
Muss der Soli weg oder soll er bleiben? Glaubt man den Organisationen der Wirtschaftslobby wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, dann gibt es kaum etwas Ungerechteres, als den ungeliebten Solidaritätszuschlag auch nur einen Tag länger zu erheben, auch nicht von den Besserverdienenden.
Geschickte Lobbyarbeit gegen Soli
CDU, CSU und FDP stimmen mit Blick auf einflussreiche Teile ihrer Wählerschaft gern lautstark in diesen Chor ein, aber wenn wir ehrlich sind, hegen auch viele mit durchaus vorhandener Sympathie für die Sozialdemokratie keine Sympathie für den Soli. Dass das so ist, hat viel mit geschickter Lobbyarbeit in Diensten der Bezieher von weit überdurchschnittlichen Einkommen zu tun.
Deren Interessenvertreter schaffen es immer wieder, Normalverdienern einzureden, sie seien die wahren Verlierer solcher Sonderopfer. Es ist aber auch Folge eines gehörigen Misstrauens, dass die Politik eine einmal erhobene Abgabe auch dann nicht wieder zurücknimmt, wenn der Anlass dafür entfallen ist.
Geld für Strukturwandel nötig
Ich gebe zu, auch mich beschäftigt die Frage, ob wir den Soli nicht ganz abschaffen sollten. Das Festhalten daran hat einen faden Beigeschmack – auch wenn er gar nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem sogenannten Solidarpakt zur Finanzierung des Um- und Aufbaus der ostdeutschen Länder steht und damit auch nicht zwingend Ende 2019 auslaufen muss.
Wir wissen alle, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West auch danach noch nicht vollzogen ist und dass auch in den westdeutschen Ländern Folgen des Strukturwandels zu bewältigen sind, die noch lange viel Geld kosten – ganz abgesehen von den Herausforderungen, die mit dem Ausstieg aus der Braunkohle, mit den absehbaren Veränderungen der Mobilität und auch mit dem Wandel im Altersaufbau der Gesellschaft auf uns zukommen.
Soli ist kleines Stück Steuergerechtigkeit
Unabhängig von der Verwendung der Einnahmen hat der Soli aber noch einen anderen Effekt. Bisher dämpft er wenigstens ein Stück die besonders hohe Entlastung der Gewinne von Kapitalgesellschaften und Top-Einkommen im Zuge der Steuersenkung 2005 und zollt dem seither enorm geschwächten Grundsatz, dass starke Schultern mehr tragen sollen als schwache, wenigstens etwas Tribut.
Würde der Soli vollständig abgeschafft, dann würden sich nicht nur viele Klein- und Mittelverdiener über eine ausbleibende oder nur minimale Steuerersparnis wundern; die oberen Zehntausend würden dann noch einmal um rund 2,5 Prozent ihres zu versteuernden Einkommens entlastet.
Von den rund 20 Milliarden Euro, die 2019 als Einnahmen aus dem Soli erwartet werden, kommt nicht von ungefähr mehr als die Hälfte von den oberen 10 Prozent der Einkommen. Eine vierköpfige Familie mit 50.000 Euro brutto im Jahr zahlt dagegen gar keinen Soli. Sie hätte folglich auch nichts von seiner Abschaffung. Aber wäre ein auf hohe Einkommen beschränkter Soli denn nicht auch irgendwie ungerecht? Wer diese naheliegende Frage stellt, sollte wissen, dass der Steuersatz der Oberschicht in den Zeiten vor dem Soli deutlich höher war als heute mit ihm.
Für mehr Verteilungspolitik
Aus dem verteilungspolitischen Blickwinkel, dass eine gerechte Reform der Besteuerung kleine und wirklich mittlere Einkommen entlasten sollte, ohne immer nebenbei höheren Einkommen einen noch höheren Rabatt zu gewähren, ist der Koalitionskompromiss, den Soli für 90 Prozent der Steuerzahler, nicht aber für die oberen zehn Prozent abzuschaffen, deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.
Ihm müssten weitere folgen, denn auch ein Soli für Besserverdienende wiegt nicht ansatzweise auf, was Mega-Einkommen durch die radikale Senkung des Spitzensteuersatzes, Mega-Vermögen durch das Aussetzen der Vermögensteuer, Mega-Erbschaften durch die Quasi-Freistellung und Kapitaleinkommen bis in Milliardenhöhe durch die Abgeltungssteuer an Rabatten erhalten haben.
SPD muss Besteuerung reformieren
Es gehört zur Wahrheit dazu, dass einige dieser Extremrabatte durch oder zumindest mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung zustande gekommen sind. Manches unter dem Eindruck, dass in wirtschaftlich schwieriger Zeit Handlungsbedarf bestand. Die gewählte Therapie und vor allem die Dosis haben im Ergebnis aber zur Vertiefung gesellschaftlicher Gräben beigetragen und uns viel Vertrauen gekostet. Es ist an uns, dieses Vertrauen wiederherzustellen.
Deshalb muss die SPD Treiber für eine grundlegende Revision des Steuersystems sein. Dabei geht es zu allererst darum, dass alle ihre Steuern auch wirklich zahlen. Davon sind wir immer noch weit entfernt. Es geht dabei auch darum, das hundert Jahre alte Prinzip einer Besteuerung zu stärken, die mit steigendem Wohlstand auch einen zunehmenden prozentualen Beitrag dieses Wohlstandes zu unserem Gemeinwesen erwartet.
Wenn das gewährleistet ist, brauchen wir keine „ergänzende“ Abgabe wie den Soli. Der kann dann für alle entfallen. Bis dahin ist seine Beibehaltung für die oberen zehn Prozent der Einkommen ein Faustpfand, das wir allem Gezeter der Wirtschaftslobby zum Trotz nicht aus der Hand geben dürfen.