Der Reform-Rückblick

Wie SPD++ einen Grundstein für den Erfolg bei der Bundestagswahl legte

Kai Doering11. Oktober 2021
In die neue Zeit: Der SPD-Parteitag 2019 setzte Beteiligungsmöglichkeiten um, die SPDplusplus zuvor eingebracht hatte.
In die neue Zeit: Der SPD-Parteitag 2019 setzte Beteiligungsmöglichkeiten um, die SPDplusplus zuvor eingebracht hatte.
Ein Grundstein für den Erfolg der SPD bei der Bundestagswahl wurde bereits 2017 gelegt. Damals schlug die Initiative „SPD++“ diverse Reformen der Parteistrukturen vor. Eine der Initiator*innen ist nun selbst im Bundestag.

Nach der Bundestagswahl 2017 sah es düster aus in der SPD. Gerade mal 20,5 Prozent der Stimmen hatten die Sozialdemokrat*innen erzielt. Nun standen alle Zeichen auf Opposition und Neuanfang. Wo aber anfangen? Kurz nach der Wahl trat die Initiative „SPD++“ auf den Plan – Basismitglieder, die die Parteiarbeit umkrempeln wollten. „Gerade junge Mitglieder, die neu zu uns gekommen sind, erleben oft, dass ihre Beteiligungsmöglichkeiten nicht so sind, wie sie sich das wünschen und zu wenig Dynamik zulassen“, kritisierte Unterstützerin Luisa Boos damals im Interview mit dem „vorwärts“.

Neumitglieder gut in die Partei einbinden

„Die Probleme in der SPD waren uns schon vor der Bundestagswahl sehr bewusst“, blickt Henning Tillmann zurück. Der Softwareentwickler rief „SPD++“ damals gemeinsam mit der Start-up-Gründerin Verena Hubertz sowie weiteren Genossinnen und Genossen ins Leben. Schnell fand die Initiative viele junge Unterstützer*innen. „Zusammengefunden haben wir uns schon lange vor der Wahl während des Schulz-Hype“, erzählt Tillmann. Es sei in erster Linie darum gegangen, die vielen Neumitglieder gut in die Parteistrukturen einzubinden.

Nach der Wahlniederlage bekamen die Vorschläge, die SPD++ bereits erarbeitet hatte, für die Partei einen besonderen Wert. Neben einer Jugendquote – die Führungsgremien der Partei sollten zu mindestens einem Viertel mit Mitgliedern unter 35 Jahren besetzt werden – schlug die Initiative auch ein Rotationsverfahren bei Ämtern und Listenplätzen vor. Zudem sollten onlinebasierte Themenforen eingerichtet und die Partei sollte weiblicher werden. „Uns war klar: Die SPD hat ein strukturelles Problem und das wollten wir ändern“, erzählt Henning Tillmann. „Uns war vor allem das Ziel der strukturellen Erneuerung wichtig und wir haben lediglich beispielhafte Wege skizziert, wie man diese erreichen kann“, ergänzt Tillmann.

Die größte Strukturreform seit Jahrzehnten

Auf dem Parteitag nach der verlorenen Wahl sorgten die Vorschläge für Furore. Zahlreiche Parteigliederungen brachten die Musteranträge, die SPD++ erarbeitet hatte, ein. Ende 2018 setzte der Parteivorstand eine „Organisationspolitische Kommission“ ein, die die Parteistrukturen auf den Prüfstand stellte, sie modernisierte – oder abschaffte. Hubertz und Tillmann waren mit dabei. Auf dem Bundesparteitag im Dezember 2019 wählte die SPD nicht nur eine neue Führung, sondern beschloss auch die größte Strukturreform seit Jahrzehnten: Online-Themenforen wurden eingerichtet, ebenso ein Mitgliederbeirat, den die beiden in der Kommission vorgeschlagen haben.

„Vor allem aber hat seit 2017 ein Kulturwandel stattgefunden“, sagt Henning Tillmann. So sei die Parteibasis deutlich besser eingebunden worden – als Beispiel nennt er die Vorstellungsrunden vor der Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz – und auch in puncto Verjüngung habe es große Fortschritte gegeben. All das, ist Tillmann sicher, habe auch zur Geschlossenheit der Partei beigetragen, die letztlich zu einem Grundstein des Erfolgs bei der Bundestagswahl in diesem Jahr geworden sei.

Einfluss auf Wahlprogramm

„Wir haben einen Anschub gegeben“, sagt Henning Tillmann, wenn man ihn nach dem Anteil von SPD++ am Wahlerfolg fragt. „Danach ist ein Baustein zum anderen gekommen.“ Klar ist: Vieles von dem, was die Initiative vor vier Jahren vorgeschlagen hat, wurde umgesetzt und spielte rund um die Bundestagswahl eine Rolle. Der Mitgliederbeirat konnte Einfluss auf die Entstehung des Wahlprogramms nehmen. Vielen jungen Kandidat*innen wurde eine Chance gegeben. 48 der 206 Bundestagsabgeordneten sind jünger als 35 Jahre.

„SPD++ hat auf jeden Fall mittelbar dazu beigetragen, dass wir in der Partei Dinge anders machen“, zieht Verena Hubertz eine Zwischenbilanz. Sie selbst ist eine der 48 Abgeordneten unter 35. „Meine Kandidatur verlief in genau so einem Bewerbungsprozess wie wir ihn uns als beteiligungsoffenen Weg vorstellen“, berichtet sie. Ob SPD++ den Ausschlag gegeben hat, sich selbst um ein Bundestagsmandat zu bewerben, kann Hubertz nicht direkt sagen. „Definitiv hat es aber in mir den Drang verstärkt, Dinge anzupacken und etwas bewegen zu wollen.“

Die SPD ist noch nicht am Ziel

Doch trotz des Erfolgs bei der Bundestagswahl sehen Hubertz und Tillmann die SPD noch nicht angekommen. „Die SPD ist zwar in den letzten vier Jahren jünger und vielfältiger geworden, aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen“, warnt Henning Tillmann. Gerade in der Corona-Zeit habe sich gezeigt, wie verkrustet die Parteiarbeit vielerorts noch sei. „So wichtig das Ortsvereinsleben ist: Die SPD sollte ihre Lebenswirklichkeit nicht daran festmachen, dass die Mitglieder jeden Monat zur OV-Sitzung gehen.“ Digitale Formate und die Parteiarbeit unabhängig vom Wohnort müssten noch viel stärker etabliert werden.

Gewisse Hoffnungen setzt Henning Tillmann dabei auch in die mögliche neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. „Gerade im Digitalen könnte die Ampel gute Akzente setzen“, ist er überzeugt. Den Weg der SPD will er weiter begleiten, wenn auch nicht so spektakulär wie vor vier Jahren. Zumal es SPD++ offiziell gar nicht mehr gebe. „Aber wenn es Bedarf gibt, sind wir gerne da.“

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