
Zunächst die gute Nachricht: In den vergangenen fünf Jahren ist die Europäische Union ihrer internationalen Vorreiterrolle durchaus gerecht geworden und hat trotz der Nationalisierungstendenzen viel auf den Weg gebracht, um die Erderwärmung effektiv zu bekämpfen. Ob nun im Hinblick auf CO2-Grenzwerte im Verkehr oder die Energieeffizienz von Gebäuden, immer häufiger lenkt sie die Energie- und Klimapolitik ihrer Mitgliedstaaten in die richtigen Bahnen. Vor allem das Europäische Parlament hat sich als treibende Kraft einer ambitionierten Energie- und Klimapolitik erwiesen und mit zahlreichen richtungsweisenden Entscheidungen dafür gesorgt, dass der europaweit gültige Handlungsrahmen ambitioniert ist. So ambitioniert, dass Deutschland mittlerweile substantielle Strafzahlungen drohen, wenn wir die europäischen Vorgaben nicht schnell mit weiteren nationalen Maßnahmen unterlegen.
Sozial-gerechter CO2-Preis für den Klimaschutz
Als europäische Sozialdemokraten stehen wir zu unserer Verantwortung gegenüber heutigen und künftigen Generationen. Unser Anspruch ist, den notwendigen sozial-ökologischen Umbau der europäischen Gesellschaft als Fortschrittserzählung zu gestalten – und bis zur Mitte des Jahrhunderts zu vollenden. Dafür unterstützen wir die Anhebung des europäischen Klimaschutzziels auf mindestens 45 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 sowie das langfristige Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050. Und wir plädieren für die aufkommensneutrale Einführung eines CO2-Preises, der die ganz normalen Bürgerinnen und Bürger, Mieter und Pendler nicht stärker als heute belastet. Ein sozial gerechter CO2-Preis kann einen Beitrag für mehr Klimaschutz leisten, würde aber alleine nicht ausreichen. Darüber hinaus brauchen wir konkrete Einsparziele für die Bereiche Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft und entsprechende gesetzliche Maßnahmen für mehr Klimaschutz. Den von Deutschland zu leistenden Beitrag werden wir noch in diesem Jahr rechtlich verbindlich umsetzen und im Rahmen eines Klimaschutzgesetzes verankern.
Dennoch wird die Europäische Union nach der Wahl von gleich mehreren Seiten unter Druck geraten. Das drohende Erstarken von Rechtspopulisten und Nationalisten gefährdet nicht nur den Zusammenhalt der Europäischen Union, sondern auch die künftige europäische Energie- und Klimapolitik. Denn die deutsche AfD steht mit ihren bizarren Thesen zur Erderwärmung und der Leugnung des menschengemachten Klimawandels in Europa leider nicht alleine da: Sieben der 21 rechtspopulistischen und euroskeptischen Parteien in Europa leugnen den Klimawandel, seine menschengemachten Ursachen und negativen Folgen.
Die Konservativen handeln kopflos
Doch ohne die Gefahr der Rechtspopulisten kleinreden zu wollen: Noch schwerer wiegt nach unserer Auffassung die weitgehend widersprüchliche und vor allem viel zu zögerliche Haltung von CDU und CSU sowie ihrer konservativen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP). Schon für die ablaufende Wahlperiode stellt eine Untersuchung des Europäischen Umweltdachverbandes DNR den Europaabgeordneten von CDU und CSU ein bescheidenes – wenn nicht beschämendes – Zeugnis aus, das im eklatanten Widerspruch steht zu ihrem Anspruch der Bewahrung der Schöpfung: Demnach votierten die deutschen EVP-Abgeordneten in gerade einmal zwölf respektive 13 Prozent der Abstimmungen im Europäischen Parlament für eine stärkere Energie- und Klimapolitik. Im vergangenen Jahr intervenierte ausgerechnet Angela Merkel persönlich, als sich der Klimakommissar Miguel Arias Cañete, wohlgemerkt Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei, für ambitioniertere Klimaziele in der Europäischen Union aussprach und die – nach dem Pariser Klimaabkommen zwingend notwendige – Treibhausgasneutralität für 2050 rechtsverbindlich festschreiben wollte. Und in ihrem gemeinsamen Europawahlprogramm verzichten CDU und CSU gleich ganz auf das Benennen von konkreten Klimazielen für die Europäische Union verzichten.
Ähnlich kopflos agieren die Europäischen Konservativen bei der aktuellen Diskussion um eine CO2-Bepreisung: EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber hat sich mehrfach öffentlich gegen eine CO2-Steuer ausgesprochen. Armin Laschet und Ralph Brinkhaus hingegen wollen eine Einführung prüfen, Kramp-Karrenbauer jedoch hat eine entsprechende Passage auf Druck des Wirtschaftsflügels aus einem Positionspapier streichen lassen. Sie plädiert nun für die Ausweitung des Europäischen Emissionshandels – was jedoch rechtlich schwierig ist und vor allem energiepolitisch falsche Anreize setzt.
Europa braucht russisches Erdgas
Beim europäisch-russischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 sind die Konservativen ebenfalls uneins: Kramp-Karrenbauer hat Nord Stream 2 zuletzt verteidigt, Weber hingegen will „alle möglichen Rechtsmittel anwenden, um Nord Stream 2 zu verhindern“. Solche undifferenzierten und wahltaktischen Aussagen sind kaum ernst zu nehmen, angesichts der historischen Aufgabe des Klimaschutzes jedoch schlicht unangemessen. Der EVP-Spitzenkandidat Weber verkennt damit die europäische Dimension des Projektes, an dem neben der russischen Gazprom Unternehmen aus vier europäischen Ländern beteiligt sind. Er verleugnet zugleich die Ausweitung der EU-Gasbinnenmarktrichtlinie, die sein Parteifreund Jean-Claude Juncker mit ausgehandelt hat und der 27 von 28 Mitgliedsstaaten zugestimmt haben. Und er missachtet, dass Europa auf das vergleichsweise klimafreundliche russische Erdgas – und perspektivisch auf russischen Wasserstoff – angewiesen sein wird, um die europaweit zurückgehende Energieerzeugung aus Kohle- und Kernkraftwerken zu kompensieren. Mit schmutzigem Fracking-Gas, beispielsweise aus den USA, wäre Europa nicht geholfen.
Die ‚Fridays for Future‘-Bewegung ruft uns ins Gewissen, dass unsere bisherigen Anstrengungen in der Energie- und Klimapolitik bei Weitem nicht ausreichen. Klimaschutz bestimmt unsere Zukunft – am 26. Mai stellen wir die Weichen.