Serie Solidarität

Die SPD muss dem Egoismus den Kampf ansagen

Erik Flügge28. Oktober 2020
Der Egoismus greift in Deutschland immer mehr um sich. Die SPD muss ihm den Kampf ansagen, meint Politikberater und Autor Erik Flügge.
Der Egoismus greift in Deutschland immer mehr um sich. Die SPD muss ihm den Kampf ansagen, meint Politikberater und Autor Erik Flügge.
Kaum jemand mag Egoisten. Und doch ist egoistisches Handeln in Deutschland weit verbreitet. Die SPD sollte dem Egoismus den Kampf ansagen – und damit auch in den den Wahlkampf ziehen.

Der Egoismus grassiert in unserem Land. Überall kann man ihn im Alltag spüren. Der Gedanke, dass man selbst nur gewinnen kann, wenn man die anderen beiseite­stößt, hat überhandgenommen. Man muss nur einen Saal voller ­Leute fragen, welcher Egoismus sie im ­Alltag stört und schon sprudelt es aus ihnen ­heraus. Ganz Deutschland hat die Schnauze voll von Falschparkern, Dränglern und Steuerhinterziehern. Es herrscht Überdruss über die Ich-Gesellschaft.

Doch noch immer fehlt eine politische Kraft, die in aller Deutlichkeit ausspricht, wonach sich Millionen Wählerinnen und Wähler sehnen: „Wir treten dem Egoismus entgegen!“ 90,7 Prozent der Deutschen sagen, der Egoismus zähle heute mehr als der Zusammenhalt. So deutlich steht es in der Vertrauensstudie der Friedrich-­Ebert-Stiftung. Ein Ergebnis, das die gesamte Politik aufhorchen lassen sollte.

Die SPD sollte den Egoismus klar als Gegner benennen

Der Egoismus ist ein Gegner, der wie gemacht ist für die SPD und dennoch schreckt sie davor zurück, ihn in aller Deutlichkeit als Gegner zu benennen. Nirgendwo hört man in den Talkshows und in den Bundestagsreden den Satz: „Unsere Politik geht gegen Egoismus vor.“

Der Grund dafür ist, dass wir uns selbst eingeredet haben, Politik dürfe nur positive Botschaften senden. Wir meinen zu wissen, dass Gegnerschaft zu gar nichts führt. Wahr ist das nicht. Jede überzeugende Politik braucht ihren Gegner. Denn nur, wenn man benennen kann, welches Problem man lösen will, ergeben auch die gewählten Maßnahmen einen Sinn. Was sind schon all die Fördergelder, Sozialleistungen und ­Programme wert, wenn nicht erkennbar wird, warum es sie überhaupt braucht.

Gegnerschaft weckt Leidenschaft

Wie wirksam das Mittel einer Gegnerschaft ist, konnte man in diesem Jahr zur Genüge miterleben. Wo die Bundespolitik eben noch müde wirkte, da entfaltete sie im Angesicht der Corona-Krise plötzlich all ihre Kraft. Angela Merkel hielt ihre erste große Ansprache ans Volk. Olaf Scholz holte sprachlich die wirtschaftspolitische Bazooka heraus und zum ersten Mal seit Jahren stiegen wieder die Zustimmungswerte für die große ­Koalition.

Gleiches auch beim Fall Tönnies. Donnernd redete der Arbeitsminister Hubertus Heil im Bundestag über die Missstände der Fleischereibranche und ging gesetzlich gegen sie vor. Die SPD fühlte sich so lebendig an wie lange nicht mehr. Die Gegnerschaft gegen ­einen Missstand setzt große Leidenschaft frei.

Auch die letzten drei großen Wahlsiege der SPD im Bund basierten auf einer klaren Gegnerschaft: 1998 trat die SPD gegen das ewige „Weiter so“ des ­Helmut Kohl und die daraus folgende ökonomische Krise an. 2002 ­mobilisierte Gerhard Schröder die Massen gegen den Irakkrieg und auch 2005 begann die fulminante Aufholjagd der SPD mit dem Widerstand gegen Merkels Schattenminister Paul Kirchhoff – den Professor aus Heidelberg – und seine Flat Tax.

Gegen den Egoismus in den Wahlkampf

Ein lautes „Nein!“ ist der Anfang jeder überzeugenden Politik. Das heißt nicht, dass man dauerhaft bei der Verneinung stehenbleiben muss. Man muss nicht pausenlos schlechte Stimmung verbreiten, um in der Politik erfolgreich zu sein. Aber man muss beständig wiederholen, warum die eigene Politik gebraucht wird, welches Problem sie löst.

„Wir treten dem Egoismus entgegen!“ könnte unsere Botschaft in jeder Stadt, in jedem Land und im Bund sein. Denn es stimmt, die Politik der SPD zielt ­darauf ab, die Kooperation zu fördern. Sie zielt darauf ab, dass nicht nur Einzelne sich bevorteilen können. Sie will starke Institutionen für alle, statt Vorteile für nur einen kleinen Teil. Damit diese Politik der SPD aber ihre Kraft entfalten kann, müssen wir erst den Gegner beschwören: den Egoismus.

Er gehört in jeden Satzanfang. Er gehört in jeden Talkshow-Auftritt, in jedes Interview und in jede Rede. Eine konsequente Problembeschreibung als Fundament, auf dem wir unsere Maßnahmen begründen, damit der innere Zusammenhang all der vielen Dinge, die die SPD erreicht, erkennbar wird.

Nur, wenn Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten benennen können, welches reale Problem unserer Gesellschaft sie lösen wollen – nur, wenn sie sagen können, welchen Gegner sie besiegen wollen, wird man sie wählen. Andernfalls gibt man die eigene Stimme einer Partei, die weiß, wogegen sie ist.

Live-Diskussion auf Facebook

Veranstaltung Egoismus

Ist Egoismus Sprengsatz oder Motor einer Gesellschaft? Und was kann die SPD ihm entgegensetzen? Darüber diskutiert Buchautor Erik Flügge mit dem SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans am 28. Oktober ab 13 Uhr live auf Facebook.

Das Buch: Erik Flügge: Egoismus. Wie wir dem Zwang entkommen, anderen zu schaden, Verlag J.H.W. Nachf. 2020, 10 Euro, ISBN 978-3-8012-0577-5
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Kommentare

Moralismus

Nun hat man uns im Zuge des Neoliberalismus permanent gepredigt nur an uns selbst zudenken und "unseres eigenen Glückes Schmied zu sein" und dann kommt so ein Artikel. Bin ich jetzt bei den Grünen oder den scheinheiligen Kirchenfürsten ala Tebartz von-Elz ? Nun hat man jahrzehntelang den Egoismus gefördert und mit dem "tricle-Down" gewunken und die ganzen gesellschaftlichen Strukturen darauf ausgerichtet, und nun soll der/die neoliberale Einzelne das richten ? Eine grundlegende Abkehr von der neoliberalen Ideologie erscheint mir angesagt, und da soll die Politelite mal Vorbild sein (denen man ja immer unterstellt nur an ihre Postpolitische Verwendung zu denken). Sicherung der grundlegenden Lebensbedingungen aller ist angesagt statt Hartz IV, und dazu gehört auch eine gerechte Steuerpolitik. Die Ideologie der "Selbstoptimierung" wird immer noch gepredigt (am widerlichsten von dieser Heidi Klump).

Kampf gegen den Egoismus

Der Kampf gegen den (persönlichen) Egoismus ist zweifelsfrei wichtig und richtig! E N T S C H E I D E N T ist aber der Kampf für die Überwindung des Kapitalismus/Neoliberalismus. Davon lese ich in Ihrem Beitrag nichts Herr Flügge - gar nichts! Sie stellen weder die Systemfrage noch erörtern Sie diese. Dies wäre aber das Mindeste bei der Behandlung des Themas Egoismus. Egoismus kann nicht nur als Privatverhalten abgetan werden.
Es ist schon tolldreist, wenn Sie z.B. Ex-Kanzler Schröder mit einer gewissen Berechtigung für seine Haltung zum Irakkrieg 2002 loben, seine politische und gesellschaftspolitische Rolle im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Lafontaine 1999 und seine Agenda 2010/Hartz-IV-Politik aber mit keinem Komma erwähnen. Gerade die Agenda 2010/Hartz-IV-Politik ist strukturell bis heute das Sinnbild von staatlichem/politischem Egoismus und fehlender Solidarität gegenüber den Schwächsten! Dass es bei den Schwächsten auch schwarze Schafe gibt, steht außer Zweifel. Aber ich stelle entscheidend ab auf die bewusste und gewollte Struktur der fehlenden Solidarität gegenüber den Schwächsten. Kann Ihnen das alles als Politikberater und Beteiligungsexperte entgangen sein?

da widerspreche ich

grundsätzlich. H4 ist ein wesentlicher Faktor für Migration, gerade aus Bulgarien und Rumänien, erlaubt es doch, zusammen mit den vielen anderen begleitenden Leistungen ein ´Leben- wie es im Herkunftsland nur mit Vollzeitbeschäftigung annähernd erreichbar ist. Wäre H4 so schlimm, wie immer wieder von Ihnen behauptet, erklärt sich diese Einwanderung in unser Sozialleistungssystem nicht.

Sie haben keine Ahnung von Hartz 4 Herr Freitag

das hier ist Hartz 4 :

https://dejure.org/gesetze/SGB_II/31.html

und das hier:

https://dejure.org/gesetze/SGB_II/31a.html

Und dafür lässt sich ganz sicher kein Rumäne von der Ofenbank locken.
Die kommen nicht wegen Hartz 4 hier her sondern weil ihnen ein guter Lohn in Aussicht gestellt wird !
In der Regel landen sie dann allerdings bei Schnitzel-Tönnis oder beim Bauern im Wohn-Clo.

Was den Egoismus anbetrifft,

Was den Egoismus anbetrifft, müssen die politischen Parteien erst mal in ihren eigenen Reihen schauen. Berufspolitiker, die das Rentenalter schon längst erreicht haben und über Jahrzehnte die Plenarsäle füllen, gehören auch in den Ruhestand versetzt. Zudem wäre zu diskutieren, ob ein Mandat nicht auf max. 2 Legislaturperioden zu beschränken ist. Das würde zumindest frischen Wind in die Debatten bringen und den Langzeit-Dampfplauderern mal in die Schranken weisen.

National vorangehen !!!

Bisher lässt sich an den Taten unserer SPD-GenossInnen in Regierungsverantwortung kaum ablesen dass sie den Egoisten den Kampf ansagt. Dafür gibt es zuviele warme Worte und zu wenig konsistentes Handeln!
Die Groko-Ausrede mit dem Blockade-Vorwurf an den Koalitionspartner kann hier längst nicht mehr als Ausrede dienen, genauso wenig wie der unablässige Verweis auf das Bestreben einer europäischen Lösung.
Glaubwürdig kann nur sein, wer national in Vorleistung geht und die "Egoisten", also die leistungslos bzw. ungerechtfertigt Überprivilegierten in die Pflicht nimmt !

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