vorwärts-Debatte

SPD muss erkennen: Putin will Revision der Grenzen in Europa

Heinrich August Winkler13. Dezember 2016
Dialog bei der UN in New York: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (r.) und Russland Außenminister Sergej Lawrow
Dialog bei der UN in New York: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (r.) und Russland Außenminister Sergej Lawrow
Die SPD sollte sich in der Russland-Politik in Realismus statt in Wunschdenken üben. So verständlich der Wunsch nach einer neuen Ostpolitik sein mag, gilt es zu erkennen: Leonid Breschnew wollte in der 1970er Jahren die Grenzen in Europa vertraglich sichern, Wladimir Putin will deren Revision – auch mit Gewalt.

Geschichte sollte man zu erklären versuchen. Verklären sollte man sie nicht. Das gilt auch für die inzwischen legendenumwobene sozialdemokratische Ostpolitik, die unlösbar mit den Namen von Willy Brandt und Egon Bahr verbunden ist. Das vorrangige Anliegen der beiden war es, angesichts der Spaltung Deutschlands in zwei Staaten so viel an nationalem Zusammenhalt wie möglich zu erhalten. Dieses Ziel erforderte es, der bislang offiziell geleugneten Existenz des demokratisch nicht legitimierten zweiten deutschen Staates, der DDR, trotz bleibender völkerrechtlicher Vorbehalte von bundesrepublikanischer und westlicher Seite Rechnung zu tragen und das Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Paktes, vor allem zur Sowjetunion und zu Polen, auf eine neue, vertraglich gesicherte, kooperative Grundlage zu stellen. Ebendies geschah durch den Moskauer und den Warschauer Vertrag von 1970, das Viermächteabkommen über Berlin  von 1971, den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag von 1973 und den Vertrag mit der Tschechoslowakei aus dem gleichen Jahr.

Moskau wollte in den 70ern status quo erhalten

Blickt man auf dieses Kapitel der sozialdemokratischen, besser: sozialliberalen Ostpolitik, so war sie ein voller Erfolg. Das Prinzip „Wandel durch Annäherung“, das Egon Bahr im Juli 1973 im Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing verkündete, bewährte sich im geteilten Berlin und im geteilten Deutschland. Es konnte sich bewähren, weil der entscheidende Partner, die Sowjetunion, nach dem Sturz Chruschtschows im Jahr 1964 zu einer Macht geworden war, der es in Europa nicht mehr um revolutionäre Veränderung, sondern um die Wahrung des Status quo, also um die Erhaltung des 1945 geschaffenen Herrschaftsbereiches ging. Um dieses übergeordneten Interesses willen war Moskau sogar bereit, in der Helsinki-Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom Sommer 1975 dem westlichen Drängen auf Anerkennung bestimmter Menschenrechte zumindest auf dem Papier entgegenzukommen.

Auf dieses Dokument konnten sich fortan Bürgerrechtsgruppen des damaligen Ostblocks, auch in der Sowjetunion selbst, berufen. Auf diese „Kinder“ ihrer Ostpolitik hätte die deutsche Sozialdemokratie stolz sein können. Doch sie war es nicht. Sie empfand die Bürgerrechtler alles in allem eher als Störfaktoren, die das erreichte Maß an deutsch-deutscher und europäischer Entspannung gefährdeten. Das bekam besonders die einzige Massenbewegung unter den Bürgerrechtsgruppen, die im August 1980 gegründete unabhängige Gewerkschaft „Solidarność“ in Polen, zu spüren.

Zweite Phase der Ostpolitik problematisch

Als im Herbst 1981 zwei Interviewpartner Egon Bahr fragten, ob die Sowjetunion, wenn Polen die Mitgliedschaft im Warschauer Pakt in Frage stellen sollte, eine solche Entwicklung im Interesse der Stabilität abschneiden dürfe, antwortete er: „Aber selbstverständlich“ (Egon Bahr, Was wird aus den Deutschen? Fragen und Antworten, Reinbek 1982, S. 22 f.). Die „innerpolnische“ Lösung des Solidarność-Problems, die Verhängung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski, den Chef des Militärrats zur Nationalen Rettung, am 13. Dezember 1981 galt bei den führenden Sozialdemokraten, von Herbert Wehner über Willy Brandt bis hin zu Helmut Schmidt, nicht nur als das, was sie tatsächlich war, nämlich das, verglichen mit einer sowjetischen Intervention, kleinere Übel, sondern als schlicht unvermeidbar.

In der sogenannten „zweiten Phase der Ostpolitik“, von der in der SPD im Zeichen der Annäherung an die außerparlamentarische Friedensbewegung seit 1980 gesprochen wurde, die aber so richtig erst nach dem Machtverlust vom Oktober 1982 begann, setzte die westdeutsche Sozialdemokratie ausschließlich auf die Vernunft der Partei- und Staatsführungen des Ostblocks, mit denen sie aus der Opposition heraus, also in einer Art Nebenaußenpolitik, ein Netz von „Sicherheitspartnerschaften“ zu flechten versuchte. Für radikale Regimekritik von Dissidenten gab es in der SPD der achtziger Jahre nur wenig Verständnis. Ein von „unten“ erzwungener grundlegender Systemwandel galt als schlechthin undenkbar.

Putin achtet territoriale Integrität in Europa nicht

Die Geringschätzung, die führende Sozialdemokraten gegenüber den Bürgerrechtsgruppen der kommunistischen Staaten an den Tag legten, ist bis heute ein weithin verdrängtes Kapitel der neueren Parteigeschichte. Wenn die SPD in den östlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union so gut wie keine echten Partnerparteien findet, hat das auch mit den falschen Weichenstellungen in der zweiten Phase der Ostpolitik zu tun. Die verbreitete Neigung zur undifferenzierten Verklärung „der“ Ostpolitik lebt geradezu von der Ausblendung der achtziger Jahre. „Die Ostpolitik“ ist in Gefahr, losgelöst von ihren historischen Bezügen gesehen zu werden, sich in einen Mythos und zugleich in ein nicht mehr kritisch hinterfragtes Leitbild für die Gegenwart zu verwandeln.

Das, was man aus der ersten Phase der Ostpolitik lernen könnte, wird auf diese Weise aber gerade verfehlt. Damals, in den sechziger und siebziger Jahren, ging es darum, einer unliebsamen Wirklichkeit  nicht länger mit Formeln zu begegnen, die ein Ausdruck von Wunschdenken waren, sondern ihr nüchtern ins Auge zu blicken. Anders als die Sowjetunion in der Ära Breschnew ist das Russland Putins keine Macht, der es um Besitzstandswahrung, sondern um die Revision des Status quo, um Expansion geht. Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem hybriden Krieg in der Ostukraine hat Putin faktisch die Unterschrift Gorbatschows unter die Charta von Paris vom November 1990 zurückgezogen – jenes Dokument, in dem sich alle 34 Unterzeichnerstaaten verpflichteten, ihre nationale Souveränität und territoriale Integrität zu achten, Konflikte friedlich beizulegen und überdies die Demokratie, ihre gemeinsame politische Ordnung, zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Abschreckung und Verständigung sind nötig

Es versteht sich von selbst, dass Deutschland wie alle westlichen Demokratien auch mit einem Russland im Gespräch bleiben und die Kooperation suchen muss, das dem Traum der Epochenwende von 1989/90, der Schaffung eines demokratisch verfassten, trikontinentalen Friedensraumes von Vancouver bis Wladiwostok, eine Absage erteilt. Von Wunschdenken aber sollten wir uns freihalten. Für den Bundeskanzler Willy Brandt hatte es nie einen Zweifel daran gegeben, dass seine Ostverträge des festen Sockels der Westverträge bedurften, dass es ohne den Rückhalt des Atlantischen Bündnisses keinen deutschen Beitrag zur westlichen Entspannungspolitik geben konnte, dass die Fähigkeit zur Abschreckung und die Bereitschaft zur Verständigung die zwei Seiten ein- und derselben Medaille waren. Für die Aktualität dieser Erkenntnis sorgt niemand so nachdrücklich wie Wladimir Putin.

Für Deutschlands ostmitteleuropäische Nachbarn ist ihre Zugehörigkeit zur EU und zur NATO ein Ausdruck ihres Rechts auf Selbstbestimmung und Sicherheit. Das eigentliche Ziel der friedlichen Revolutionen von 1989, deren Vorgeschichte 1980 mit der Gründung von „Solidarność“ auf der Leninwerft in Danzig begann, war die Überwindung der Ordnung von Jalta, das heißt der Spaltung Europas und des alten Okzidents in einen freien und einen unfreien Teil, im Februar 1945. Deutschland würde Europa und den Westen spalten, würde es der Illusion verfallen, es könne eine Politik der Äquidistanz zwischen Russland und dem Westen betreiben oder zwischen beiden als Vermittler auftreten. Deutschland ist ein Teil des demokratischen Westens und schuldet den Ländern eine besondere Solidarität, die 1939 Opfer einer deutsch-sowjetischen Doppelaggression, der unmittelbaren Konsequenz des Hitler-Stalin-Pakts, wurden.

Keine Sonderbeziehungen Berlin - Moskau

Deshalb gilt es, alles zu vermeiden, was auch nur entfernt an die Tradition deutsch-russischer Sonderbeziehungen erinnern könnte – eine Tradition, die für Polen nicht erst mit dem August 1939, sondern mit den Teilungen des Landes im späten 18. Jahrhundert beginnt. Dass die AfD sich über diese Lehre der deutschen Geschichte hinwegsetzen zu können glaubt, macht deutlich, in welchen historischen Zusammenhängen diese Partei steht: Sie hat das Erbe einer ausgeprägt konservativen Russophilie angetreten. Die Partei Die Linke, die sich kaum weniger putinfreundlich und antiamerikanisch äußert als die AfD, sieht in Russland offenbar immer noch das Mutterland der angeblich großen proletarischen Oktoberrevolution von 1917 und stößt sich nicht daran, das der Schutzpatron aller nationalistischen, rechtspopulistischen, ja neofaschistischen Parteien Europas heute im Kreml sitzt. Wenn die CSU auf ein besonders freundliches Verhältnis zu Putin Wert legt, sind hingegen wirtschaftliche Interessen ein entscheidender Grund.

Die deutschen Sozialdemokraten waren in ihrer Frühzeit in der Tradition von Marx und Engels die schärfsten Kritiker des russischen Autoritarismus. Innerhalb des demokratischen Flügels der europäischen Arbeiterbewegung gab es nach 1917 keinen entschiedeneren Gegner der kommunistischen Form von Diktatur als die SPD. Wenn sich aus der Geschichte der beiden Phasen sozialdemokratischer Ostpolitik nach 1969 etwas für die Gegenwart ableiten lässt, dann ist es die Pflicht zum Realismus und zur Verteidigung der eigenen Grundprinzipien. So stolz die SPD auf die Leistungen der ersten Phase der Ostpolitik sein kann, so unabdingbar ist ein selbstkritischer Umgang mit den Irrtümern der zweiten Phase. Er dürfte den Sozialdemokraten auch dabei helfen, überzeugende Antworten auf die Herausforderung zu finden, vor die Europa durch das Russland Putins gestellt ist.

Brauchen wir eine neue Politik gegenüber Russland?

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Kommentare

Geschichte und Interessen der Staaten betrachten.

Leider bringt H.A. Winkler kein einziges Argument dafür, dass es in Russlands Interesse wäre, seine Grenzen zu Europa zu verändern, um genau was wiederherzustellen?

H.A. Winkler täte anstelle einer Generalabrechnung mit allen ihm missliebigen Positionen, Personen und Parteien besser daran, sich mit der Neuordnung Europas nach der Auflösung des Warschauer Pakts zu beschäftigen.

Dazu muss man in die Historie der Staaten zurückgehen, eben auch in die Russlands vor der Gründung der UdSSR sowie auch mit der Politik während der Zeit der UdSSR und des Warschauer Pakts.

Leicht erkennbar ist dann, dass es ausser Russland noch andere Staaten gab und gibt, die ihre Grenzen in Europa in ihrem Sinne neuordnen wollten und wollen.

"Den Westen" gibt es so nicht. Die USA hat schon unter Obama ihren Rückzug erklärt, wodurch die EU-Staaten und andere Staaten Europas mehr auf sich selbst gestellt sind. Und das Vereinigte Königkreich tritt aus der EU aus.

Wichtiger wäre gegenwärtig, darauf zu gucken, wie die Türkei ihre Grenzen gegenüber Europa erweitern will, man höre den offen ausgesprochenen Ansprüchen des türkischen Staatspräsidenten zu.

Da drohen Europa tatsächliche Gefahren.

Nachrichten nicht gelesen?

"Leider bringt H.A. Winkler kein einziges Argument dafür, dass es in Russlands Interesse wäre, seine Grenzen zu Europa zu verändern, um genau was wiederherzustellen?"

Warum sollte der Autor ein Argument für russiche Grenzverschiebungs-Allüren bringen müssen? Erstens verschiebt Russland bereits seit vielen Jahren Grenzen von Transnistrien über die Ostukraine mit der Krim bis nach Abchasien und Südossetien – in Südossetien sogar wöchentlich Meter für Meter. Und zweitens kann erst die Zukunft zeigen ob das in Russlands Interesse ist bzw. war. Derzeit ist es nur im Interesse der manchesterkapitalistischen russischen Oligarchie, weil es so schön die Massen ablenkt vom Revoltieren.

Beitrag Winkler im Vorwärts Nr. 12/2016

Dem Beitrag von Winkler ist uneingeschränkt zu zustimmen. Die von vielen in der SPD als angebliche Alternative formulierte Anknüpfung an die Ostpolitik Brandts will nicht wahrhaben, dass diese eben von einer festen Verankerung im Westen ausging bzw. nur ausgehen konnte. Heute ist ein nüchterner und emotionsfreier Blick auf die "übliche" Großmachtpolitik Putin erforderlich. Ein Aufgreifen der Idee eines gemeinsamen Europäischen Hauses mit Russland müsste die banale Frage beantworten, wer die "Hausordnung" bestimmt und die Rolle des "Hausmeister" einnimmt.Ergänzend zu innenpolitischen Strömungen in Deutschland fällt auf, dass die Linke hier offensichtlich mit Vorstellungen der Rechten der AfD übereinstimmt und einer - manchmal romantisch anmutenden - Nähe zu Russland das Wort spricht. Man denke nur an die Kooperation zwischen den rechten deutschen Militärs und Russland in der Weiimarer Republik. Hier kann man sich aus sozialdemkokratischer Sicht nur fernhalten und eine gesprächsbereite, aber feste Haltung einnehmen. Europa wird sich wohl oder übel in nicht allzu weiter Ferne mit dem Gedanken einer - eventuell auf ein Kerneuropa bezogenen - gemeinsamen Armee beschäftigen müssen.

Winkler ist der arroganteste

Winkler ist der arroganteste und nervigste Hostoriker überhaupt, der scheinbar bestimmte Personen nachträglich verarbeiten will! Sein Hass auf selsbstbestimmte europ. Bürger, diesich nicht den USA unterwerfen , ist mehr als peinlich! 8 von 10 dt. Soldaten starben an der Osfront, werter Historiker!

Bitte sachlich bleiben!

Werter Heinzelmann,

bitte bleiben Sie sachlich! Was hat „8 von 10 dt. Soldaten starben an der Osfront“ mit dem Inhalt der Beitrags von Herrn Winkler zu tun? Wir können den Zusammmenhang beim besten Willen nicht erkennen und bitten in Zukunft auf Wertungen wie „arrogant“ und „nervig“ zu verzichten. Auf unserer Seite soll über die Sache diskutiert werden, nicht mehr aber auch nicht weniger!

Viele Grüße,

das vorwärts-Team

meldung

Ja, soll sachlich bleiben. Deutsche, Italiener usw. werden nicht für Litauen sterben wollen, da kann der Seitenfüller reden und reden!

w

Du hast recht!

Ziel der Ostpolitik war Beendigung des Wettrüstens

Das wichtigste Ziel der Ostpolitik war ein Ende des Wettrüstens. Dafür erhielt Willy Brandt 1971 den Friedensnobelpreis.

Katharina II. deklarierte die ehemals osmanische Krim 1783 als "von nun an und für alle Zeiten" russisch. Das heutige Russland stützt seine Macht auf neue Bündnisse (BRICS, SOZ). EU und NATO sind mit inneren Konflikten beschäftigt. NATO-Mitglied Türkei entwickelt sich zum islamischen Staat und stellt den Vertrag von Lausanne in Frage. Jeder Konflikt zwischen Westeuropa und Russland stärkt den Islamismus und destabilisiert Deutschland und Europa.

Die SPD sollte sich wieder auf das Ziel der Rüstungskontrolle orientieren. Hans-Josef Fell veröffentlicht auf seiner Webseite einen Artikel zur aktuellen Nuklearforschung in Deutschland. Es ist bemerkenswert, dass die Autoren anonym bleiben wollen. Die Entwicklung der 4. Generation von Kernkraftwerken könnte zur unkontrollierten Verbreitung von waffenfähigem Uran-233 führen. Auch vor den Vereinten Nationen steht Deutschland nicht gut da. Die Bundesregierung verweigerte wiederholt der Resolution zur Ächtung von Uranwaffen die Zustimmung. Diese Resolution wird aktuell von 151 Mitgliedstaaten gefordert.

Winkler

Brauchen wir eine neue Ostpolitik gegenüber Russland ?

Professor Winkler beschreibt in einem weitschweifenden Rückblick die SPD-Ostpolitik in der Zeit des kalten Krieges und vergisst dabei gravierende Entwicklungen in den folgenden Jahren.
Wer eine Expansionspolitik betreibt kann nicht seit dem Zeitpunkt der Vereinnahmung der Krim im Jahr 2014 beurteilt werden sondern muss auch von dem Geschehen seit 1989 aus gesehen werden.
Der USA-Außenminister Baker sagte am 19.2. 1990 im Kreml: „Die NATO werde um keinen Inch weiter nach Osten rücken.“
Trotz einer zehnfachen militärischen Übermacht des Bündnisses wurde gar nicht der Versuch einer neuen Weltfriedensordnung bzw. der Lösung der Probleme der osteuropäischen Staaten und der ehemaligen UdSSR-Nationen unternommen. Beginnend mit dem Vorhaben eines Raketenabwehrsystems (gegen iranische Raketen !) in Polen und folgendem weiteren Hierarchiestreben wird versucht, Russland wieder einen Rüstungswettlauf aufzuzwingen, um eine Schwächung des Landes zu erreichen.

Westbindung und Ostpolitik

Winklers Beitrag erinnert zu Recht 1. an den Zusammenhang von Westbindung und Ostpolitik bei Willy Brandt und 2. an die ambivalente bis ablehnende Haltung gegenüber Freiheitsbewegungen im Mainstream der SPD in den 1980er Jahren. Mit dieser Einsicht muss sich die heutige SPD(-Linke) selbstkritisch auseinandersetzen. Ich möchte drittens hinzufügen die historische Kontinuität von den nationalistischen Expansionsbestrebungen des zaristischen Russland über den leninistisch-kommunistischen Imperialismus der Sowjetunion zum heute wieder nationalistisch-orthodoxen Russland unter Putin. Manche in der "Linken" wollen anscheinend gemeinsam mit der populistischen Rechten in Europa an dieses nationalistische Russland andocken, andere - auch in der SPD - suchen das Heil in einer Art Äquidistanz zwischen Russland und dem Westen. Ob denen bewusst ist, dass sie damit auch eine Wiederbelebung das völkischen Nationalismus befördern, der seinerzeit den Weg zum Nationalsozialismus geebnet hat? Der "lange Weg nach Westen", den Heinrich August Winkler so kenntnisreich beschrieben hat, darf nicht umgekehrt werden!

Winkler

Brauchen wir eine neue Ostpolitik gegenüber Russland ?

Professor Winkler beschreibt in einem weitschweifenden Rückblick die SPD-Ostpolitik in der Zeit des kalten Krieges und vergisst dabei gravierende Entwicklungen in den folgenden Jahren.
Wer eine Expansionspolitik betreibt, das kann nicht seit dem Zeitpunkt der Vereinnahmung der Krim im Jahr 2014 beurteilt werden sondern muss auch von dem Geschehen seit 1989 aus gesehen werden.
Der USA-Außenminister Baker sagte am 19.2. 1990 im Kreml: „Die NATO werde um keinen Inch weiter nach Osten rücken.“
Trotz einer zehnfachen militärischen Übermacht des Bündnisses wurde gar nicht der Versuch einer neuen Weltfriedensordnung bzw. der Lösung der Probleme der osteuropäischen Staaten und der ehemaligen UdSSR-Nationen unternommen. Beginnend mit dem Vorhaben eines Raketenabwehrsystems (gegen iranische Raketen !) in Polen und folgendem weiteren Hierarchiestreben wird versucht, Russland wieder einen Rüstungswettlauf aufzuzwingen, um eine Schwächung dieses Landes zu erreichen.
Karl-Heinz Hoffmann