Interview mit Birgit Sippel

SPD-Abgeordnete zu EU-Migrationsplan: „Die Spaltung Europas könnte noch größer werden.“

Kai Doering23. September 2020
Flüchtlingslager Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos: Mit den Voschlägen zur EU-Flüchtlingspolitik nimmt Ursula von der Leyen  Abschied von dem Ziel, europäische Werte konsequent durchzusetzen, meint die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel.
Flüchtlingslager Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos: Mit den Voschlägen zur EU-Flüchtlingspolitik nimmt Ursula von der Leyen Abschied von dem Ziel, europäische Werte konsequent durchzusetzen, meint die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel.
Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Birgit Sippel, übt deutliche Kritik an den Vorschlägen der EU-Kommission zur Migrations- und Asylpolitik. Sie könnten die Spaltung der EU in der Flüchtlingsfrage noch weiter vertiefen.

Am Mittwoch hat die EU-Kommission ihren lange erwarteten Vorschlag für eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik vorgelegt. Kommissar Margaritis Schinas hat bei der Vorstellung gesagt, die Kommission ziehe damit einen „Schlussstrich unter das bisherige Dublin-System“. Ist das so?

In gewisser Weise ja – allerdings nur insofern, als dass die Herausforderungen für die Staaten an den Außengrenzen wie Griechenland oder Italien damit endgültig festgeschrieben und noch größer werden. Verpflichtende Vorprüfungen und Grenzverfahren für viele Asylbewerber verstärken die einseitige Verantwortung einiger weniger Mitgliedsstaaten, während europäische Solidarität nur in besonderen Situationen gewährt werden soll. Um Zustände wie in Moria zu verhindern, darf die Verantwortung aber nicht allein in den Ersteinreisestaaten liegen. Um tatsächlich einen Schlussstrich unter Dublin zu ziehen, wäre ein permanenter Mechanismus wichtig, der die ankommenden Flüchtlinge auf alle 27 Mitgliedsstaaten verteilt und das Prinzip des Ersteinreisestaats abschafft.

Die Vorschläge sehen einen Mechanismus für eine „verpflichtende Solidarität“ unter den EU-Mitgliedsstaaten vor. Kann das funktionieren?

Wenn jemand zu Solidarität verpflichtet werden muss, dann ist es keine echte Solidarität. Außerdem sehe ich die große Gefahr, dass sich einzelne Staaten allein auf die Möglichkeit der Solidarität durch Abschiebung konzentrieren können. Deshalb hätte ich einen anderen Ansatz sinnvoller gefunden. Es ist doch zynisch, wenn gesagt wird, es sei ein Zeichen von Solidarität, wenn sich einige EU-Staaten allein um Rückführung und Abschiebung kümmern, statt Menschen aufzunehmen. Echte Solidarität sieht für mich anders aus, etwa indem sich die Staaten Europas gemeinsam um die Aufnahme von Menschen kümmern und ihnen eine vernünftige Zukunftsperspektive geben.

Birgit Sippel
Birgit Sippel.

Neben der Unterstützung bei Abschiebungen sollen Staaten, die keine Geflüchteten aufnehmen wollen, auch anders helfen können, etwa finanziell. Könnten sich Staaten damit von ihrer Verantwortung „freikaufen“?

Wie genau diese weitere Unterstützung aussehen wird und ob ihr Grenzen gesetzt werden, wird sich noch zeigen müssen. Aber generell bin ich mir sicher, Viktor Orbán und seine Freunde aus den Visegrád-Staaten werden diese Option nutzen. Wenn es so käme, könnte die Spaltung Europas sogar noch größer werden als sie jetzt schon ist. Staaten wie Ungarn könnten sich durch die „Solidarität durch Abschiebung“– mit dem Segen der EU-Kommission – hinstellen und sagen, dass sie es sind, die dafür sorgen, dass keine Flüchtlinge nach Europa kommen, sondern dass sie zurückgebracht werden. Dass sich manche Staaten allein auf die Rückführung konzentrieren können, halte ich für brandgefährlich. Ursula von der Leyen nimmt damit Abschied von dem Ziel, europäische Werte konsequent durchzusetzen.

Zudem soll es stärkere Grenzkontrollen und Asyl-Schnellverfahren eingeführt werden – auch das ein Zugeständnis an Staaten wie Ungarn und Polen?

Schnellverfahren können durchaus sinnvoll sein. Das hängt stark davon ab, wie sie umgesetzt werden. Auch bei Menschen, die aus Ländern kommen, die eine sehr niedrige Anerkennungsquote haben, muss ein faires Verfahren und eine Einzelfallprüfung gewährleistet sein, auch wenn schon zu Anfang klar ist, dass sie nicht in den Verteilungsmechanismus kommen. Entscheidend wird die konkrete Umsetzung sein. Ähnlich ist es bei der Frage der Grenzkontrollen. Wenn es nur darum geht, dass diejenigen, die ankommen, geordnet das Land betreten können und untergebracht werden, solange ihr Asylantrag geprüft wird, kann ich damit leben. Ich befürchte allerdings, dass mit Grenzkontrollen eher Maßnahmen der Abschottung gemeint sind.

Ein Ziel der Kommissionspläne ist, Lager wie Moria künftig zu verhindern. Kann das mit dem, was vorliegt, funktionieren?

Ich glaube nicht, dass die Pläne der Kommission in diesem Punkt groß etwas ändern. In Moria sind die die Verhältnisse ja nicht erst seit dem Brand katastrophal. Diese Situation haben wir seit Jahren. Sie hat sich nur immer weiter zugespitzt. Doch nicht mal jetzt haben sich die meisten Staaten solidarisch an die Seite Griechenlands gestellt. Hinzu kommt, dass die Kommission bereits angekündigt hat, ein Musterlager mit Platz für 5000 Menschen auf Lesbos errichten zu wollen. Zudem fehlen mir Vorschläge, wie die EU Staaten wie Griechenland, aber auch Malta und Zypern kurzfristig helfen will und sie bei ihrer schwierigen Aufgabe entlastet.

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Kommentare

Wer betreibt die Spaltung der EU?

Es ist doch so, dass bereits das Vereinigte Königreich aus der EU austrat, weil es souverän über sein eigenes Wohl und Wehe entscheiden will. Dazu gehört eben auch, illegale Migranten nicht aufzunehmen.

In Notfällen leisteten alle Bundesregierungen und viele deutsche Bürger direkte Hilfe vor Ort, und zwar mit Geld, Material oder Rettungskräften.

Irgendwann wurde diese wirksame und wirtschaftliche Hilfe von den Füssen auf den Kopf gestellt und man holte anstelle dessen Staatsbürger anderer Staaten nicht nur nach Deutschland, sondern siedelte sie auch gleich hier an.

Vielleicht macht man sich nun besser Gedanken darüber, wie man das wieder vom Kopf auf die Füsse stellt.

Denn eines der Probleme ist die sehr hohe Geburtenrate in den Ländern des vorderasiatisch-arabisch-schwarzafrikanischen Islamgürtels, vom Islam ganz zu schweigen.

Nähme man auf einen Schlag jetzt 20 Millionen Migranten von dort auf, kämen schon in wenigen Jahren nochmals 20 Millionen und begehrten Aufnahme.

jetzt muss ich es mal

ganz deutlich sagen. Die am Votum für einen Verbleib in der EU fehlenden Stimmen- so viele waren es ja bekanntlich nicht- gehen auf das Konto der moralinsauren Einwanderungspolitik Merkels, angeheizt noch von der SPD, der es ja gar nicht genug Einwanderer sein konnten und können. Deutschland lässt alle rein, und Großbritannien darf sie als EU Mitglied nicht hindern, dorthin weiterreisen.
Dieser Gesichtspunkt war Abstimmungsentscheidend (wenigstens in Bezug auf die wenigen fehlenden Prozentpunkte) - und wenn Deutschland, also die SPD gestützte Merkel, so weitermacht, ist die EU am Ende. Es ist völlig egal, ob bis dahin noch 1 Mio Einwanderer zu uns kommen oder mehr oder weniger- das Ende ist vorgezeichnet. verspielt, muss man leider sagen- ihr hattet eure Chance, aber ihr habt sie nicht genutzt, werden nachfolgende Generationen sagen

Volle Zustimmung. Vergessen

Volle Zustimmung. Vergessen sollte nicht werden, dass die EU der Lobbyisten-Clug schlechthin ist. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn man hätte TTIP, ein Freifahrtschein für die internationalen Konzerne, noch durchbringen könnte mit samt der Schiedsgerichte

Frau von der Leyen ist doch

Frau von der Leyen ist doch seinerzeit mit den (rechten) Stimmen aus Ungarn und den Visegrad-Staaten äußerst kanpp ins Amt gehievt worden, sehr zum Entsetzen vieler Bürger. Ich kann mich nicht erinnern, dass Frau Merkel im Gegensatz zur Wahl in Thüringen das sonderlich gestört hat. Sich die Mehrheit mit diesen Stimmen zu sichern,schränkt die Handlungsfähigkeit eben deutlich ein.