Gedenktag

Warum wir aus Solingen nichts gelernt haben

Karin Nink29. Mai 2018
Solingen
Trauerfeier für die Opfer von Solingen: Das ausgebrannte Haus wurde zum Symbol für rechte Gewalt.
Der Brandanschlag von Solingen vor 25 Jahren war ein trauriger Höhepunkt der rassistischen Gewalt in Deutschland. Gelernt hat die Republik daraus bis heute kaum – wie sich auch im aktuellen Bundestag zeigt.

Jetzt, zum Gedenktag, werden sie wieder hervorgeholt: Die Bilder des ausgebrannten Hausgerippes in der Unteren Wernerstraße in Solingen. Es war Pfingstsonntag 1993 und die Welt schien nicht nur in Solingen nicht mehr so zu sein, wie sie einst war: Bei einem Brandanschlag auf das Haus der türkischstämmigen Familie Genç waren fünf Menschen ums Leben gekommen: Drei Mädchen starben an einer Rauchvergiftung – zwölf, neun und vier Jahre alt. Die 27-jährige Gürsün sprang in Panik aus dem Fenster und verletzte sich tödlich. Die 18-jährige Hatice starb an einem Hitzeschock.

Mitten in dieser bergischen Stadt, mitten aus dem Leben. Übrig blieb das ausgebrannte Haus, das zum Symbol für den Fremdenhass in (West)-Deutschland Anfang der 90er Jahre wurde.

Wie konnte das passieren?

Der Anschlag war der Höhepunkt einer Reihe fremdenfeindlicher Anschläge in Deutschland: Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen. Die Täter von Solingen waren vier junge Männer zwischen 16 und Anfang 20. Sie kamen aus dem Ort. Der Jüngste war der Sohn eines Medizinerpaares, das sich bei „Ärzte gegen den Atomkrieg“ engagierte. Auch sie alle mitten aus Solingen.

Ich war damals als junge Journalistin vor Ort und versuchte, mit meinen Artikeln das Unfassbare zu beschreiben. Tag für Tag fuhr ich mit dem Fotografen von Köln ins Bergische – nach Solingen. Wir standen fassungslos vor dem ausgebrannten Haus, befragten Anwohner, nahmen an den Trauerveranstaltungen teil. Wir versuchten, das Gesehene zu begreifen: Wie konnte das passieren? Warum zündeten junge, im Wohlstand und in einer Demokratie aufgewachsene Männer ein Haus an und töteten fünf Menschen? Die Argumente, die sich zumindest der Westteil der Republik für die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen zurechtgelegt hatte, funktionierten hier nicht. Mit Solingen hatte sich die westdeutsche Illusion endgültig zerschlagen, dass Ausländerfeindlichkeit ein ostdeutsches Phänomen im wiedervereinten Deutschland sei.

Kampagnen gegen Flüchtlinge

Jede Erklärung schien zu kurz zu greifen oder nur ein Stück der Wahrheit zu sein: Die hohe, aber durchaus zu bewältigende Zahl an Menschen, die vor dem Bürgerkrieg aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflüchtet waren? Das Anwachsen von rechtsextremen Kräften, wo doch Solingen eine so liberale Stadt sein sollte? Die aus verschiedenen Ursachen genährte heftige Asyldebatte Anfang der 90er Jahre, die die Politik – auch die SPD – just drei (!) Tage vor dem Anschlag in Solingen mit einer Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl zu beenden suchte? Tatsache war, dass die Union schon Ende der 80er Jahre damit begonnen hatte, Kampagnen gegen Flüchtlinge zu fahren: Wörter wie „Asylmissbrauch“, „Wirtschaftsflüchtlinge“ wurden gezielt eingesetzt, um mit rechten Parolen angeblich den Rechtsradikalen das Wasser abzugraben.

Mit dem Anschlag in Solingen, so hofften damals viele, habe diese Form der politischen Auseinandersetzung und Hetze in Deutschland ein Ende gefunden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt: Schon im Landtagswahlkampf 1999 schürte die hessische CDU mit Roland Koch erneut und ganz bewusst mit ihrer Unterschriftenaktion gegen die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts der rot-grünen Bundesregierung Ausländerfeindlichkeit, um sie für ihre Wahlkampfzwecke zu nutzen. Der NSU konnte sich wenige Jahre nach Solingen ungestört gründen und jahrelang – von 2000 bis 2007 – in der gesamten Republik neun zugewanderte Mitbürger und eine Polizistin ermorden, Sprengstoffanschläge verüben und Raubüberfälle begehen, weil Nachrichtendienste versagt und Ermittlungsbehörden eben nicht nach rechts geschaut, sondern die Ursachen allzu oft im Umfeld der Opfer gesucht hatten.

Heute sitzt die rechtspopulistische AfD mit ihren zum Teil rechtsextremen Vertretern im Bundestag und in diversen Landesparlamenten.

Wir haben aus Solingen nicht wirklich gelernt. Die Fotos des ausgebrannten Hauses in der Unteren Wernerstraße waren zu schnell in der Schublade verschwunden.

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Kommentare

Wir haben aus Solingen gelernt, ...

dass wir seit her und aktuell, uns mit der hässlichen Fratze der eigenen Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Die Hetze aus der eigenen Bevölkerung. Aber es stimmt auch, dass seither und nach und nach die Themen Einwanderung, Flüchtlinge, Asylsuchende und Integration immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Nicht das sozialdemokratische Schrauben an der Verfassung hat zum sozialen Frieden geführt, sondern das beherzte Engagement der Zivilgesellschaft. Gerade in Solingen wurden erstmalig und parteiübergreifend Initiativen zur Integration gefördert. Es wurde ein Stadtparlament ähnlicher Jugendrat gegründet, der dies federführend mit organisierte. Aber damit sind nicht die extremistischen Sozialisierungen innerhalb von Familien aus der Welt oder die vorausgehender wirtschaftliche und soziale Verelendung von Bevölkerungsteilen, deren Frust sich in Radikalisierung entlädt. Die Antidemokraten für Deutschland [AfD] machen von gut situierter Seite, sich dieser Strömung zur nutze, nicht um die Missstände zu beseitigen, sondern um unsere gemeinsamen Grundlagen zu verändern. In der Breite kämpft die SPD kommunal dagegen. Die Berliner SPD muss dies besser unterstützen und rote Farbe bekennen.

wir haben nichts gelernt-

da schließe ich mich an. Was allerdings verwundert ist der ungebrochene, seit 2015 sogar unbegrenzte Zuzug von Menschen gerade aus dem kulturellen Umfeld derjenigen, die in Solingen ermordet wurden. Diese Menschen laufen sehenden Auges in eine dann doch lebensbedrohliche Situation, oder was?
Oder ist unsere Sicht auf uns ist eine ganz andere als die Sicht der Anderen auf uns? Mir ist das rätselhaft, aber vielleicht findet sich jemand in der Leserschaft, die/ der das plausibel erklären kann.

Re: wir haben nichts gelernt-

Lieber Hans im Glück,

wie kommen Sie darauf, es gebe „seit 2015 sogar unbegrenzte[n] Zuzug“? Vielmehr gibt es seit einiger Zeit einen Flüchtlingsdeal zwischen Türkei und der EU, der viele Menschen an der Reise nach Europa hindert. Ähnliches gilt für die Schließung der sog. Balkanroute. Von „unbegrenzt“ kann gar also keine Rede sein. Bitte halten Sie sich an die Netiquette und nehmen Sie Abstand von nicht belegten Behauptungen. Im Übrigen stammten einige der Opfer von Solingen aus der Türkei, manche waren in Deutschland geboren. Im Sommer 2015 waren es vor allem Syrer, die nach Deutschland kamen.

Mit freundlichen Grüßen aus der vorwärts-Redaktion

können Sie belegen

,dass es hauptsächlich Syrer waren, die seit 2015 kamen?

Es gab immerhin schon publik gewordene Fälle, in denen diese Staatsangehörigkeit lediglich behauptet wurde, erfolgreich sogar von einem Deutschen.

Vielleicht einigen wir uns darauf, dass anzunehmen ist, dass es sich bei den seit 2015 zugereisten Personen tatsächlich überwiegend um Syrer handelt. Dann brauchen wir beide nicht belegen, was wir hier von uns geben

Die Schließung der

Die Schließung der Balkanroute wurde vor 2 Jahren von den Westbalkanstaaten + Österreich erwirkt ohne Zutun Deutschland. Die Bundesregierung war gegen die Schließung der Route. Das muss fairerweise gesagt werden. Lt. Medienberichten ist derzeit eine "neue Balkanroute" über Albanien und dem Kosovo im Entstehen. Die Route aus Nordafrika übers Mittelmeer/Italien war nie beschränkt. Insoweit ist die Anmerkung von Hans im Glück durchaus berechtigt.
Die Situation in der 60/70iger Jahren, als die Türken legal zum Zwecke der Arbeit ins Land geholt wurden, kann mit der heutigen Situation nicht verglichen werden. Die Masseneinwanderung ab 2015 (die meisten ohne Papiere???) kam nicht von ungefähr. Geplant von der Elite, umgesetzt von der hörigen ausgesuchten politischen Kaste, bezahlt von normalen Bürgern, die dafür 50 % ihrer Arbeitsleistung über 45 Jahre spenden, die anschließend von einer Renten leben müssen, die knapp vorm Verhungern bewahrt. Die viel diskutierte Multikulti-Gesellschaft wird es auch nicht geben. Die Gesellschaft wird vermasst, vereinzelt ohne Verwurzelung sein, also gehorsame Objekte zum Arbeiten und Konsumieren, also wirtschaftskonform eben.