Gastbeitrag von Peter Bofinger

So lassen sich wirtschaftliche Auswirkungen der Coronakrise begrenzen

Peter Bofinger08. April 2020
Mit Eurobonds können hoch verschuldete Länder der Eurozone in der Krise unterstützt werden
Die Moderne Geldtheorie ermöglicht in der Krise eine finanziell unbegrenzte europäische Haushaltspolitik. Für hoch verschuldete Länder der Eurozone kämen Eurobonds in Betracht.

Zu den Maßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie gehört nicht nur ein einmaliges gesundheitspolitisches Experiment. Auch ihre sozialpolitischen und wirtschaftlichen Folgen sind so enorm, dass sie das Schicksal der Menschheit langfristig prägen werden. 

Gesundheitspolitik hat Vorrang

Prinzipiell müssen die Ökonomen jetzt akzeptieren, dass die Gesundheitspolitik an erster Stelle steht. Deshalb müssen wir die unvermeidlichen wirtschaftlichen Auswirkungen so begrenzt wie möglich halten. Aber die Effekte der Schutzmaßnahmen können mit einem künstlichen Koma des gesamten wirtschaftlichen Systems verglichen werden. Die Wirtschaftspolitik steht daher vor der Aufgabe, den „Patienten“ so weit wie möglich künstlich zu ernähren und zu beatmen, damit er langfristig möglichst wenig geschädigt wird. 

Kurzfristig bedeutet dies in erster Linie Maßnahmen, um die Liquidität zu sichern. Dazu gehören Steuerstundungen und umfassende staatliche Garantien für Kredite, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken. In Deutschland spielt dabei das Instrument des Kurzarbeitergelds eine wichtige Rolle. Damit können die Unternehmen die Arbeitszeit der Angestellten verringern und erhalten von der Bundesagentur für Arbeit eine Aufstockung der Löhne und der Sozialversicherungsabgaben (normalerweise 60 Prozent des Grundgehalts oder 67 Prozent für Haushalte mit Kindern).

Direkte Geldzahlungen für Freiberufler

Aber die Sicherung der Liquidität ist nur die erste Verteidigungslinie. Da die Krise uns noch mindestens vier bis sechs Wochen begleiten wird, muss der Staat die Einkommensverluste der Unternehmen und vieler Freiberufler durch direkte Geldzahlungen ausgleichen. Kurzfristig kann dies, so wie bei der Nothilfe des Freistaats Bayern, über konkrete Subventionen erfolgen. 

Als umfassende Lösung sollten wir allerdings ein Modell der negativen Einkommenssteuer ins Auge fassen. Dabei erhielten Unternehmen und Freiberufler von der Steuerbehörde einen gewissen Anteil der bereits für 2019 gezahlten Einkommens- oder Körperschaftssteuer zurück (zunächst wären 25 Prozent denkbar). Um Mitnahmeeffekte zu vermeiden, könnte anhand der Steuererklärung von 2020 überprüft werden, ob der Gewinn verglichen mit 2019 tatsächlich merklich zurückgegangen ist. Sollte dieser Rückgang bei weniger als vielleicht zwanzig Prozent liegen, würde die negative Einkommensteuer rückgängig gemacht. 

Moderne Geldtheorie als Antwort

Ohne solche weitreichenden Transferleistungen würde die gesamte Volkswirtschaft, insbesondere das Finanzsystem, langfristig Schaden erleiden – was nach dem Ende der Pandemie eine schnelle wirtschaftliche Erholung verhindern würde. Da eine solche künstliche Ernährung der Volkswirtschaft enorme Haushaltskosten verursacht, wird oft gefragt, ob die Staaten überhaupt in der Lage sind, die dazu nötigen finanziellen Ressourcen aufzubringen.

Die Antwort darauf liefert die Moderne Geldtheorie. Laut ihrer Kernaussage gibt es für große Länder prinzipiell keinerlei Finanzierungsbeschränkungen. Ein historisches Beispiel dafür ist die Finanzierung von Kriegen: Daten aus Großbritannien und den Vereinigten Staaten zeigen, dass sich dort während der beiden Weltkriege das Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt signifikant erhöht hat. Aber daraus entstanden keine großen Inflationsprobleme – außer während einer kurzen Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 

Gefahr von Währungskrisen ausgeschlossen

Die gute Nachricht ist daher, dass große Länder durchaus in der Lage sind, die Einkommensverluste aufgrund des Coronavirus durch umfassende, direkte Zahlungen an Unternehmen, Arbeitnehmer und Freiberufler auszugleichen, ohne sich dabei finanziell einschränken zu müssen. Und sollte es nicht möglich sein, die zusätzlichen Staatsschulden über die Kapitalmärkte von privaten Investoren finanzieren zu lassen, stehen die Zentralbanken bereit, um – prinzipiell unbegrenzt – Staatsanleihen aufzukaufen. Dies wurde von der Federal Reserve der USA und der Europäischen Zentralbank am 15. und am 18. März ausdrücklich bestätigt. 

Kritiker der Modernen Geldtheorie betonen die Gefahr, hohe Defizite könnten zu Inflation führen, aber dies ist im Fall der Covid-19-Krise sehr unwahrscheinlich. Was wir hier sehen, ist ein Zusammenbruch der Konsumentennachfrage, den es in dieser Intensität noch nie zuvor gegeben hat und der für sich betrachtet ganz klar deflationär wirkt. Auch die Gefahr von Währungskrisen kann ausgeschlossen werden, da alle Länder ihre Schulden gleichzeitig erhöhen.

Problem: hoch verschuldete Länder

Probleme bekommen nur jene Länder, die nicht genug Kredite in ihrer eigenen Währung aufnehmen können. In Europa trifft dies insbesondere auf die hoch verschuldeten Länder der Eurozone zu – vor allem auf Italien. Hier müssen wir Lösungen zur gemeinsamen Finanzierung (in Form von Eurobonds) finden, wobei diese Mittel den einzelnen Mitgliedstaaten nicht als Kredite ausgezahlt werden, sondern in Form von Transferleistungen. 

Ein Werkzeug für die gemeinsame Kreditaufnahme könnte eine Kreditfazilität der Europäischen Gemeinschaft sein, die 1975 gegründet wurde, um Zahlungsausgleichsprobleme nach der Ölkrise zu bewältigen. Und für die Entwicklungs- und Schwellenländer kann dann der Internationale Währungsfonds einspringen. 

Alles in allem ist die Coronavirus-Krise wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Um es mit den Worten des ehemaligen EZB-Vorsitzenden Mario Draghi zu sagen: Der entscheidende Faktor ist eine Haushaltspolitik, die alles tut, „was auch immer nötig ist“. Die gute Nachricht dabei ist, dass es für große Länder in dieser Hinsicht keinerlei finanzielle Einschränkungen gibt. 

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal

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