Sozialdemokraten können in Europa doch noch Wahlen gewinnen. Das zeigte sich nach den Wahlen in Finnland vor zwei Wochen nun noch klarer in Spanien. Die Neuwahlen am 28. April machten dort die Sozialdemokraten (PSOE) mit 28,7 Prozent (123 Mandate) zur mit Abstand stärksten Partei.
Sozialdemokraten gewinnen von Linkspopulisten
Sie haben aber zusammen mit den linken Podemos (14,3 Prozent, 42 Mandate) nicht die notwendige Mehrheit von 176 Mandaten. Der Zuwachs der Sozialdemokraten kommt vor allem aus dem Rückgewinn von enttäuschten Wählern, die 2016 bis 2018 zu den Linkspopulisten abgewandert waren. Der progressive sozialpolitische, frauenorientierte, dialogbereite proeuropäische Kurs konnte jedoch auch Mitte-Wähler ansprechen, die den Rechtsschwenk von der konservativen Volkspartei PP und der rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) nicht mitgehen wollten.
Die wichtigste Lehre aus der verlorenen Regionalwahl in Andalusien im Dezember 2018 hatte die PSOE beherzigt: Alle Parteigänger und Sympathisanten zum Gang zur Wahlurne auffordern und so den hohen Anteil der Nichtwähler reduzieren. Wahlforschungsinstitut CIS hatten sich Ende März über 40 Prozent der Wählerschaft noch nicht entscheiden. Mit 75,8 Prozent lag die Wahlbeteiligung diesmal deutlich über den knapp 70 Prozent von 2016.
Sanchez unangefochten an der Spitze
Pedro Sanchez hat es geschafft die PSOE zu stabilisieren und sich, auch im Vergleich zu den Mitkonkurrenten der anderen Parteien, als Regierungschef zu profilieren. Früher stark angefeindet, steht er in seiner sozialdemokratischen Partei heute unangefochten an der Spitze – zumal nach der Abwahl seiner Widersacherin Susana Díaz als Regionalpräsidentin von Andalusien im Dezember letzten Jahres. Zu seiner Wiederwahl benötigt er nun die baskischen und/oder die katalanischen Regionalparteien – just jene, die ihm im Januar die Gefolgschaft verweigerten und Auslöser der Neuwahlen waren.
Die Fronten zwischen links und rechts der Mitte waren im Wahlkampf in zentralen Politikfeldern klar abgesteckt:
- Katalonien: Dialogangebot versus erneute Androhung der Zwangsverwaltung
- Gleichstellung: schärfere Verfolgung von Sexualdelikten versus deren Verharmlosung und Vertuschung
- Steuern: Einführung einer Digitalsteuer und Anhebung von Unternehmenssteuern versus keine Digitalsteuer und Beibehaltung oder gar Senkung der Unternehmungssteuer
- Beschäftigung: Rücknahme des restriktiven Arbeitsrechts von 2012 versus weitere Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes
- Immigration: abgestimmte europäischen Migrationspolitik versus härtere Grenzpolitik und Abschiebungen auf eigene Faust.
Harter Lagerwahlkampf
Zu all dem gesellte sich ein unsachlicher Debattenstil insbesondere des konservativen Kandidaten Pablo Casado und schließlich auch noch ein neuer Politskandal: Der ehemalige Polizeichef José Manuel Villarejo wurde verhaftet. Ihm wird vorgeworfen während der zurückliegenden Regierungsjahre der PP Material gesammelt und angefertigt zu haben, dass die Reputation der politischen Gegner zerstören sollte. Titel von El Pais: die Jauchegrube des spanischen Staates.
Seit den Regionalwahlen in Andalusien im Dezember 2018 hat sich die rechtspopulistische Vox mit nun 10,3 Prozent (24 Sitze) im Parteiensystem fest etabliert und veränderte die Stimmen- und Mandatsarithmetik. Mit ihrem nationalen, gegen einen Dialog oder gar Unabhängigkeit mit der separatistischen Regionalregierung in Katalonien gerichteten Diskurs schaffte sie es vor allem der konservativen PP Stimmen abzunehmen – PP wie auch die rechtsliberale Ciudadanos schwenkten vergeblich auf einen scharfen Rechtskurs ein, der ihnen in der politischen Mitte Verluste einbrachte.
Historisches Debakel der Konservativen
Die konservative PP fuhr mit 16,7 Prozent (66 Mandate – ein Verlust von 71 Sitzen!) das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Ciudadanos legte zwar auf 15,9 Prozent (57 Mandate) zu und sieht sich nach dem Desaster der PP nun als legitimierter Sachverwalter der rechten Opposition gegen Sánchez. Die Partei blieb jedoch weit hinter ihren Hoffnungen zurück gar stärkste Partei des Landes zu werden.
Für eine rechts-der-Mitte-Koalition aus PP, Ciudadanos und Vox reichen die gemeinsamen 147 Mandate bei weitem nicht. Mit einer ausreichenden Unterstützung seitens der Regionalparteien ist nicht zu rechnen. Auch wenn er es kurz nach dem Wahlabend noch von sich wies: die Tage von Pablo Casado und seiner Rechtsstrategie dürften gezählt sein.
Schwierige Regierungsbildung
Da weder die Parteien links noch rechts der Mitte eine Mehrheit haben, steht das Land vor einer Phase der schwierigen Regierungsbildung. PP, Cs und Vox können dabei zwar eine blockierende Rolle spielen, indes nicht selbst das Regierungszepter in die Hand nehmen.
Nur zu gerne würde die linke Unidas Podemos Regierungsverantwortung übernehmen und eine Koalition mit der PSOE eingehen. Eher wahrscheinlich ist indessen eine PSOE-Minderheitsregierung parlamentarisch getragen von Unidas Podemos und den baskischen Regionalparteien. Selbst eine Unterstützung durch die eher linke separatistische ERC Kataloniens ist nicht ausgeschlossen.
Sanchez dürfte im Amt bleiben
Zumal vor dem Hintergrund des spanischen Wahlrechts: Eine Enthaltung in der zweiten Abstimmungsrunde im Parlament würde reichen. Im Amt ist bestätigt bzw. gewählt ist, wer keine Mehrheit gegen sich hat. Falls es weder links noch rechts der Mitte für eine Mehrheit von 176 Sitzen reicht, bliebe Sanchez zunächst geschäftsführend im Amt – ähnlich wie sein konservativer Vorgänger in den Jahren 2016-18.
Innerhalb der nach rechts gerückten Ciudadanos rumort es gegen den von Parteichef Rivera vorangetriebenen Annäherungskurs an die konservative PP, die selbst vor einer Kooperation mit der Vox nicht Halt machte. Der liberale Flügel könnte sich auch ein Zusammengehen mit den Sozialdemokraten vorstellen und möchte an die Koalitionsgespräche 2016/17 anknüpfen. Gestaltet sich das Zusammenbringen wie die ersten Regierungserfahrungen einer linken Mehrheit schwierig, ist nach einer politischen Schamfrist ein Umschwenken denkbar. Von der Mandatszahl her gesehen würde es für PSOE (123) und Ciudadanos (57) reichen. Jedoch ist eine Koalition zwischen PSOE und Ciudadanos eher unwahrscheinlich, da sich Ciudadanos bis zum jetzigen Zeitpunkt mehrmals gegen einen Pakt mit den Sozialisten ausgesprochen hat.