Folgerichtig vertrat und vertritt man in der SPD seit dem Ende der sozialliberalen Koalition mehr und mehr Lassallesche und auch wirtschaftsliberale Positionen.

Das kommt bspw. darin zum Ausdruck, dass man in der SPD die Idee des sogenannten "Trickle Down" auf einem Schild voranträgt mit dem Motto: "Wenn es den Unternehmern gut geht, geht es auch den Arbeitnehmern gut".

Deshalb wird keine jetzige und zukünftige SPD in Regierungsverantwortung einen Ausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern schaffen, der die Unternehmer aus deren Sicht belastet.

Mit moralischen Argumenten darf man da der SPD-Führung gar nicht kommen, sondern ausschließlich mit wirtschaftlich begründbaren und begründeten.

Man muss sich also seitens linker Intellektueller mit politischer Ökonomie anstelle mit Gerechtigkeitsvorstellungen befassen.

Was der SPD im Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit fehlt

Leider muss man Christoph Butterwege zustimmen. Solange die SPD allen Sch..., der von Merkel, Schäuble, de Maiziere oder Dobrindt kommt, zustimmt, verliert sie immer mehr Glaubwürdigkeit. Eine Distanzierung von deren neoliberalen Gesetzesentwürfen in aller Öffentlichkeit und den Mut, auch mal mit der Linken für Passagen aus dem eigenen Wahlprogramm zu stimmen, sei es in der Steuerpolitik, sei es in der Vorratsdatenspeicherung, sei es bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben etc etc. würde ihr irgendwann mal wieder Glaubwürdigkeit, dann auch wieder Wählerstimmen und neue Mitglieder verschaffen. Aber faule Kompromisse wie bei der Erbschaftssteuer oder Zustimmung zu Vorhaben der Union in der Regierung treiben die "Wähler noch mehr ins rechte Lager als bisher!

Wie man Vertrauen zurückgewinnt

Wie im Text beschrieben muss die SPD einfach ihr Wahlprogramm in einer Regierung umsetzen, denn würde Sie das tun dann währe Sie ihr Glaubwürdigkeit's Problem los! Jetzt kann ich mir aber auch denken, dass es in einer Großen Koalition vor allem mit der Union schwer ist dieses Umzusetzen. Dann gibt es für mich 2 Alternativen zum einen muss man sich eben eigene Mehrheiten suchen muss und da zeigen doch Umfragen wo der weg hingeht nämlich zu R2G (Rot/Rot/Grün) und ich verstehe bis heute nicht wie man von vorneherein so eine Koalition ausschließen kann! Gehört es nicht zur Demokratie dazu mit jeder Partei zu Sprechen ? Ich meine das hat mich persönlich 2013 am meisten geärgert da hatte man nämlich die Möglichkeit damals noch mit Gregor Gysi eine besser Möglichkeit dazu als heute mit Sarah Wagenknecht aber damals hat man ja nicht einmal Gespräche angefangen das ist wirklich das traurige. Und wenn man sich die Umfragen in NRW ansieht dann wird Hannelore Kraft mit den Linken wenigstens Reden müssen den sonst verliert die SPD eines ihrer wichtigsten Länder und vllt. sogar damit ihren Vorsitzenden und die Bundestagswahl

Rot/Grün/Gelb ist auch möglich das wird aber keine 100% SPD Politik

Als wenn es so einfach wäre

das Wahlprogramm in einer Regierung umzusetzen. Dazu braucht man/frau eine Mehrheit im Palament, die hat die SPD noch nie gehabt, WIR mussten immer koalieren. Aus heutiger Sicht war die sozial-liberale Koalition ein Glücksfall, der aber durch Lambsdorff beendet wurde. Das man nach dem "Schröder-Desaster" 2x eine Groko mit der CDU unter Merkel "bevorzugte" ist für mich nur mit Lust am Untergang zu begründen. Oder war es, etwas noch schlimmeres? Der Drang an die Fleischtöpfe etwa? Hier eine Buchempfehlung, soweit Interesse besteht dem "weiterso" ein Ende zu bereiten:
Albrecht von Lucke; "Die Schwarze Republik und das Versagen der Deutschen Linken". Gemeint sind alle linken Kräfte der Gesellschaft und nicht nur die LINKE-Partei.
Zur Person des Verfassers ist anzumerken, er ist seit 2003 Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik".

Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen

Politik in Regierungsverantwortung heißt auch Kompromisse zu schließen, gerade in Zeiten von großen Koalitionen. Ob diese immer gut oder schlecht sind, das ist, je nach Betrachtungsweise, sehr unterschiedlich. Ohne die SPD sehe das ein oder andere Gesetz sicher weit konservativer und weit mehr der Wirtschaft statt der Arbeitnehmer zugewand aus. Einen Stillstand aufgrund einer reinen Blockadehaltung kann nicht Sinn und Zweck von Politik in Regierungsverantwortung sein. Kritik zu Entscheidungen üben ist immer leicht und schnell gesagt.
Wenn Hannelore Kraft der Meinung ist, ein Bündnis mit den Linken auszuschließen, dann muss das weder im Bund noch in anderen Bundesländern, noch in kommunalen Gliederungen auch so gesehen werden. Dieser Vergleich ist nicht heranzuziehen, da hier Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Ich finde daran einiges falsch

Natürlich heißt Regieren und Demokratie auch Kompromisse zu schließen nur wenn man vom einem Kompromiss in den nächsten tangelt dann verliert man einfach seine Glaubwürdigkeit und die Leute brauche doch nur die "Die Heute Show", "Die Anstalt", "Report Mainz", "Frontal 21" ansehen und dort wird jedes Gesetz/Vorhaben auseinander genommen Kompromisse sind schön und gut aber in einer Großen Koalition haben Sie überhand genommen vergleich doch mal das Wahlprogramm mit dem was in dieser Koalition beschlossen wurde ich muss da ehrlich mich fragen ob sich diese Große Koalition gelohnt hat. Und noch es geht nicht darum das Hannelore Kraft mit den Linke koalieren muss es geht alleine darum das Sie wenigstens mit ihnen REDET! Den das gehört wie Kompromisse zu einer Demokratie dazu.

Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen

Diese Koalition hat der SPD mehr geschadet als genutzt, dabei hätte es Alternativen gegeben, in denen verschiedene Gesetze (Mindestlohn, Mietpreisbremse, Erbschaftssteuer) sozialer ausgefallen wären oder andere (Vorratsdatenspeicherung, Autobahnprivatisierung) nicht beschlossen worden wären. Die erwähnten Verbesserungen wird Merkel sich anrechnen lassen, und die SPD geht leer aus.

Soziale Gerechtigkeit

Was versteht denn Herr Butterwegge konkret unter Sozialer Gerechtigkeit? Ist sie verwirklicht wenn jedes Kind vom Staat Akademiker-Eltern gestellt bekommt und ein bedingungsloses Grundeinkommen in welcher Höhe? Als Kind mit Eltern ohne Berufsausbildung am untersten Ende der sozialen Skala bin ich meinen Weg zunächst ohne Berufsausbildung auf dem zweiten Bildungsweg bis hin zum Studium gegangen und habe nicht das Gefühl, das es in diesem Lande keine soziale Gerechtigkeit gibt. Wer sich anstrengt wird belohnt, damit ist für mich ein wichtiger Schritt zur sozialen Gerechtigkeit verwirklicht. Auf dieser Seite haben aber Begriffe wie "anstrengen", "fordern" und "Leistung" haben offenbar keinen Platz. Doch alles was verteilt werden soll, muss von irgendjemand verdient werden. Dieses und die, die verdienen was verteilt werden soll, werden in diesem Artikel völlig ausgeblendet. Ebenso die Pflicht jedes Mitbürgers an der Finanzierung des Staates durch Zahlung von Steuern mitzuwirken. So verengt sich die Wählerschaft der SPD immer mehr auf Menschen, die vom Staat eine Rundumsorglos-Versorgung erwarten.

Ich habe mich

mein Leben lang "angestrengt", auch nicht ganz erfolglos. Das war in den "besten Jahren" der Bundesrepublik und zwar relativ unabhängig von politischen Mehrheiten. Antrieb der Politik war höchstwahrscheinlich die "Angst vor dem Russen", die so manche "soziale Wohltat" hervorgrbracht hat. Dies fand mit der Wiedervereinigung ihr relativ aprubtes Ende.
Das Zerrbild, welches die SED-Propaganda vom "kapitalistischen Westen" zeichnete, diente wohl nach der Wende als "Blaupause" für die Sozialpolitik?
Die "Schuld" den SPD-Wähern und ihren vorgeblichen Erwartungen der Rundumsorglos-Versorgung zu zu weisen, ist für
mich glatter "Zynismus".

Theorien Butterwegge

Butterwegge ist nicht der einzige Theoretiker, der unzulässiger Weise die Agenda 2010 mit den sogenannten Hartz-Gesetzen gleich setzt. Und er gehört zu den Dogmatikern, die Kompromisse z.B. in Koalitionsregierungen gnadenlos ablehnen. Ich halte diese Denke allein schon deshalb für arrogant, weil sie jeden schrittweisen Fortschritt bei der Durchsetzung von sozialer Gerechtigkeit unmöglich macht und damit die eigene Ideologie auf dem Rücken der Schwachen in unserer Gesellschaft zur Monstranz erklärt. Dies mag in soziologischen Seminaren wunderbar funktionieren, scheitert aber krachend in der Realität.

Interessant wenn man Sie

Interessant wenn man Sie Googlet sieht man das Sie aus der Schröder Ära stammen das Sie die Hart4 gesetze und die Agenda2010 verteidigen ist ja wohl klar.

Soziale Gerechtigkeit MUSS ein Thema der SPD sein

Ich muss leider Herrn Butterwegge völlig recht geben. Unser ehemaliger Medienkanzler Schröder hat leider die originären Grunderte der SPD geopfert. Dieser Politik ist es zu verdanken, dass wir heute 15% unserer Bevölkerung als "arm" bezeichnen müssen. Das die Vermögen der Reichen exorbitant gestiegen sind und weiter steigen, während die Vermögen der ärmeren 50% deutlich abnehmen. Die Schere geht extrem auseineinder. Kann man sehr leicht bei so extrem linkslastigen Institutionen wie dem Stat. Bundesamt nachlesen.
Die Linke ist aktuell die einzige Partei, die das adressiert und anprangert. Nur leider nimmt man die wegen der "SED-Vergangenheit" nicht ernst. Aber die Thematik ist nun mal da und sollte schleunigst von der SPD wieder aufgenommen werden. Weniger Schröder, dafür mehr Willi Brandt. Und raus aus der Kroko, lieber heute als morgen. Klar, dann ist man kein Minister mehr...aber dafür wieder Sozialdemokrat. Noch was....Umverteilung ist gar nicht mal notwendig. Es reicht schon Steuergerechtigkeit. Google, Facebook, Starbucks und Co zahlen in D keinen Cent Steuern! Ich vermute mal, dass ein normaler Arbeitnehmer bei uns prozentual mehr Steuern zahlt als die Quandts, Flicks und Co

SPD und soziale Gerechtigkeit.

Ich glaube, die SPD hat noch eine Chance, das erfordert allerdings, das die, die mit Schröder den Sozialstaat abbauten, ihre Posten in der SPD aufgeben...

Früher wurden durch

parteiinterne Wahlen solche Probleme "bereingt" wenn der/die Betreffenden nicht von sich aus den Hut genommen haben.
Wo werden denn die Mitglieder ihrer "Verantwortung" gerecht? Oder sind die "aufrechten Sozialdemokraten" alle durch Karrieristen "abgelöst" worden. Dann ist allerdings wirklich Hopfen und Malz verloren